„Es geht um mehr als nur Tests“

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Es ist sicherlich nicht der spektakulärste Aspekt der Dopingbekämpfung, aber der wohl meist unterschätzte. Die Erziehung der jungen Sportler ist die eigentliche Basis. WADA-Generaldirektor Olivier Niggli hat die Erziehung auch als einen wichtigen Bestandteil der Anti-Doping-Bewegung ausgemacht. Im Rahmen des jährlichen Symposiums der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) in Lausanne hat sich das Tageblatt mit Tony Cunningham, dem „Education Manager“ bei der WADA, über sein Arbeitsfeld unterhalten.

Doping-Serie

Das Tageblatt war letzte Woche auf dem jährlichen WADA-Symposium in Lausanne. Die vergangenen Jahre und Monate rund um den Russland-Skandal haben die Anti-Doping-Bewegung grundlegend verändert. Bis einschließlich Samstag wird das Tageblatt täglich einen Aspekt des Anti-Doping-Kampfes beleuchten. Unten stehend die verschiedenen Themen unserer Serie.

Tageblatt: Was genau versteht man im Anti-Doping-Bereich unter Erziehung?

Tony Cunningham: Es geht darum, den jungen Sportlern die Regeln zu erläutern und ihnen zu erklären, wieso es diese Regeln in der Dopingbekämpfung gibt und wieso sie wichtig sind. So kann verhindert werden, dass Athleten ungewollt dopen. Sie sollen nicht von Doping absehen, weil sie Angst haben, erwischt zu werden, sondern weil sie eine eigenständige Entscheidung treffen, gesund zu Leben und nicht zu betrügen.

Es geht also um Prävention?

Das auch, aber Erziehung und Prävention sind nicht das Gleiche. Prävention betrifft jeden, ob Trainer, Arzt, Physiotherapeut, Verantwortliche von Vereinen und Verbänden usw. Jeder einzelne Akteur kann seinen Teil zur Prävention beitragen. Erziehung ist auch ein wichtiger Bestandteil der Prävention.

Wie steht es denn allgemein um die Erziehung im Anti-Doping-Kampf?

Jeder ist sich einig, dass Erziehung wichtig ist. Die Frage ist nur, wie man am besten vorgeht. Wenn man sich anschaut, wie viel Geld in die Anti-Doping-Bewegung fließt, dann ist die Bildung und Prävention meistens ganz unten angesiedelt. Aber man braucht geschultes Personal, um etwas bewirken zu können. Das müssen wir ändern. Wir sind dabei, internationale Standards auszuarbeiten, um auch den Status der Erziehung im Anti-Doping-Bereich zu fördern.

Worin besteht die Aufgabe der WADA?

Es gibt viele Länder, die nicht die Möglichkeit haben, viel in diesem Bereich zu tun. Wir bekommen oft zu hören: „Wenn ihr wollt, dass wir unsere Sportler im Anti-Doping ausbilden, dann gebt uns das nötige Personal und das nötige Geld.“ Unsere Mission ist es, den nationalen Anti-Doping-Agenturen unter die Arme zu greifen, ihnen die Ressourcen zu geben, die sie benötigen. Wir haben zum Beispiel ein E-Learning-Programm entwickelt, da man auf diese Weise viele Athleten erreichen kann und so einen guten Überblick darüber hat, welcher Sportler sich weitergebildet hat und welcher nicht.

Wenn man von Erziehung spricht, denkt man schnell an die Schule.

Natürlich würden wir gerne in die Schulen gehen, aber jede Organisation will das und die Schulprogramme sind bereits überfüllt. Deshalb arbeiten wir mit dem Internationalen Olympischen Komitee, dem Internationalen Paralympischen Komitee, der Unesco, dem International Council of Sport Science and Physical Education und International Fair Play Committee zusammen. Schließlich haben wir alle das gleiche Ziel.

Wie sieht Anti-Doping-Erziehung bei Kindern aus?

Wir führen keine Diskussionen über Doping mit einem Acht- oder Zehnjährigen. In dem Alter kann man aber bereits ansetzen, um die Kinder weniger anfällig werden zu lassen. Themen wie Inklusion, Respekt, Chancengleichheit usw. stehen ohnehin auf dem Lehrplan. Wir stellen Material zur Verfügung, damit die Kinder lernen, dass diese Werte auch im Sport zählen. Somit belasten wir das Schulprogramm nicht noch zusätzlich.

Wie wird die Anti-Doping-Erziehung wahrgenommen?

