Der ungewollte Globetrotter

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Seit rund fünf Monaten ist der Belgier Tom Saintfiet Nationaltrainer der maltesischen Auswahl. Dan Elvinger sprach mit ihm.

Tom Saintfiet ist erst 44 Jahre alt und hat bereits 21 Stationen in 19 Ländern als Trainer hinter sich. Er hatte während seiner Karriere mit Kalaschnikows zu tun, musste einmal fliehen, hat schon BGL-Ligue-Spiele gesehen und sorgte mit Underdogs für Überraschungen. Seit rund fünf Monaten ist der Belgier Nationaltrainer der maltesischen Auswahl. Morgen will der Globetrotter, der es nie sein wollte, gegen Luxemburg sein erstes Erfolgserlebnis mit seiner neuen Auswahl erreichen.

Aus Malta berichtet Tageblatt-Redakteur Dan Elvinger

Tageblatt: Herr Saintfiet, in welchem Zustand befindet sich Ihre Mannschaft vor dem Duell gegen Luxemburg?
Tom Saintfiet: Wir müssen auf einige Spieler wie Ryan Fenech, Bjørn Kristensen oder Johan Bezzina verzichten. In der Mannschaft gibt es eine gute Mischung zwischen erfahrenen und jungen Spielern. Einige könnten gegen Luxemburg ihr Debüt feiern. Die Vorbereitung hat erst begonnen und die taktischen Übungen sind deshalb ein bisschen zu kurz gekommen.

Welchen Stellenwert hat dieser Vergleich für Malta?
Wir werden am Donnerstag der Underdog sein. Luxemburg ist durch die Qualität und die Resultate der letzten Monate in der Favoritenrolle. Aber wir spielen vor den eigenen Fans und wollen einen Sieg holen. Für einen Nationaltrainer gibt es keine Freundschaftsspiele. Jede Partie ist wichtig und es ist eine optimale Vorbereitung auf die bevorstehenden Aufgaben in der Nations League. Es ist wichtig, dass wir unser Spiel ändern und neue Systeme einführen.

Wie gut kennen Sie die luxemburgische Nationalmannschaft?
Es ist immer gefährlich zu sagen, wie gut man den Gegner kennt. Wenn ich in Belgien bin, besuche ich ab und zu Freunde in Luxemburg. In der Vergangenheit habe ich mir auch schon einige BGL-Ligue-Spiele angesehen. Ich war 2016 im Stadion, als Vincent Thill sein erstes Länderspieltor gegen Nigeria erzielt hat. Die WM-Qualifikationsspiele der Luxemburger habe ich mir alle auf Video angesehen. Nationaltrainer Luc Holtz und Verbandspräsident Paul Philipp leisten herausragende Arbeit. Der Fußball in Luxemburg hat sich sehr positiv entwickelt. Das zeigen die vielen Spieler, die mittlerweile Profis im Ausland sind. Zudem spielt Luxemburg schönen und offensiven Fußball.

Sie sind seit fünf Monaten im Amt. Welche Fußballkulturen haben Sie auf der Mittelmeerinsel entdeckt?
Die Leute lieben Fußball. Leider sind nur wenige Zuschauer im Stadion. Viele Menschen schauen sich lieber die Serie A oder die Premier League im Fernsehen an. Ein Riesenproblem sind die vielen Ausländer in der Meisterschaft. Diese haben meistens Schlüsselpositionen in ihren Vereinen und blockieren die maltesischen Spieler. Ich habe mir in den vergangenen Monaten 118 Partien auf Malta angesehen und schlussendlich habe ich höchstens die Wahl zwischen 50 und 60 Spielern. Ein weiteres Problem ist die kleine Anzahl an Auslandsprofis. Derzeit verdienen fünf Malteser ihr Geld im Ausland, das ist einfach zu wenig.

Welche Rolle spielt der 36-jährige maltesische Rekordtorschütze Michael Mifsud (u.a. 1. FC Kaiserslautern) noch in Ihrem Team?
Ich hätte ihn natürlich lieber mit 27 als mit 36 Jahren im Team gehabt (lacht). Aber er ist noch immer sehr wichtig und befindet sich in gutem körperlichem Zustand. Michael hat viel Persönlichkeit, Erfahrung und ist eine sehr positive Person. Leider kommt er derzeit beim FC Valletta nicht mehr so oft zum Einsatz. Am letzten Wochenende ist ihm aber wieder ein Tor gelungen.

Bei Ihrer Premiere als Nationaltrainer haben Sie mit 0:3 gegen Estland verloren. „Desaströses Debüt für Saintfiet“ titelte die Tageszeitung Malta Today. Sind die Erwartungen zu hoch?
Die Fans und die Medien haben immer hohe Erwartungen. Ich selbst war natürlich auch sehr enttäuscht. Aber ich wurde vom Verband verpflichtet, weil sich die Spielweise der Mannschaft ändern soll. Es soll offensiver agiert werden. Leider haben wir gegen Estland bereits nach 45 Sekunden ein Gegentor kassiert. In Zukunft sollten die Leute an uns glauben, aber gleichzeitig auch wissen, dass Malta seine Limits hat. Nicht umsonst wurden in 50 Jahren nur fünf Qualifikationsspiele gewonnen.

