Die berühmtesten Pavés der Welt

Die berühmtesten Pavés der Welt

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Am 7. April 1968 wurde die „Trouée d’Arenberg“ erstmals bei Paris-Roubaix durchquert. Heute, genau 50 Jahre nach der Premiere, ist sie zum Mythos geworden. Grund genug, die 2,4 gepflasterten Kilometer genauer unter die Lupe zu nehmen.


Der Mythos Arenberg

Petz Lahure über die berühmtesten Kopfsteinpflaster der Welt

Wenn die Fahrer von Paris-Roubaix morgen zwischen 15 und 15.20 Uhr in die „Trouée d’Arenberg“ einbiegen, ist es 50 Jahre her, dass zum ersten Mal ein Rennen durch diese Waldschneise führte. Inzwischen ist die „Trouée“ oder „Tranchée“, wie der frühere Journalist von L’Equipe Pierre Chany sie umtaufte, zum Mythos geworden. Innert fünf Jahrzehnten wurde sie weltweit zur berühmtesten Passage eines Radrennens und ist seitdem so eng mit Paris-Roubaix verbunden, dass sie nicht mehr aus dem Parcours wegzudenken ist.

Die Geschichte, wie es zur Eingliederung der „Trouée“ in die „Reine des classiques“ (Beiname von Paris-Roubaix) kam, liest sich wie ein Märchen. Am Ursprung stand Jacques Goddet, der Direktor der Tour de France und Chef von L’Equipe, die damals Organisator von Paris-Roubaix war. Wir schreiben den 10. April 1967. Tags zuvor hat der Holländer Jan Janssen den Klassiker im Norden Frankreichs gewonnen, er schlug im Sprint einer Zehnergruppe, der vier Weltmeister, drei nationale Meister, ein Giro-Sieger und ein Träger des „Maillot vert“ der Tour de France angehörten, der Reihe nach Rik van Looy und Rudy Altig.

Trotz dieser klangvollen Namen auf dem Podium seines Klassikers war Goddet nicht zufrieden. Das Rennen hatte sich bis Mons-en-Pévèle dahingeschleppt, die Durchschnittsgeschwindigkeit betrug am Ende nur 36,824 km/h. Hinzu kam, dass die in diesem Teil Frankreichs schnell vorangetriebene Asphaltierung vieler Pavé-Abschnitte dem Rennen seine Seele zu nehmen drohte. Und so schickte Goddet seinen „Leutnant“ Albert Bouvet hinaus, um neue Kopfsteinpflasterpassagen ausfindig zu machen, die Paris-Roubaix zu mehr Pep verhelfen sollten.

Bouvet, ein früherer Sieger von Paris-Tours (1956), zögerte nicht lange und rief seinen Freund Jean Stablinski an, den viermaligen französischen Meister und Weltmeister von Salò 1962, der nahe Valenciennes wohnte. Gemeinsam mit Edouard Delberghe, einem weiteren Profi aus dem Norden, gingen sie auf Erkundungstour, zuerst nach Neuvilly, dann nach Aulnoy, Querénaing und weiter in den Wald von Saint-Amand-les-Eaux, den Stablinski aus dem Effeff kannte, weil er oft in Raismes weilte und als junger Mann in der Grube von Arenberg arbeitete. Hier überraschte Stablinski seine beiden Kollegen mit einem „Prunkstück“, einer 2,4 km langen schnurgeraden Schneise durch den Wald, belegt mit Kopfsteinpflastern, die eine Kantenlänge von rund 30 cm hatten. Als Sechzehnjähriger war Stablinski täglich über diesen holprigen Weg in die Bergbaumine gefahren. Bouvet kam aus dem Staunen nicht heraus, er nahm als Beweis einen Pflasterstein mit, schoss ein paar Fotos und legte sie dem Chef hin. „Ich habe um eine Strecke mit Pavés gebeten und nicht um Schlammlöcher“, so Goddets lakonischer Kommentar. „Unser Streben muss es sein, mindestens einen Fahrer in Roubaix über die Ziellinie zu bekommen …“

Am 7. April 1968, also heute vor 50 Jahren, feierte die „Touée d’Arenberg“, die eigentlich hochoffiziell „Drève des Boules d’Hérin“ heißt und im Volksmund „Les pavés d’Hasnon“ genannt wird, Premiere bei Paris-Roubaix. Fünf Belgier belegten die fünf ersten Plätze. Eddy Merckx gewann vor Herman van Springel, Walter Godefroot, Edward Sels und Victor van Schil. Raymond Poulidor wurde Sechster, während Philippe Crépeil als 44. und Letztklassierter 41’37“ Rückstand hatte.

