„Bales“ gegen „Kampfschwein“

„Bales“ gegen „Kampfschwein“
(AFP/Valery Hache)

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Reicht ein Gareth Bale gegen ganz Belgien? Die Waliser um ihren Superstar fiebern dem größten Spiel ihrer Geschichte im EM-Viertelfinale, trotz "Heimvorteil" Belgien im nordfranzösischen Lille, jedenfalls optimistisch entgegen.

Seinen bislang letzten Treffer gegen Belgien wird Gareth Bale nie vergessen. „Dieses Tor hat uns erstmals den Glauben geschenkt, dass wir auch Topteams schlagen können. Es war mein wichtigstes Tor für Wales“, sagte der Superstar vor dem EM-Viertelfinale gegen die Roten Teufel am Freitag (21.00 Uhr). Vor gut einem Jahr siegte „Bales“ dank Bales Treffer in Cardiff sensationell mit 1:0 gegen Belgien – es war der Knackpunkt in der EM-Qualifikation.

„Wir können das wieder schaffen“, sagt Bale mit Blick auf das „größte Spiel im walisischen Fußball“. Doch die Aufgabe wird noch schwieriger: Die wackeren Waliser erwartet in Lille, nur 20 Kilometer von der belgischen Grenze entfernt, ein Auswärtsspiel. „Es werden richtig viele unserer Fans kommen, weil es so nah an der Heimat ist. Das wird wie ein Heimspiel für uns“, sagte Kevin De Bruyne. Der Weltranglistenzweite geht als klarer Favorit in das Duell mit dem EURO-Neuling – und macht daraus keinen Hehl: „Wir wollen bei diesem Turnier noch sehr weit kommen“, so De Bruyne.

Kein Sonderbewacher

Um das zu schaffen, muss die Mannschaft von Trainer Marc Wilmots vor allem den Bale in den Griff bekommen. Einen Sonderbewacher wird der 26-Jährige aber trotz seiner bislang drei EM-Tore nicht bekommen. „Er hat ja alle Freiheiten und ist überall auf dem Platz zu finden“, sagte Wilmots: „Ich werde nicht einen Spieler auf ihn ansetzen. Wir werden es im Kollektiv lösen.“ Auch die Waliser wollen als Mannschaft glänzen, obwohl Wilmots den Fokus in der Verteidigung klar auf Bale und dessen Offensivpartner Aaron Ramsey legt. „Aber wir wissen, dass wir mehr als zwei Spieler haben. Wir sind nicht ohne Grund unter den letzten Acht“, entgegnete Bale, der „viele fantastische Spieler“ in seinem Team sieht.

Doch die Hauptlast wird wieder auf seinen Schultern liegen, einzig im Achtelfinale gegen Nordirland (1:0) traf er bei der EURO bislang nicht. Doch das Erfolgsgeheimnis sei die hervorragende Teamchemie. „Es ist, wie mit Freunden im Urlaub zu sein. Wir machen Rätsel, wir spielen Tischtennis, wir machen alles zusammen“, sagte Bale: „Natürlich ist es auch anstrengend, aber wir genießen das.“ Belgien geht nach dem ungefährdeten 4:0 im Achtelfinale gegen Ungarn derweil mit viel Selbstvertrauen in das Spiel gegen den letzten verbliebenen Vertreter aus Großbritannien. „Wir müssen jetzt die gleiche Performance zeigen“, sagte Wilmots. Sein Kollege Chris Coleman meinte: „Wir sind die Underdogs und von ihnen wird der Sieg erwartet. Aber es gibt nichts, vor dem wir eingeschüchtert sein müssten, es gibt keine Angst.“ Und was sagt Bale? „Jetzt ist unsere Zeit, um zu glänzen. Wir wollen ins Halbfinale.“ Ein weiteres Tor von ihm dürfte viel helfen. Und auch das würde er wohl nie vergessen.

„Begrenzter Trainer“

Vergessen wird Marc Wilmots derweil kaum, dass er nach dem verpatzten EM-Auftakt gegen Italien (0:2) von den heimischen Medien fast schon zum (Roten) Teufel gejagt wurde. Doch in Wilmots erwachte das schlummernde „Kampfschwein“ aus alten Schalker Bundesliga-Tagen. Er setzte sich zur Wehr, er ging weiter seinen Weg – und hatte Erfolg. Drei Siege in Folge stehen seitdem zu Buche. Drei weitere sollen auf dem Weg zum Titel dazukommen – der erste gegen „Bales“.

Dabei hatte es vor zweieinhalb Wochen wahrlich nicht nach einer Siegesserie des Starensembles ausgesehen. Die ganz schwache Vorstellung der Belgier gegen die „Alten Herren“ aus Italien schien eher der Anfang vom Ende aller Titelträume zu sein. Als sich danach auch noch Spieler, Coach und Medien gegenseitig attackierten, wurden bereits die ersten Abgesänge auf den Geheimfavoriten angestimmt.

Dicke Politiker-Haut

Im Kreuzfeuer der Kritik stand vor allem Wilmots. Der UEFA-Cup-Sieger von 1997 sei ein „begrenzter Trainer“, hieß es in der Presse. Er habe es verpasst, seiner „Mannschaft einen Plan mit auf den Weg zu geben“, hieß es. Er bringe die Qualität seiner Topspieler „nicht zur Geltung“, hieß es. Dass Torwart Thibaut Courtois sein Team von den Italienern „taktisch deklassiert“ sah und ein Maulwurf aus den Reihen der Mannschaft die Spielweise als „stereotyp“ bezeichnete, schadete Wilmots zusätzlich. Es schien die Gerüchte zu bestätigen, denenzufolge das Verhältnis des 47-Jährigen zu seinen Stars nicht das beste sei. Doch Wilmots scherte sich nicht um die Schlagzeilen. „Nach einem Spiel soll meine Arbeit plötzlich nichts mehr wert sein? Das ist mir ein wenig zu einfach“, konterte der Coach, der mit seiner Mannschaft vor zwei Jahren bei der WM in Brasilien denkbar knapp (0:1) im Viertelfinale am späteren Endspielteilnehmer Argentinien scheiterte.

Die dicke Haut im Umgang mit Kritik hat sich Wilmots spätestens in den Jahren 2003 bis 2005 zugelegt. In dieser Zeit saß er als Mitglied der liberalen Partei Mouvement Réformateur im belgischen Senat. Schon damals kämpfte Wilmots mit harten Bandagen, um den Einheitsskeptikern und ihren Thesen vom gescheiterten „Konstrukt Belgien“ entgegenzutreten. Noch heute betont der frühere Profi immer wieder, dass sein Team das ganze Land repräsentiert. Und für dieses Land – für die Flamen, die Wallonen und die deutschsprachige Minderheit – will Wimots den Titel holen. Es fehlen „nur“ noch drei Siege, dann hat er sein Ziel erreicht.