Der Mensch im Vordergrund

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Praktisch seit der Gründung des Luxemburger Profi-Radteams Leopard-Trek vor über einem Jahr – nach der Fusion wird es bekanntlich ab 2012 als RadioShack-Nissan fahren – war auch das Duo Jean-Louis Schuller/Marc Thill bei den wichtigsten Momenten der Saison 2011 stets mit Kamera und Mikrofon dabei.

Am Samstag wird im Kino-Komplex Utopolis auf Kirchberg ihre Dokumentation über die Gebrüder Frank und Andy Schleck, mit dem Titel „The Road Uphill“, als „Avant-première“ vor geladenen Gästen uraufgeführt.

Das Film Plakat.

Im Vorfeld unterhielt sich das Tageblatt in den Studioräumlichkeiten in Bettemburg mit Jean-Louis Schuller, dem Macher des 90-minütigen „long métrage“, wobei wir das Glück hatten, einen kurzen Blick auf die letzten Feinschliff-Arbeiten werfen zu können. Zu sehen: die beiden Schlecks beim Training, im Hintergrund die Stimme von Philippe Brunel – eines der bekanntesten französischen RadsportJournalisten von LÉquipe –, der über die beiden Luxemburger spricht.

„Frank est lombre dAndy et Andy sera lombre portée de Frank. On va dire, cest à la fois leur force et leur pénitence.“

Das Ganze unterlegt mit dezenten Klavierklängen. Mehr wollen wir nicht preisgeben. Jean-Louis Schuller soll sein Werk erklären.

Geschichte von zwei Brüdern erzählen

Tageblatt: Kannst du dich noch an deinen ersten Tag beim Team Leopard-Trek erinnern?

Jean-Louis Schuller: „Ja, das war vor ziemlich genau einem Jahr und einer Woche, beim ersten Treffen des Teams in Crans Montana. Dort habe ich Andy und Frank kennen gelernt. Und mir ist schnell bewusst geworden, dass das Image im Radsport enorm wichtig ist. Da oft nur nach Skandalen gesucht wird, war natürlich anfangs auch mir gegenüber eine gewisse Distanz oder Barriere vorhanden. Meine Herangehensweise war, diskret im Hintergrund zu bleiben. So hat sich nach und nach das Vertrauen von ihnen mir gegenüber gebildet.“

Wann hast du gemerkt, dass du praktisch zum Team dazugehörst?

„’Ech mengen, dat war den Dag vu Léck-Baaschtnech-Léck.‘ Als das Rennen vorüber war, war ich im Team-Bus und habe Frank gratuliert. Nach einer gewissen Zeit ist man teils auch emotional mit den Fahrern verbunden und ich war etwas traurig. Obwohl es wichtig ist, eine gewisse Distanz zu wahren. Frank und ich, wir haben praktisch das gleiche Alter und haben beide große Ziele vor Augen. Er ist in seiner Karriere bereits etwas weiter als ich. So kam es, dass wir uns auch kurz umarmten. Und da merkte ich, dass ich dazugehörte. ‚Si hunn et och immens appreciéiert, dass ech als Privatmënsch an ouni meng Kamera op dBegriefnis vum Wouter Weylandt war.‘ Ab diesem Moment war das Eis gebrochen, was mir aber noch längst nicht erlaubte, sie immer und überall zu nerven. Ich war immer noch der Kameramann…“

Inwiefern kann dir in deiner Karriere solch ein Dokumentarfilm mit zwei sehr bekannten Sportlern in den Hauptrollen hilfreich sein?

„Mir ging es von Anfang an darum, keinen Film nur für den lokalen Markt zu drehen. Es sollte über die übliche Fernsehreportage hinweggehen. Er sollte tiefer gründen; zeigen, wie ein Fahrer in seinen Reserven schöpft, seine Grenzen überwindet, wie er die Schmerzgrenze hinter sich lässt. Da der Film nicht nur für Luxemburg bestimmt ist, ist er auch vielsprachig und untertitelt. Meine Herangehensweise war nicht die eines Radsport-Experten, sondern die eines Menschen. Der Film soll auch demjenigen gefallen, der sich noch nie ein Radrennen angesehen hat. Dem werden die menschlicheren, emotionaleren Szenen wohl eher gefallen. Der reine Experte wird sich wohl eher über die Insiderszenen, wie z.B. im Bus, freuen.“

Wie menschlich ist der Streifen denn?

