JudoAnetta Mosr ist Luxemburgs Hoffnung bei der Heim-Europameisterschaft

Judo / Anetta Mosr ist Luxemburgs Hoffnung bei der Heim-Europameisterschaft
Drei Wettkämpfe, drei Medaillen: Bei Anetta Mosr ist nicht nur der Erfolg, sondern auch das Strahlen zurückgekehrt Foto: Editpress/Didier Sylvestre

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Ein schüchterner Blick in Richtung der schaumigen Milchschokolade, ein kurzes Lächeln für den Fotografen: Sie sei es nicht gewohnt, Interviews zu geben, sagt Anetta Mosr. Die Beforter Judoka wuchs im Schatten von nationalen Aushängeschildern zu einer neuen Hoffnungsträgerin heran. Die zurückgetretene Manon Durbach oder Claudio dos Santos standen im Rampenlicht, während die Mosr-Zwillinge sich erst einmal bewusst werden mussten, in welche Richtung die Karrieren gehen sollten. Lange Monate herrschte 2019 Ungewissheit, ob die 19-jährige Anetta die Aufgabe annehmen – und sich der Rolle der neuen Vorzeigeathletin der FLAM-Damen annehmen würde.

Ihre Zwillingsschwester Klara setzte sich andere Prioritäten. Die LTB-Absolventin konzentriert sich im Abschlussjahr auf ihre Examen, trainiert nur noch, wenn es der Terminkalender erlaubt. Eine Entscheidung, die Anetta zwar akzeptiert, aber nicht nachvollziehen kann: „Es war irgendwie abzusehen, dass es so kommen würde. Vielleicht braucht sie einfach eine Pause, wie ich sie auch hatte.“ 

Es gibt keinen Bereich, in dem sie hinterherhinken würde. Die Frage ist, ob sie auch im Kopf Leistungssportlerin sein will.

Alexander Lüdeke, Nationaltrainer

Die Schülerin des „Sportlycée“ scheint trotz eines großen Rückschlags Ende 2018 nichts von ihrer positiven Lebenseinstellung verloren zu haben. Als sie bei den Ozeanien-Open in Perth (AUS) ein Knacken im Knie hört, ahnt sie nicht, dass das Fehlverhalten der Gegnerin sie neun Monate Hochleistungssport kosten wird. Die Diagnose Kreuzbandriss wird erst nach der Heimreise gestellt. Von Australien reist die FLAM-Delegation damals weiter nach Japan – wo Mosr erstmals ihrem neuen Nationaltrainer Alexander Lüdeke über den Weg läuft. „Humpelnd“, wie sich der Coach erinnert. „Ich hatte damals noch eine romantischere Vorstellung von meinen ersten Wochen hier gehabt“, sagt der Deutsche heute. Zurück in Luxemburg, wird die damals 18-Jährige aufgrund des Kreuzbandrisses operiert und Meniskusschäden behoben. 

Angst und Zweifel

Die langwierige Verletzung nutzt Mosr zur Reflexion – und beschließt, ein Zeichen setzen zu wollen: „Viele meiner Freunde und Vorgänger haben den Anschluss nicht mehr gefunden.“ Sie dagegen kämpft sich dank der täglichen Betreuung von Trainern und Physiotherapeuten zurück auf die blau-gelbe Matte. In den Händen der LIHPS-Fachleute (Luxembourg Institute for High Performance in Sports) Nina Goedert und Anouk Urhausen wird das Knie stabilisiert. Doch in den Augen einer Person schreitet die Reha noch nicht schnell genug voran: Lüdeke, der sich selbst als ungeduldigen Menschen bezeichnet, fordert mehr Einsatzwillen von der Athletin. „Ich verstehe, dass man Angst hat. Aber die muss von Woche zu Woche schwinden.“ 

Komplett überwunden hat die 19-Jährige ihre Befürchtungen seit Januar 2020. Die Nervosität legte sich nach dem ersten Trainingslager. Sorgen, dass das Knie zu früh belastet werden könne, hatte sie keine. Stattdessen plagt sie sich mit der Leistungsfrage herum: „Kann ich es noch so gut wie vorher?“ Zumindest an ihrem Talent für die asiatische Kampfsportart hat sie nichts eingebüßt. Bei jeder Turnierteilnahme sprang nach dem Comeback eine Medaille heraus. „Ausdauer, Bodentechniken … Es besteht in allen Bereichen noch Verbesserungsbedarf.“ Worte, die Trainer besonders gerne hören. 

