Im Gespräch mit einem Großmeister – Geist, Kraft, Disziplin

Im Gespräch mit einem Großmeister – Geist, Kraft, Disziplin

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Hwarang-Do ist die älteste koreanische Kampfkunst und vereint wie keine andere Schule eine Vielzahl an Disziplinen, darunter Nahkampf-, Waffen- und Mentaltechniken. In den 1960er Jahren hat Dr. Joobang Lee diese Disziplinen, die bis dahin nur von Mönchen praktiziert wurden, reglementiert und in eine moderne Kampfsportart integriert. Seit einem Jahr lebt sein Sohn Taejoon Lee in Luxemburg, mit dem Ziel, Hwarang-Do in Europa bekannter zu machen. Ein Gespräch mit einem „Großmeister“.

Taejoon Lee ist heute Träger des weltweit höchsten Grades und des Titels „Großmeister“. Im Alter von nur sieben Jahren trug er bereits den schwarzen Gürtel und mit 13 trainierte er andere Sportler. Im vergangenen Januar zierte er die Titelseite der Budo International, der weltweit populärsten Kampfsport-Zeitschrift, die in über 50 Ländern und in sechs Sprachen erscheint.

Tageblatt: Was muss die Welt über Hwarang-Do erfahren?
Taejoon Lee: Der wichtigste und zugleich kontroverseste Aspekt ist, dass Hwarang-Do die wahrhaftige nationale Kampfsportart Koreas ist. Die Hwarang waren Krieger des Shilla-Königreichs in der Zeit, als Korea noch in drei verfeindete Reiche geteilt war. Durch ihren Einsatz hat sich das Land vereint und die Kultur Koreas konnte sich entwickeln. Die Lehre des Hwarang-Do, die vor 2.000 Jahren an besagte Krieger vermittelt wurde, beinhaltet eine ganzheitliche Herangehensweise an die Entwicklung des Menschen. Hierzu zählt nicht nur das Stählen des Körpers, sondern auch die Schulung des Geistes. Es handelt sich nicht um eine reine Sportart wie Taekwondo oder Karate, sondern um eine Lebenseinstellung – mit dem Ziel, die Natur des Menschen und des eigenen Selbst zu verstehen.

Warum üben Menschen noch heute diese Sportart aus?
Natürlich ist der sportliche Aspekt des Hwarang-Do das, was die Leute anzieht. Die gelehrten Kampftechniken sind ein Mittel, die Werte des Hwarang-Do zu vermitteln. Das Training verlangt viel Disziplin, die Sportler werden mit der Angst konfrontiert, anzugreifen und angegriffen zu werden. Diese Angst zu überwinden und aus ihrer Komfortzone auszutreten, bewirkt Veränderungen in ihnen. Diese sind etwa mehr Selbstbewusstsein, Selbsterkenntnis, Selbstverwirklichung und die Entwicklung von Führungsqualitäten.

Würden Sie sich als einen strengen Lehrmeister bezeichnen?
Dazu müsste man erst einmal definieren, was einen strengen Lehrmeister ausmacht. Nun, lassen Sie es mich so sagen: Möchte ich das meiste aus meinen Schülern herausholen? Auf jeden Fall! Fordere ich meine Schüler, so gut ich kann? Absolut! Meine Rolle als Lehrmeister besteht darin, meine Schüler auf die Herausforderungen des Lebens vorzubereiten. Es ist eine Art Erziehung. Gute Eltern und gute Lehrer bereiten ihre Kinder auf das Leben vor, indem sie sie disziplinieren. Jeder Lehrer, der seine Tätigkeit ernst nimmt, weiß das. Und er weiß auch, dass nicht jeder auf die gleiche Art belehrt werden kann. Es gibt viele Möglichkeiten. Doch alle haben die Disziplin als Ziel. Im Kampfsport ist die Wichtigkeit der Disziplin besonders offensichtlich, denn wer nur einen Moment lang abwesend ist, kassiert sofort einen Tritt oder Hieb.

Was gibt Ihnen das Hwarang-Do?
Ich sehe mich selbst als ein Medium, das anderen Menschen durch das Beibringen von Werten und Kampftechniken die Möglichkeit gibt, sein ganzes Potenzial zu entfalten. Die moderne Gesellschaft macht es den Leuten immer schwieriger, ihren Platz in der Welt zu finden und ein volles Selbstwertgefühl aufzubauen. Menschen dabei helfen zu können und somit ihr Leben auf so viele Arten zu verbessern, stimmt mich zufrieden, es ist meine Bestimmung. Ich lehre seit 40 Jahren und erhalte noch heute Rückmeldungen von ehemaligen Schülern, die sich bei mir dafür bedanken, dass sie aufgrund des Hwarang-Do auf den rechten Pfad gefunden haben.

