Flèche Wallonne 2008: Und dann kam Kim …

Flèche Wallonne 2008: Und dann kam Kim …

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Vor zehn Jahren schien für Kim Kirchen im Regen von Huy die Sonne. Der damals 29-Jährige (geb. am 3.7.1978 in Rammeldingen) gewann die „Flèche Wallonne“ nach einem magistralen Spurt, in dem er Cadel Evans und Damiano Cunego auf die Plätze verwies. Das Großherzogtum stand für einen Tag weltweit im Blickpunkt des Sportgeschehens. Kim Kirchen ist der einzige Luxemburger Sieger des „Wallonischen Pfeils“.

Von Petz Lahure

Am Mittwoch, 23. April 2008, schaffte Kim Kirchen das, wovon er drei Jahre lang geträumt hatte. Im Frühjahr 2005 war er in der teilweise 19 Prozent steilen Steigung der „Mur de Huy“ kurz vor dem Strich vom späteren „Flèche“-Sieger Danilo Di Luca abgefangen worden, drei Jahre später verwies er den Australier Cadel Evans und den Italiener Damiano Cunego auf die Plätze. Kim Kirchen feierte damit den größten Sieg seiner Karriere bei einem Eintagesrennen.

Selbst wenn die „Flèche Wallonne“ nicht zu den fünf Monumenten des Radsports (Mailand-San Remo, Ronde van Vlaanderen, Paris-Roubaix, Liège-Bastogne-Liège, Giro di Lombardia) gehört, ist sie im internationalen Kalender einer der ganz großen Wettbewerbe und hat einen sehr hohen Stellenwert. „J’ai gagné deux très grandes courses d’un jour, Milan-San Remo et la Flèche“, pflegte beispielsweise Tour-de-France-Sieger Laurent Fignon zu sagen.

Ein Rennen mit Geschichte

Für die Belgier ist die „Flèche“ ein besonderer Wettstreit. Sie hat mehr Geschichte als viele andere Rennen (seit 1936) und einen Streckenverlauf, der kaum mit einem der historischen Klassiker vergleichbar ist. Nie vor Kim Kirchen hatte ein Luxemburger den „Wallonischen Pfeil“ gewonnen, in dessen Palmarès so berühmte Namen wie Rik Van Steenbergen (1949), Fausto Coppi (1950), Ferdy Kübler (1951, 1952), Raymond Poulidor (1963), Eddy Merckx (1967, 1970, 1972) oder Bernard Hinault (1979) stehen.

Mit Kim Andersen (1984) kam immerhin ein „halber“ Luxemburger als Erster in Huy ins Ziel. Der Däne saß an jenem denkwürdigen 23. April 2008 als Sportdirektor im CSC-Wagen und betreute u.a. Andy Schleck. Dieser sorgte für die erste Luxemburger Einlage des Tages, als er eine 19-köpfige Gruppe durch den peitschenden Regen in den Ardennen führte. Am Ende aber sollte Schleck für seine Mühen schlecht belohnt werden.

Kim Kirchen dagegen verhielt sich während des schnellen Rennens taktisch richtig. Er „versteckte“ sich während über 190 km im Feld und wurde von seinem Sportdirektor Valerio Piva zurückgepfiffen, als es ihn in der „Côte de Ahin“ in den Beinen kitzelte und er angreifen wollte. Piva lag genau richtig, denn Kirchen vergeudete dadurch keine Kraft. Drei Tage zuvor hatte er es beim Amstel Gold Race mehrfach probiert und im Keutenberg den Kontakt verloren.

Wie aus dem Lehrbuch

Kim Kirchen, der sich in der Baskenland-Rundfahrt, wo er zwei Etappensiege feierte, auf die Ardennenklassiker vorbereitet hatte, war genau im richtigen Moment in der richtigen Form. Alles klappte im Schlussteil wie am Schnürchen: vom Wetter, das urplötzlich umschlug, bis zur entscheidenden Attacke, die auf die Sekunde genau am richtigen Ort gestartet wurde. Als Kirchen seine Rakete zündete, hatte niemand mehr eine Chance.

Auf den letzten paar hundert Metern war die Spannung kaum zu steigern. Cadel Evans führte die Leader den Berg hinauf, während Kim Kirchen sich lange an fünfter Position aufhielt. Frank und Andy Schleck kamen in dem Moment längst nicht mehr für den Sieg in Frage, da sie abgeschlagen im Feld fuhren. Sie nahmen die Steigung in normalem Tempo in Angriff. Beide wollten im Hinblick auf Liège-Bastogne-Liège Kräfte sparen.

Attacke 200 m vor dem Ziel

Noch 200 m waren zurückzulegen, als Kim Kirchen, der sich hinter dem Italiener Davide Rebellin auf den dritten Platz nach vorne gearbeitet hatte, beherzt angriff. Niemand vermochte das Rad des Luxemburgers zu halten. Kirchen siegte mit derart klarem Vorsprung, dass er es sich sogar leisten konnte, vor dem Ziel nach links und rechts zu schauen, Küsse in die Menge zu schicken und mit ausgebreiteten Armen über den Strich zu fahren. Hinter dem großartigen Sieger belegten Cadel Evans (auf 1″) und Damiano Cunego (auf 2″) die Ehrenplätze. Andy Schleck wurde 76. auf 5’13“, sein Bruder Frank 78. mit derselben Verspätung auf Kirchen.

Kirchens Erfolg kam auf den Tag genau neun Monate nach seiner heroischen Fahrt durch die Pyrenäen nach Loudenvielle zustande. Anders als damals Alexandre Winokurow war in Huy aber niemand zur Stelle, um ihm den Sieg zu klauen. Nicht nur im Zielbereich gönnte jeder dem Luxemburger den Erfolg. Im Pressesaal meinte ein belgischer Kollege: „Je n’ai jamais vu autant de gens contents après une victoire d’un coureur avec lequel ils n’ont aucune relation.“