Kampfsport in Luxemburg: „Es geht nur um persönliche Macht“

Kampfsport in Luxemburg: „Es geht nur um persönliche Macht“

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Seit der Generalversammlung der FLAM („Fédération luxembourgeoise des arts martiaux“) sind nun drei Wochen vergangen. Fred Bertinelli, der ehemalige Präsident des Kampfsportverbands, wurde überraschend innerhalb des Karate abgewählt und trat deshalb auch nicht zur Wahl des Dachverbands an. Im Tageblatt-Interview spricht er über finanzielle Sorgen, mangelnde Neutralität beim „Directeur technique“ und einen uneinsichtigen Vereinspräsidenten.

Tageblatt: Vier Jahre waren Sie Präsident des Kampfsportverbands. Man hatte das Gefühl, dass sich in diesem Zeitraum viele interne Konflikte gelöst haben. Wie erklären Sie sich die Karate-Wahl?
Fred Bertinelli: Als ich zum Verband gestoßen bin, herrschten Streitereien zwischen den Sportarten. Ich habe zwei Jahre damit verbracht, Frieden herzustellen. Wochenlang führten wir mit den Taekwondo-Verantwortlichen Gespräche, um dem Streit ein Ende zu setzen. Auch als man sich vom Ex-Nationaltrainer der Judo-Nationalmannschaft getrennt hat, habe ich mich am Samstagmorgen mit den Athleten getroffen, um die Wogen wieder zu glätten. Ich habe sehr viel Arbeit geleistet. Es ist schade, dass es sich bei den Leuten, die im Karate gegen mich gestimmt haben, um Menschen handelt, mit denen ich seit 40 Jahren zu tun habe. Die waren bestens auf diese Sitzung vorbereitet. Bis heute warte ich noch immer auf ihre Erklärung. Ich gehe davon aus, dass es im Fall von Jean-Claude Roob die Reaktion auf eine Meinungsverschiedenheit war.

Dabei ging es um das nationale Kampfsportzentrum, wie Sie bereits am 7. Februar angedeutet haben.
Ja, der war der Auslöser. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass alle FLAM-Sportarten von der Infrastruktur profitieren müssten. Wir haben auch den Strassener Judo-Club gegründet. Das war im Vorfeld mit dem Sportministerium abgeklärt worden. Es ist gar nicht so einfach, diesem Mann verständlich zu machen, dass ausreichend Platz in dieser Halle vorhanden ist, um allen Anforderungen gerecht zu werden. Mein Plan war es, zwei Personen aus einem speziellen Arbeitslosenprogramm als Hausmeister einzustellen. Die Gemeinde war nicht einverstanden und hat sich selbst darum gekümmert.

Das Problem war allerdings, dass dann nie ein Hausmeister anzutreffen war, wenn der Karate-Club nicht gerade trainierte. Da musste ich eingreifen. Man muss wissen, dass Herr Roob ebenfalls im Strassener Gemeinderat vertreten ist. Ich habe mich an den Sportminister gewandt und ihn gebeten, die Konvention und die Details zur Aufteilung der Halle zu unterschreiben, um Streit aus dem Weg zu gehen (siehe auch Kader). Die Halle gehört zu 55 Prozent dem Staat, welcher seine Anteile an die FLAM überschrieben hat. Die anderen 45 Prozent gehören der Gemeinde Strassen. Es war mit dem Sportministerium abgesprochen, dass sich die FLAM um interne Aufteilungen kümmern würde. Strassen war, unter dem Impuls von Roob, plötzlich nicht mehr begeistert davon. Möglicherweise waren diese Leute aus dem Karate einfach sauer und verärgert, was dann zu diesem Wahlresultat führte. Roob wollte sich die Kapitänsmütze aufsetzen, aber in welche Richtung das Schiff hin soll, weiß er nicht.