Sie haben in der Vergangenheit in diversen Filmen mitgespielt. Wie sind Ihre Schauspielkarriere und Ihr Leben als Großmeister der Kampfkunst miteinander verknüpft?
Der einzige Grund, warum ich mich der Filmindustrie hingegeben habe, ist der, dass ich in ihr einen Weg erkannte, Hwarang-Do bekannter zu machen. In der Schule war ich das einzige asiatische Kind und wurde deswegen oft von meinen Mitschülern gehänselt. Ironischerweise verehrten die gleichen Leute den Filmhelden Bruce Lee, der ebenfalls asiatischer Herkunft ist. Mit neun Jahren fasste ich daher den Entschluss, irgendwann auf den Kinoleinwänden zu erscheinen. Mittlerweile bin ich längst raus aus der Filmindustrie, doch ich würde gerne einen Spielfilm über das Leben des Generals Kim Yu-shin produzieren, der die drei koreanischen Königreiche in die Wiedervereinigung geführt hat.

Inwiefern unterscheidet sich Ihr neues Leben in Luxemburg von Ihrem alten in den USA?
In Amerika hatte ich mein eigenes Dojang (Trainingshalle) mit Hunderten von Schülern und ich führte ein sehr gutes Leben. Als ich nach Luxemburg kam, war dieser ganze Luxus mit einem Schlag weg. Was ich am meisten vermisse, ist das Essen – in einer Großstadt wie Los Angeles findet man ein viel größeres Angebot. Zum Beispiel liebe ich Sushi, doch ich habe hier noch kein Sushi-Restaurant gefunden, das meinen Ansprüchen gerecht wird (lacht). Mir gefällt jedoch, dass ich heute in einer ruhigen Gegend wohne. Die Leute sind hier freundlich und zuvorkommend. Diesen Frieden genieße ich sehr. Ebenfalls mag ich die Tatsache, dass die Warteschlangen in Luxemburg viel kürzer sind. In meiner Heimat kann man manchmal stundenlang anstehen.

Sie möchten einen europäischen Hwarang-Do-Verband gründen. Worin sehen Sie die größte Herausforderung, die Sportart in Europa zu etablieren?
Die größte Herausforderung ist die Sprache. Da wird es immer Einschränkungen geben. Auch gibt es innerhalb Europas viele unterschiedliche Kulturen – ein nicht zu unterschätzender Faktor, wenn man einen gesamteuropäischen Verband ins Leben rufen möchte. Man muss allerdings wissen, dass ich bereits seit 1983 mit Seminaren und Auftritten in Europa aktiv bin, angefangen in Großbritannien, dann in Deutschland, den Niederlanden, Italien und schließlich Luxemburg. Deshalb ist Europa kein Neuland für mich und ich werde immer besser darin, die Differenzen zu verstehen und anschließend zu überbrücken. Ich denke auch, dass mir meine aktuelle Wohnsituation dies zusätzlich erleichtern wird.

Was macht Luxemburg zu einem guten Gastgeber für die kommende Hwarang-Do-Weltmeisterschaft im Juli?
Luxemburg ist ein hervorragender Standort für dieses Ereignis. Dank seiner zentralen Lage und guten Infrastruktur ist das Land gut erreichbar. Sehr hilfreich ist auch die Tatsache, dass das Vereinswesen in Luxemburg sehr gut organisiert ist. Wir erhalten große Unterstützung von der FLAM („Fédération luxembourgeoise des arts martiaux“), dem Dachverband der luxemburgischen Kampfsportvereine. In einem Jahr konnten wir die Zahl der Sportler hierzulande verzehnfachen. Dies zeugt von einem guten Nährboden, der mit Sicherheit auch die Weltmeisterschaft Früchte tragen lassen wird.

Wofür in Ihrem Leben sind Sie am meisten dankbar?
Ich bin meiner Familie sehr dankbar. Ohne sie wäre ich nicht der, der ich heute bin. Mein Vater hat sein Werk (Hwarang-Do, d.Red.) an mich weitergegeben, sodass ich etwas in der Welt bewirken kann. Zwischen allen Ländern Europas hätte ich mich niemals für Luxemburg entschieden, aber ich erhielt unglaublich viel Unterstützung von dem hiesigen luxemburgischen Verein. Er hat alles in die Wege geleitet, damit ich eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten und mich hier einbürgern konnte. Heute bin ich sehr glücklich über diesen Umstand.

Steve Peffer