Unter den 136 Gestarteten war auch der fast 36-jährige Jean Stablinski. Er klassierte sich als 24. mit einem Rückstand von 8’24“. Nicht weniger als 92 Fahrer steckten auf.
Jean Stablinski, der am 21.5.1932 als Jean Stablewski in Thun-Saint-Amand geboren wurde und am 22.7.2007 in Lille starb, ist der einzige Mensch, der als „galibot“ (junger Minenarbeiter) nicht nur unter dem gepflasterten Waldweg von Arenberg schuftete, sondern als Profifahrer ebenfalls auf dieser „Straße“ tätig war. Nach seiner aktiven Karriere leitete „Stab“ als Teammanager zuerst die Sonolor-Lejeune- und danach die Gitane-Mannschaft. Auch in späteren Jahren machte er regelmäßig einen Abstecher in die Tour de France und war im Jahr 2000 sogar eine Zeit lang der geschätzte Chauffeur Ihres Kolumnisten.

„Mein Vater starb im Krieg, ich war noch sehr jung“, erzählte Stablinski. „Für meine Mutter gab ich später eine Heiratsanzeige auf. Ein Bergarbeiter polnischer Abstammung, so wie wir, meldete sich, er hatte eine Tochter. Der Bergarbeiter wurde mein zweiter Vater und seine Tochter Génia meine Frau. Das Leben ist manchmal undurchschaubar.“

Zu Ehren Stablinskis wurde im Frühjahr 2008 ein Gedenkstein an der „Einfahrt“ zur „Trouée d’Arenberg“ eingeweiht. Die 2.400 m lange Strecke, die in 50 Jahren erst 40-mal bei Paris-Roubaix befahren wurde (sie musste zeitweise wegen Baufälligkeit gesperrt werden), hat so manches Drama miterlebt. So beispielsweise im Jahr 1998, als Favorit Johan Museeuw schwer zu Boden ging und man tagelang um das Leben des späteren Paris-Roubaix-Siegers (2000, 2002) bangen musste. Oder im Jahr 2001, als sich Philippe Gaumont bei einem Sturz den Oberschenkel brach.

Eines steht fest: Arenberg ist im Laufe der Jahre zum Mythos geworden. Wo man, wie einst Eddy Merckx treffend bemerkte, wegen der Entfernung zu Roubaix (rund 100 km) das Rennen zwar nicht gewinnen, es durch Pech oder Unachtsamkeit aber durchaus verlieren kann …


Zu Napoleons Zeiten

Die „Trouée d’Arenberg“ ist zwar erst seit 50 Jahren Teil von Paris-Roubaix, doch die gepflasterte Schneise durch den Wald Raismes-Saint-Amand-les-Eaux nahe Valenciennes geht auf die Zeit von Napoleon Bonaparte zurück. Sie wurde im späten 18. Jahrhundert angelegt. Wallers-Arenberg war vor allem bekannt wegen der Bergwerke, die als historisches Denkmal klassiert wurden. 1989 wurde die letzte Mine in Arenberg geschlossen. In Wallers-Arenberg wurde Anfang der 90er Jahre der Film Germinal gedreht, der auf dem gleichnamigen Roman von Emile Zola beruht.


Rund 275.000 Steine

Die „Trouée d’Arenberg“ ist mit einer Breite von lediglich 3 Metern recht schmal. Das Peloton erreicht den Abschnitt über eine rund 600 m lange Gerade, bevor es über die ersten Kopfsteinpflaster rollt. Dadurch, dass die Straße auf einmal so schmal wird und die ersten Meter der Trouée auch noch leicht abfallend sind, steuern die Radprofis den legendären Abschnitt mit einer Geschwindigkeit von rund 60 km/h an.

Die 2,4 km sind mit rund 275.000 Pavés gepflastert. Bei der diesjährigen Auflage von Paris-Roubaix muss das Peloton 54,5 km über Kopfsteinpflaster fahren, was einer Länge von 28 Mal den Champs-Elysées entspricht. Aufgeteilt sind die 54,5 km in 29 Sektoren, die sich aus 6.076.000 Pflastersteinen zusammensetzen.


Sorgen um die Pavés

Kein anderer Pavé-Sektor von Paris-Roubaix ist so schlecht instand wie die „Trouée d’Arenberg“. Das liegt vor allem an der Lage mitten im Wald. In den großen Lücken zwischen den Pavés wächst das Gras unaufhörlich. Mit thermischem Jäten (mit Hilfe von Gas) versucht man den Sektor instand zu halten. Vor allem die ersten 900 m sind äußerst kritisch. Aber auch die Fans tragen ihren Teil zum Zustand der Pavés bei. Nicht wenige nehmen Kopfsteinpflaster als Souvenir mit nach Hause.