Begeistert spricht Anetta Mosr über den familiären Zusammenhalt des Beforter Clans
Begeistert spricht Anetta Mosr über den familiären Zusammenhalt des Beforter Clans Foto: Editpress/Didier Sylvestre

Dass ausgerechnet ihre Zwillingsschwester – mit der sie 13 Jahre lang Glücksmomente und Niederlagen erlebte –  andere Visionen hat, beeinflusst Anetta heute weniger. „Gleichzeitig hoffe ich immer noch, dass sie sich zusammenrafft. Es ist besser, wenn man zu zweit ist. Man muss sich immer selbst motivieren, während man mit einer Schwester immer jemanden zur Seite hat, der mithilft.“ Die Tatsache, dass beide seit September erstmals ein gemeinsames Zimmer im Internat bezogen haben, erleichtert den täglichen Austausch – über Klamotten und Umweltschutz. Den Rücken stärken der 19-Jährigen auch ihre sportaffinen Eltern. Vater und Bruder sind Stützen der Befort Knights (Eishockey). Ihre Mutter Anetta trägt nicht nur den gleichen Vornamen, sondern auch die Sportart im Herzen. Die gebürtige Tschechin wanderte vor der Geburt der Töchter mit ihrem Mann nach Luxemburg aus und trainiert seither die Kindergruppen der Gemeinde Befort.

Das Verletzungspech hatte für Mosr nicht ausschließlich Nachteile. Zum einen wurde sich die angehende Biologie-Studentin bewusst, welche Ziele sie verfolgen will – zum anderen hat auch ihr Körper von der Auszeit vom Hochleistungssport profitiert. Durch das ständige „Gewichtmachen“ war Abnehmen 2018 zu einer Qual geworden. Kurzzeitig wechselte Mosr die Gewichtsklasse (von -63 zu -70 kg). „Mir muss niemand sagen, dass ich keine Schokolade essen soll. Ich ernähre mich gesund.“ Disziplin, Schulstress und Trainingsfleiß machten sich bezahlt: Ohne Diät fand Mosr während ihrer Reha zum alten Kampfgewicht zurück. 

Reine Kopfsache

Die Linkshänderin hat das Tief in ihrer jungen Karriere komplett hinter sich gelassen – und Platz für Träume. Sei es  jugendliche Leichtigkeit oder ihre Gutmütigkeit: Mosrs Fünfjahresplan sieht neben dem Biologie-Studium nicht nur die Teilnahme, sondern eine Medaille bei den Olympischen Spielen 2024 vor. Scheitern kann das Vorhaben an mehreren Dingen. Weiteres Verletzungspech oder „ob sie es schafft, das Pensum zu leisten und sich in den Momenten zu quälen, wo sie aufhören will“, weiß der Trainer. „Es gibt keinen Bereich, in dem sie hinterherhinken würde. Die Frage ist, ob sie auch im Kopf Leistungssportlerin sein will.“ 

Die Teilnahme an der U21-Europameisterschaft in der Coque ist 2020 ein riesiger Ansporn. Der Nationalcoach zweifelt weder an ihren Fähigkeiten noch daran, dass sie die Qualifikationskriterien erfüllen wird: „Sie ist eine gute Ippon-Werferin. Ihr Uchi-Mata (innerer Schenkelwurf) ist beeindruckend. Sie hat ein gutes Bewegungsgefühl und ist talentiert.“ Mosr selbst spricht offen von einer Medaille beim Wettkampf im eigenen Land – auch wenn das Edelmetall keine Garantie für ein Bestehen im Seniorenbereich darstellt. Will sie ihre Ziele erreichen, ist die Heim-EM im September ohnehin nur eine Zwischenetappe.  

Während ihres letzten Wettkampfs in Dänemark hatte die Judoka laut den Ärzten Glück: Es blieb bei einer Ellenbogenverstauchung, die schnell auskuriert werden sollte.
Während ihres letzten Wettkampfs in Dänemark hatte die Judoka laut den Ärzten Glück: Es blieb bei einer Ellenbogenverstauchung, die schnell auskuriert werden sollte. Foto: Editpress/Didier Sylvestre
Anetta Mosr ist engagierte Klima-Aktivistin. Bei der ersten „Fridays for Future“-Demo hatte sie sich für eine umgeänderte Strophe aus der Nationalhymne entschieden.
Anetta Mosr ist engagierte Klima-Aktivistin. Bei der ersten „Fridays for Future“-Demo hatte sie sich für eine umgeänderte Strophe aus der Nationalhymne entschieden. Foto: privat