Eine Parallelwelt

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IOC-Präsident Bach gab am Samstag seine Abschluss-Pressekonferenz in Rio. Wieder einmal zeigte sich, dass das IOC und sein Vorsitzender in einer Schein- und Parallelwelt leben.

Bach hat am Samstag auf jeden Fall eine Goldmedaille im Wettbewerb „Alles so zurechtbiegen, dass es positiv erscheint“ verdient. Das ist nicht neu, wenn man dies aber auch mal live und in voller „Pracht“ erlebt, ist es schon beängstigend.

Nachkontrollen

Nach den Enthüllungen über das staatlich gesteuerte Doping in Russland hat das IOC Nachkontrollen für das komplette Team des Gastgebers der Winterspiele 2014 in Sotschi angekündigt.
Das IOC werde nach den Sommerspielen in Brasilien die notwendigen Maßnahmen im Fall Russland ergreifen. Zu entscheiden sei über die nachträgliche Disqualifikation russischer Athleten und eine Sperre für künftige Olympische Spiele sowie eine mögliche Neuverteilung von Medaillen.

„Es ist gut, dass die Spiele nahe an der Realität stattgefunden haben, und nicht in einer Blase“, sagte der Deutsche am Samstag. Das ist im Angesicht der wirklichen Realität in Brasilien eine Frechheit, vor allem gegenüber einem Großteil des brasilianischen Volkes: auf der einen Seite die Favelas, auf der anderen die neuen, modernen Stadien, mit Gittern abgesperrt.

Aber die Pressekonferenz machte klar, was das IOC mit der Vergabe an Rio bezweckte, und Bach gab dies auch zu: „Das IOC wollte beweisen, dass Spiele in einem Umfeld mit sozialen Unterschieden möglich sind. Wir sind bereit, der sozialen Realität gegenüberzustehen.“ Immer wieder gibt es Probleme, Kandidaten-Städte zu finden. Das IOC will sich wohl neue Kandidaten für kommende Spiele „warmhalten“ und ihnen beweisen, dass alles möglich ist. Ob dies gelingt, erscheint doch eher sehr fraglich.

PR-Maschine

Die PR-Maschine lief von der ersten Minute der Pressekonferenz, als erst einmal ein Video der Highlights eingespielt wurde. Bach lobte in seiner Anfangsrede Sportler, Veranstalter, Rio-Bürgermeister Paes, IOC, soziale Medien, Sportstätten – irgendwie jeden und alles. Das Wort „iconic“ (ikonisch) scheint sein neues Lieblingswort zu sein. Kein einziges negatives oder kritisches Wort kam aus seinem Mund. Bach wird immer mehr zum aalglatten Politiker.

Geld und Doping

Ernst wird es aber dann bei den ersten Fragen. Journalistin Evi Simeoni von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ fragt nach dem Zustand der Olympischen Bewegung. Bach riecht den Köder und beißt an: „Ich sehe den Hintergrund Ihrer Frage: es geht um Russland und das Staatsdoping.“ Richtig, Herr Bach …

Der ehemalige Fecht-Olympiasieger begibt sich einen langatmigen Diskurs über seine „déjà-vus“ bei den Spielen 1980 in Moskau: „Ich war Athletensprecher. Wir haben gegen den Boykott gekämpft und verloren. Es gab in den deutschen Medien viel politischen Druck, so wie auch heute. Ich wollte nicht, dass Athleten wegen politischer Entscheidungen leiden müssen.“ Und die zweite Geschichte: „In der DDR gab es auch ein gut organisiertes Staatsdoping, das kurz vor den Spielen von Barcelona 1992 an die Öffentlichkeit kam. Aber niemand hat einen Ausschluss der deutschen Sportler gefordert. Unsere jetzige Entscheidung war im Interesse der Sportler. Wir respektieren die individuellen Rechte der Athleten.“

Im Fall der Whistleblowerin Julia Stepanowa übernimmt Bach keine Verantwortung, vor allem nicht in puncto der Gefahr, der die Familie der russischen Athletin ausgesetzt ist. Stepanowa hatte zuletzt mehrfach gesagt, sie habe Angst um ihr Leben. Dazu sagte Bach: „Wir sind nicht verantwortlich für die Gefahren, denen Frau Stepanowa ausgesetzt sein mag.“ Für künftige Whistleblower schließt der Deutsche also jede Tür.