Sie haben damals ebenfalls über Meinungsverschiedenheiten mit dem technischen Direktor des Karate gesprochen.
Mit dem „Directeur technique“ des Karate (Jean-Claude Henry) hatte ich ein Problem, da ich immer gerecht sein wollte. Er allerdings bevorzugt einige Athleten. Verschiedene Sportler werden gar nicht mehr berücksichtigt. Jetzt braucht er mir nicht mehr zu erklären, warum er den einen oder anderen Athleten nominiert hat. Er war es leid, gefragt zu werden, weshalb er anstelle des Landesmeisters zwei Sportler aus seinem Verein nominierte. Fragwürdig war auch sein Vorgehen, eine Trainerin einzustellen, die einmal pro Woche auf Kosten der FLAM aus Paris kommt. Ihre einzige Rolle ist es, die Tochter des „Directeur technique“ zu trainieren. Da konnte ich als Präsident ja nicht zustimmen.

Es sind jetzt nur noch drei große Vereine in dem elfköpfigen Karate-Vorstand vertreten. Was bedeutet dies für die kleineren Klubs?
Ich befürchte, dass aber noch viel Schlimmeres passieren wird. Ein Vertreter aus Reckingen, ein Anästhesist, der die medizinische Versorgung bei nationalen Wettkämpfen organisierte, hat den neuen Vorstand bereits verlassen. Er warf den Personen dort vor, nicht ehrlich und seriös gehandelt zu haben. Da im Vorstand also ein Mitglied fehlte, wollte man den Nächstgewählten dazu holen. Die Zwölftgewählte hat abgelehnt, der 13.-Gewählte hat nach anfänglichem Zögern dann zugesagt. Ich bin ohnehin überzeugt, dass der „Directeur technique“ diese ganze Wahl gegen mich organisiert hat. Was er tut, geht gegen alles, wofür ich stehe. Die Karate-Verantwortlichen hatten schon Anfang 2018 die Hälfte des Budgets aufgebraucht. Sie sind im Dezember noch nach Russland gereist, als das Geld bereits fehlte. Da wurde dann einfach Geld aus dem Budget 2018 einkalkuliert. Deshalb sind sie jetzt gezwungen, etwas zu tun, wogegen ich mich immer gewehrt habe: Geld von den Athleten zu verlangen. Ich als Differdinger weiß eben genau, dass es soziale Unterschiede gibt. Nicht alle Eltern können ihren Kindern einen Ausflug von 400 Euro nach Budapest spendieren. Ich habe Angst, dass es in Zukunft nicht mehr gerecht zugehen wird.

Im Judo wird dies allerdings schon seit ein paar Jahren so gehandhabt.
Das ist etwas anderes. Im Judo fehlen die Möglichkeiten. Dort reisen auch immer nur zwei, drei Athleten zu großen Turnieren, und dann mit zwei Trainern. Aber warum haben wir die vielen Karate-Titel? Über 20 Jugendliche wurden stets nominiert. Es wurde eben anderswo gespart. Für junge Athleten ist es wichtig, sich international zu messen. Dann springen nach vier, fünf Jahren auch Resultate heraus. Ich kann mir kaum vorstellen, dass jemand das während so langer Zeit eigenständig finanzieren kann. Wer weiß, ob Kimberly Nelting auf diese Weise Weltmeisterin geworden wäre. Das Sportministerium zahlt für diese Ausgaben.

Deshalb ist es auch nicht richtig, Geld von den Eltern zu verlangen. Doch einige Karate-Vertreter sind einfach größenwahnsinnig. Roob lädt beispielsweise Schiedsrichter aus Brasilien zu seinen Turnieren ein. Nur weil er und seine Kollegen Probleme mit den Schiedsrichtern aus dem Grenzgebiet haben. Seine Vereinsmitglieder haben kein Problem, 1.200 Euro für ein Trainingslager in Italien hinzublättern, andere Menschen in Luxemburg schon. Ich mache mir definitiv Sorgen, in welche Richtung der Karate hinsteuert.