Ich denke, dass sich die Mentalität in den letzten Jahren geändert hat. Zwar war sich auch früher jeder bewusst, dass Erziehung wichtig ist, doch ich habe das Gefühl, dass die meisten erst jetzt merken, dass etwas unternommen werden muss. Es geht in der Dopingbekämpfung um weit mehr als um Tests und darum, Betrüger zu entlarven.

Können Sie das präzisieren?

Studien haben uns Folgendes gezeigt: Wenn zu viele Dopingsünder überführt werden, besteht ein Risiko, dass mehr Athleten dopen werden. Wenn junge Sportler sehen, dass viele Doper erwischt werden, dann vermittelt ihnen das den Eindruck, dass ohnehin alle betrügen. Sie fragen sich daraufhin: Wieso soll ich es dann nicht auch tun? Genau deshalb brauchen wir eine gute Erziehung und Prävention.

Bereits bei den Tests gibt es zwischen den verschiedenen Ländern große Unterschiede. Sind diese bei der Erziehung nicht noch größer?

Wahrscheinlich, aber es ist schwer, das zu belegen. Bei Tests hat man genaue Zahlen vorliegen, bei der Erziehung sieht das anders aus. Es ist schwierig, zu wissen, was in sämtlichen Ländern abläuft. Wir müssen in Zukunft versuchen, mehr Daten zu sammeln, damit wir Dinge verbessern können. E-Learning-Programme sind hierbei sehr hilfreich.


Auch in Luxemburg zu wenig Ressourcen

Tony Cunningham hat es im Interview erklärt: Die Ressourcen für Erziehung und Prävention sind stark begrenzt. Das gilt auch für Luxemburg. In diesem Bereich ist die luxemburgische Anti-Doping-Agentur (ALAD) trotz bescheidener Mittel aktiv. „Dieser Aspekt ist sehr wichtig. Wir arbeiten zum Beispiel sehr eng mit dem ‚Sportlycée‘ zusammen, verteilen Listen mit verbotenen Mitteln und bieten das E-Learning-Programm an“, meint Dr. Anik Sax.

Zudem hat das Nationale Olympische Komitee entschieden, dass alle Sportler das E-Learning-Programm absolvieren müssen, wenn sie an einer großen internationalen Veranstaltung – wie den Spielen der kleinen europäischen Staaten – teilnehmen möchten. Sax erklärt allerdings auch, dass man im Bereich der Prävention nie genug machen kann. Das sieht Raymond Conzemius, Direktor des „Sportlycée“, auch so. „Wir haben von der 7e bis 1e Sensibilisierungskampagnen und da gehört die Doping-Prävention natürlich auch dazu. Aber das Schulprogramm ist schon sehr ausgedehnt und da bleibt leider nicht mehr viel Platz“, so Conzemius, der durch die verschiedenen Kampagnen, die im „Sportlycée“ laufen, diese auch gut vergleichen kann.

„Wenn ich mir anschaue, welche Möglichkeiten zum Beispiel die Initiative BeeSecure (Sensibilisierung für eine sichere Benutzung der Informations- und Kommunikationstechnologien, Anm. d. Red.) hat und welche es in der Doping- oder breiter gefächert in der Suchtprävention gibt, dann fehlen hier definitiv die nötigen Ressourcen.“ Man habe dies auch bereits an die Politik herangetragen, erklärt der Direktor des „Sportlycée“.

„Es ist unglaublich wichtig, in diesem Bereich aktiv zu sein. Mittlerweile ist es ja das Normalste der Welt geworden, zu kiffen. Und dieser Trend macht auch vor den Toren des INS nicht halt“, so die klaren Worte von Conzemius. Bei Athleten kann der Drogenkonsum noch andere Folgen haben als bei Nicht-Sportlern. „Die Sportler werden oft nicht ausreichend aufgeklärt und laufen zudem Gefahr, getestet zu werden. Viele sind sich nicht einmal bewusst, welche Konsequenzen das Rauchen eines Joints für sie haben kann. Denn sollten sie dann doch einmal positiv getestet werden, dann stehen sie auf einmal in der Öffentlichkeit und fallen aus allen Wolken. Mit dieser Situation dann zurechtzukommen, ist nicht einfach.“

Für Conzemius spielt aber nicht nur die Schule eine wichtige Rolle. „Eltern haben in der Regel immer noch den größten Einfluss auf die Jugendlichen. Bei Sportlern spielt dann auch der Trainer eine große Rolle. Deswegen ist Doping-Prävention auch ein Teil der Trainerausbildung. Ob die Übungsleiter das dann aber an ihre Schützlinge weitervermitteln, ist nicht garantiert, denn eine Qualitätskontrolle gibt es nicht.“