Sie waren bereits in 19 Ländern aktiv. Sind Sie von Natur aus ein Globetrotter oder machte Sie der Fußball dazu?
Eigentlich bin ich kein Globetrotter. Ich war äußerst früh sehr ambitioniert und bin bereits mit 27 Jahren Cheftrainer geworden. Damals hat man mir in Belgien gesagt, dass ich zu jung für den Job bin. Deshalb hat es mich ins Ausland verschlagen. Wenn man dann im Ausland ist, bekommt man Angebote aus dem Ausland. Wenn man sich dann in Belgien bewirbt, glauben die Leute, dass ich keine Ahnung von der Liga hätte, weil ich so lange im Ausland war. Es ist eine Art Teufelskreis. Auf der einen Seite sind die vielen Stationen ein Problem in meinem Lebenslauf, auf der anderen Seite können die wenigsten Trainer mit 44 Jahren behaupten, über so viel Erfahrung wie ich zu verfügen.

Was war das außergewöhnlichste Erlebnis in Ihrer Karriere?
Die Begeisterungsfähigkeit der Afrikaner werde ich immer in Erinnerung behalten. 2011 war ich Nationaltrainer in Äthiopien. Ein Duell gegen Nigeria sollte um 16.00 Uhr stattfinden. Um 8.00 Uhr waren bereits Tausende Anhänger vor dem Stadion. Vor Spielbeginn haben 30.000 Menschen die Nationalhymne gesungen. Wenn ich daran denke, bekomme ich heute noch Gänsehaut. Bis zur 88. Minute haben wir mit 2:1 geführt, dann haben wir den Ausgleich kassiert. Nigeria hat wegen des Unentschiedens die Teilnahme an der Afrika-Meisterschaft verpasst. Ich habe es mehrmals in meiner Karriere geschafft, mit Underdogs sehr gute Ergebnisse zu holen. Aber es gab nicht nur schöne Momente.

Waren Sie auch einmal in Gefahr?
Sogar mehrmals. 2010 habe ich ein Angebot aus Simbabwe angenommen, weil die Mannschaft viel Potenzial hatte und ich nach meinem Job in Namibia den nächsten Schritt machen wollte. Nach zwei Wochen musste ich das Land Hals über Kopf verlassen. Man hat mir eine fehlende Arbeitserlaubnis vorgeworfen, was natürlich Quatsch war. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion bin ich über die Grenze geflüchtet, weil die Polizei und das Militär hinter mir her waren. Später hat sich herausgestellt, dass mein Vorgänger und Nachfolger als Nationaltrainer an Wettmanipulationen beteiligt war. Er hat immer nur fünf Spieler aus dem Ausland und 20 einheimische Akteure nominiert. Die Spieler aus Tansania waren leichter zu bestechen. Ich habe 20 Profis aus dem Ausland und nur fünf einheimische berufen und deshalb musste ich schnell weg.

2012 habe ich einen Vertrag beim Verband in Jemen unterschrieben, obwohl mir die belgische Botschaft davon abgeraten hatte und zu diesem Zeitpunkt Al-Kaida in dem Land aktiv war. Ich bin fast nur im Hotel geblieben, weil auf den Straßen viele Menschen mit Kalaschnikows herumliefen. Aber ich habe das Angebot angenommen, da ich mit Jemen am Gold Cup teilnehmen konnte. Manchmal waren in meiner Karriere die Ambitionen größer als die Angst. Das Angebot aus Malta habe ich angenommen, weil ich Stabilität brauche und etwas Langfristiges aufbauen will. Ich bin vor 18 Monaten Vater geworden und verheiratet, da wird man einfach ruhiger.


STECKBRIEF
Name: Tom Saintfiet
Geboren am 29.3.1973
Staatsangehörigkeit: Belgier

Vereine als Aktiver:
Stade Leuven, Zwarte Duivels Oud-Heverlee (beide B), KI Klaksvik, TB Tvøroyri (beide FAR), Oude God Sport, Rupel Boom (beide B)

Vereine/Nationalmannschaften als Trainer: Satellite FC Abidjan (SEN), B71 Sandur (FAR), Telstar (NL), Al Gharafa (QAT), Katar U17, BV Cloppenburg (D), FC Emmen (NL, Technischer Direktor), Rovaniemi PS (FIN), Namibia, Simbabwe, Shabab Al-Ordon (JOR), Äthiopien, Nigeria (Technischer Direktor), Young Africans (TZA), Jemen, Malawi, KV Turnhout (B), Free State Stars (RSA), Togo, Bangladesch, Trinidad und Tobago, Malta (seit 11.10.2017)