„Es ging uns nicht darum, im Privatleben zu wühlen. Es ging darum, eine Geschichte zu erzählen. Die von zwei Brüdern, die aus einem der kleinsten Länder der Welt stammen und versuchen, das größte Radrennen dieser Erde zu gewinnen. Es ging darum, zu zeigen, wie sie körperlich und mental daran arbeiten und wie sie u.a. mit Niederlagen umgehen.“

Hast du darauf Antworten bekommen?

„Ja, ich denke schon, und dass die auch im Film recht gut rüberkommen. Ein Beispiel: Kim Andersen hielt seine Ansprache im Bus und sagte Andy, dass er die Tour 2010 nur wegen seines Kettenabsprungs verloren habe. Es kommen noch andere Beispiele vor. Sie sind vor allem visuell oder werden von den beiden in Interviews selbst beantwortet.“

Auch Tragödien, bewegende Momente gehören zu vielen Filmen. Wie bist du u.a. mit dem Unfalltod von Wouter Weylandt umgegangen?

„Sein Unfall hat mich persönlich auch sehr berührt. Wir kannten uns nicht gut, er war aber einer der Fahrer, die ich bis zu diesem Moment verfolgt habe. Rund einen Monat vor seinem Unfall habe ich im Rahmen von Paris-Roubaix ein recht intimes Interview mit ihm geführt, das auch im Film zu sehen sein wird. Es wäre falsch gewesen, im Film nicht über diesen Unfall zu sprechen. Er gehört dazu und hat vieles im Nachhinein beeinflusst, u.a. die Abfahrt von Andy den Col de Manse hinab (Andy Schleck verlor auf der 16. Etappe der Tour de France wertvolle Zeit auf seine härtesten Widersacher, d. Red.). Und dann Andys Heldentat den Galibier hoch, für den Film waren das natürlich super Momente. Als ‚réalisateur‘ habe ich versucht, diese Elemente miteinander zu verknüpfen. Nochmal: Es ist kein Film, der nur eine Aufzählung der schönsten Momente 2011 ist.“

Warum noch ein Dokumentarfilm?

„Der Reiz sind eben solche Momente, das mag ich. Und als kleines Team arbeiten zu können. Marc (Thill, d.Red.) und ich, wir waren flexibel, konnten ihnen immer folgen. Ich als Regisseur und Kameramann, er als Ton-Mann.“

Hat dieser Film euer Leben in den letzten zwölf Monaten dominiert?

„Dieser Film war mein Hauptprojekt während dieser Zeit. Wir haben während rund 50 Tagen gefilmt, dann kamen noch Interviews hinzu. Ich kann heute sagen: Ich verstehe jetzt etwas mehr vom Radsport.“

Welche Reaktionen erwartest du am Samstag?

„Die meisten Reaktionen bislang waren positiv und ich bin selbst recht zuversichtlich. Mein Ziel ist, dass der Film auch im Ausland zu sehen ist. Die ersten Anfragen aus Amerika, Australien, Südamerika, Irland, England sind bereits eingegangen.“

Das Urteil der beiden Hauptdarsteller zum Film?

„Sie haben ihn noch nicht gesehen. Flavio Becca (Gründer und Besitzer von Leopard-Trek) hat ihn gesehen und Pressesprecher Tim Vanderjeugd, welcher genau verstanden hat, um was es mir im Film ging. Sicher gibt es auch jene, die meinen, der Film müsste so oder so sein. Mir ging es darum, einen Jean-Louis-Schuller-Film zu drehen und keinen Propaganda-Film.“