Der Faktor Mensch als Schwachstelle

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Seit nunmehr anderthalb Jahren macht Günter Younger Jagd auf Dopingsünder. Der Deutsche leitet die neue „Intelligence and Investigations“-Abteilung der Welt-Anti-Doping-Agentur. Eine Abteilung, die als direkte Konsequenz auf den Russland-Skandal entstanden ist. Younger, der vor seiner Tätigkeit bei der WADA in leitenden Positionen bei Interpol und dem bayrischen Landeskriminalamt tätig war, ist auch durch den Russland-Skandal in die Sportwelt eingetaucht. Er war Teil der ersten unabhängigen Kommission der WADA, die den Fall Russland untersuchte. Neben dem deutschen Polizisten waren noch der kanadische Jura-Professor Richard McLaren und sein Landsmann Dick Pound, der erste WADA-Präsident, in der Kommission vertreten.

Seitdem hat sich der Anti-Doping-Kampf sehr verändert. Es geht nicht mehr alleine um Tests. „Durch den Fall Russland hat man gesehen, dass auch Ermittlungen etwas bewirken können. Dadurch dass wir eine so große Ermittlung hatten und diese auch erfolgreich führten, hat es einen entsprechenden Boom gegeben“, erklärt Younger dem Tageblatt am Rande des WADA-Symposiums in Lausanne. Der groß gewachsene, kahlköpfige Dopingjäger kann auch gut begründen, wieso seine Arbeit erfolgversprechend ist. „Ich komme von der Polizei, wo Ermittlungen sich auf den Faktor Mensch, der normalerweise die Schwachstelle eines jeden Systems ist, konzentrieren. Das ist beim Anti-Doping-Kampf nicht anders.“

„Wir lernen jeden Tag dazu“

Eine erste Bilanz über seine Arbeit und den Aufbau der neuen Einheit will der Bayer allerdings noch nicht ziehen. „Es ist noch zu früh, man rechnet mit drei bis fünf Jahren, um eine solche Einheit aufzubauen. Man muss erst einmal Ermittler rekrutieren, dann muss man sie ausbilden und eine Strategie festlegen. Wo können wir ermitteln, wo sind unsere Grenzen? Momentan lernen wir noch jeden Tag dazu.“

Das liegt auch daran, dass Ermittlungen nie wirklich spezifisch sind. Auch wenn sich alles darum dreht, Dopingsünder zu stellen, so sind die Ermittler in den unterschiedlichsten Bereichen aktiv. „Den einen Tag hat man mit einem Labor zu tun, am Tag darauf muss man sich mit Athleten beschäftigen und am dritten Tag bekommen wir eine Datenbank auszuwerten. Wir benötigen deshalb eine Vielzahl von Fähigkeiten.“

Kein Wunder, dass Younger ein multidisziplinäres Team auf die Beine gestellt hat. Mittlerweile hat er bereits sechs Leute rekrutiert, die meisten mit polizeilicher Erfahrung. Aber auch ein Wissenschaftler gehört dazu. Jeder bearbeitet sein Feld und führt man diese dann zusammen, ergibt sich ein vollständiges Bild der Ermittlung. „Wir haben zum Beispiel einen Spezialisten für ‚Open source research‘, einen für soziale Medien, jemanden, der sehr gut Verhöre führen kann, und eine Person, die gut koordinieren kann.“

Das richtige Feeling

Den bislang größten Erfolg feierten die WADA-Ermittler im vergangenen November, als ihnen eine Datenbank mit Werten aus dem Moskauer Labor zugespielt wurde. „Durch diese ergibt jetzt alles Sinn, was im McLaren-Report steht. Unser Wissenschaftler hat die Datenbank ausgewertet und konnte auch die biologischen Pässe lesen und interpretieren.“ Für Younger eine große Erleichterung, denn in seiner „Welt geht es einzig und allein um Beweise. Man kann nicht einfach irgendetwas behaupten.“