Was genau sind Ihre Sorgen?
Ich war in den letzten Jahren immer bemüht, überall im Land Vereine zu eröffnen. Nicht nur im Karate. Es standen fast wöchentlich Termine mit Bürgermeistern in meinem Kalender. Aber ich kann mir wirklich nicht vorstellen, wer von diesen Elf diese Aufgabe nun übernehmen soll. Ich sehe einfach nicht, wie der Karate mit diesen Leuten vorankommen soll. Roob hat den Strassener Bürgermeister angefleht, sich gegen die Gründung eines Judoklubs zu stemmen. Bis vor der Generalversammlung hatte der Karate sowohl den Präsidenten als auch den Kassierer des Verbands gestellt. Jetzt haben sie dort niemanden mehr. Die FLAM ist diesen Leuten komplett egal. Es geht nur um persönliche Macht. Was sie interessiert, ist ihr kleines Grüppchen innerhalb des Karate, in dem sie machen können, was sie wollen. Das enttäuscht mich enorm. Der Karate wird von drei 70-Jährigen geführt. Vor meiner Zeit wurde von oben herab diktiert und jetzt ist es wieder so weit. In zwei, drei Jahren ist der Karate wieder dort angekommen, wo wir vor zehn Jahren schon einmal waren. Jeder verteidigt nur seine eigenen Interessen.

Sie haben das Budget angesprochen. Wo hätte man sparen können?
Statt 20 Karatekas hätte man nur die Elite zu einzelnen Turnieren schicken können. Seit zwei Jahren ist ein Mädchen überall dabei, das jedes Mal in der ersten Runde ausscheidet. Zufällig trägt diese Athletin den gleichen Nachnamen wie der „Directeur technique“. Jedes Mal, wenn man dieses Thema angesprochen hat, ist er ausgerastet. Das hat mich ja dann auch den Kopf gekostet. Ein anderes Problem war der Terminkalender. Statt mit Europa- oder Weltmeisterschaften als Höhepunkten reist der Karate während zwölf Monaten quer durch die Welt. In Russland musste der Verband für drei Touristen aufkommen. Ich wäre der Letzte, der etwas dagegen sagen würde – wenn die Finanzen stimmen würden. Bei der Generalversammlung hätten 60.000 Euro in der Kasse gefehlt, wenn das Budget von 2018 nicht eingerechnet worden wäre. In den Sitzungen habe ich immer gefragt, ob wir uns dieses oder jenes Turnier leisten können. Der Kassierer (Fred Charlé, ebenfalls vom Differdinger Klub und nicht wiedergewählt) war überzeugt davon, das Richtige zu tun, wenn er nach Wegen gesucht hat, es jedes Mal irgendwie hinzubekommen. Und zum Dank wählt man auch ihn ab.

Was bereuen Sie?
Mein Vorgänger hat die Statuten geändert. Es war mein Fehler, dies nicht rückgängig gemacht zu haben. Das heißt, die Anzahl der Stimmberechtigten für die Präsidentenwahl innerhalb des Karate ist an die Mitgliederzahl gekoppelt, aber nicht proportionell wie im Judo. In der Sitzung war Strassen mit elf Personen angereist. Ich frage mich ohnehin, an wen sie ihre 500 Mitgliedskarten verteilt haben.

Wie sieht die Zukunft des Karate aus?
Mit Sicherheit tauchen bald Probleme auf. Es fehlt diesen Leuten an der Zeit, sich um die Zukunft zu kümmern. Roob trainiert mit seinem Klub drei Mal pro Tag. Den anderen fehlt der „Drif“, etwas zu unternehmen. Es sind ja jetzt schon Spannungen zu spüren, da niemand in den Vorstand nachrücken will. Beim geringsten Problem zwischen Henry und Roob werden die Fetzen fliegen. Die Wahl war nur eine kurzfristige Freundschaft. Der eine hatte Angst um seinen Job, der andere wollte Macht. Es wird nicht lange dauern …


Noch nicht unterschrieben

Die von Fred Bertinelli angesprochene Konvention der Kampfsporthalle in Strassen
ist noch nicht unterschrieben worden. Man wollte die FLAM-Wahlen abwarten.
Eine Woche nach der Generalversammlung trafen sich besagte Parteien, einen Termin für die offizielle Unterschrift gibt es allerdings noch nicht. Erst danach ist dann auch schriftlich festgelegt, wie die Aufteilung aussehen soll.

chd