„Eine Lüge“

Eine immer wiederkehrende Rhetorik gab es vom Ringe-Chef zum Thema Kostenexplosion und öffentliche Gelder, die in die Spiele gesteckt werden: „Es steckt kein öffentliches Geld in der Organisation der Spiele.“
Das sieht Jamil Chade, Europa-Journalist des „O Estado de S. Paulo“, anders: „Das ist eine Lüge. Es wurden 250 Millionen Reais (etwa 68 Millionen Euro, d. Red.) aus dem Budget der Paralympischen Spiele genommen, um ein Loch bei den Olympischen Spielen zu stopfen. Das Land, auf dem wir hier sitzen, ist öffentliches Land“, sagt der Brasilianer, der auch den Hickey-Skandal als Erster aufgedeckt hatte, dem Tageblatt.

Doch Bach verteidigt die Vergabe der Spiele an Rio, eine Premiere für Südamerika, weiter: „Stellen Sie sich vor, wie es Rio ohne die Spiele gehen würde. Die Spiele sind der Auftakt für den Erfolg des Landes. Die Cariocas werden von einem Rio vor und nach den Spielen sprechen.“ Dies ist ein weiterer Satz aus dem Bach’schen PR-Wortschatz.

Hickey: „Nicht viele Infos“

Dies beweist er dann auch beim Fall Hickey. Das irische IOC-Vorstandsmitglied wurde bekanntlich am Mittwoch wegen Verdachts auf Ticket-Schwarzhandel verhaftet. „Die IOC-Ethik-Kommission ist von den Vorfällen unterrichtet und steht in Kontakt mit den öffentlichen Instanzen. Da sich Herr Hickey selbst suspendiert hat, sah die Kommission keinen Grund, in Erscheinung zu treten.“ Während der Pressekonferenz wiederholt Bach drei Mal den Satz: „Wir respektieren die Unschuldsvermutung und können nicht weiter kommentieren. Er wurde noch nicht von einem Richter verhört.“

Aber die Aussage „Wir haben nicht viele Infos“ nimmt ihm doch keiner ab. Wenn das IOC wirklich nicht viele Infos hätte, wäre das sogar grob fahrlässig. Hickey ist eines von 15 Mitgliedern des IOC-Vorstandes, dies seit 2012. Seit 1989 ist der 71-Jährige Präsident des nationalen Olympischen Komitees von Irland, seit 2006 Präsident der Vereinigung der Europäischen Olympischen Komitees (EOC).

Die Frage, die immer noch offen ist: Wo kommen die 700 Tickets her, die im Gespräch sind, etwa 3 Millionen Euro eingebracht zu haben? Wie weit war Hickey involviert, wie weit eventuell auch das IOC (siehe auch Tageblatt-Print-Ausgabe vom Samstag, 20. August)? Hickey wird wohl sicher noch bis Dienstag im Complexo Penitenciário de Bangu im Norden von Rio bleiben und dann vor einem Richter aussagen.

Der EOC-Vorstand, dem auch der ehemalige COSL-Präsident Marc Theisen angehört, kommt am 29. August in Frankfurt zusammen. Bis auf Weiteres führt EOC-Vizepräsident Janez Kocijan?i? (Slowenien) die Geschäfte.

Eine interessante Frage kam auch vom ARD-Doping-Experten Hajo Seppelt: „Wir haben Beweise, dass das IOC die WADA beeinflusst hat, den McLaren-Bericht erst nach den Spielen zu veröffentlichen.“ Bach schmetterte die Anfrage ab und sagte, das IOC habe im Vorfeld Informationen haben wollen, was McLaren aber nicht gewollt habe. IOC-Pressechef Mark Adams nahm dieser Diskussion dann die Luft und „vergab“ die nächste Frage an einen japanischen Journalisten, bei dem er sich sicher war, dass „Ruhe“ einkehren würde.

Für Thomas Bach hinterlassen die Spiele ein „großartiges Erbe“. So realitätsfremd kann eigentlich keiner sein … Und doch hat diese Pressekonferenz dies wieder einmal unter Beweis gestellt …