Wenngleich auch beim ehemaligen Interpol-Mann in der Regel alles mit einem Gefühl beginnt. Das war auch im Fall Russland so. „Man hörte bereits vor den ersten Enthüllungen immer wieder Stimmen, die erklärten, dass dort irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht.“ Doch vom Gefühl bis hin zu handfesten Beweisen sei es meistens ein schwieriger Prozess. „Als ich in der unabhängigen Kommission der WADA saß, ahnten wir bereits, dass in Russland etwas nicht stimmt, aber damals konnten wir es noch nicht beweisen.“

Aus diesem Grund sei das Whistleblower-Projekt der WADA, „Speak up!“, so wichtig. Seitdem wird die Welt-Anti-Doping-Agentur mit Hinweisen überhäuft. Demnächst wird ein „Confidential Information Manager“ zu Youngers Team hinzustoßen, der sich ausschließlich mit der Betreuung von Whistleblowern befassen wird.

„Wenn ich in Montreal sitze, wie soll ich da wissen, was in Russland genau abläuft? Wir müssen uns einen gewissen Ruf aufbauen, damit die Leute uns vertrauen und zu uns kommen. Auch wenn sie nur ein Gefühl oder eine vage Ahnung haben, was schiefläuft, reicht das manchmal schon, damit wir ein Gespür für den Fall entwickeln und mit unseren Ermittlungen beginnen können.“

Komplexe Ermittlungen, wenige Ermittler

Eine große Hürde sind momentan noch die Ressourcen. So können Younger und seine Leute nur zehn bis 15 Prozent der Fälle bearbeiten, die an sie herangetragen werden. „Auch bei der Polizei kann man nie alle Fälle bearbeiten, die man auf den Tisch gelegt bekommt. Ermittlungen sind halt sehr komplex und ich kann nicht einen Ermittler mit vier Fällen beauftragen. Ich bin eher ein Fan davon, eine Ermittlung zu führen, und die dafür richtig und andere dann etwas zurückzuschieben.“

Younger weiß, dass Geduld eine wichtige Tugend in seinem Job ist. „Wenn man erst mal anfängt zu graben, dann kommt es oft zu einem Schneeballeffekt. Das war auch in Russland der Fall. Nach und nach kollabierte das System zusehends.“

Zusammenarbeit mit den Behörden

Um effektiv gegen Dopingsünder vorzugehen, reicht eine siebenköpfige Einheit allerdings nicht aus. Das WADA-Team arbeitet deshalb sehr eng mit Staatsanwaltschaften und Polizei zusammen. Auch mit Interpol gibt es eine Kooperation, die Younger 2009, als er noch selbst bei Interpol war, mit ausgearbeitet hatte. „Das ist absolut sinnvoll, denn viele unserer Fälle sind auch für polizeiliche Ermittlungen interessant.“

Aber auch große nationale Anti-Doping-Agenturen stellen immer mehr Polizisten ein und fangen selbst an zu ermitteln. In Zukunft soll ein Netzwerk aufgebaut werden, damit man noch effektiver vorgehen kann.

Für die Zukunft ist Younger jedenfalls positiv gestimmt. „Ich habe meinen Plan vorgelegt, wie ich mir unsere Einheit in Zukunft vorstelle und hoffe, dass wir die nötigen finanziellen Mittel dafür bekommen. Das Ziel ist es, in relativ kurzer Zeit bis zu 50 Prozent der an uns herangetragenen Fälle bearbeiten zu können.“ Auch wenn sich der Dopingskandal in Russland auf einem „sehr hohen Niveau“ abgespielt hat, so kann der deutsche Dopingjäger nicht ausschließen, dass es auch in anderen Ländern ähnliche Systeme gibt. „Um Weihnachten saß ich mit meinen Teamkollegen zusammen und habe sie gefragt, wie fit sie sind. Sie haben mir alle versichert, dass sie sich bereit fühlten, wieder eine so große Ermittlung in Angriff zu nehmen. Würde sich der Fall Russland in irgendeiner Weise wiederholen, wir würden jederzeit einsteigen.“