Wo das Internet noch Neuland ist

Wo das Internet noch Neuland ist

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Von unserem Korrespondenten Mathias Peer

In Myanmar ist ein jahrzehntelang abgeschottetes Volk auf einen Schlag online gegangen. Der Berliner Konzern Rocket Internet ist Investor der ersten Stunde – und will das Land nun zu einer Nation der Online-Shopper machen.

Im Konferenzraum muss es ausgesehen haben wie nach einem Banküberfall. „Das ganze Zimmer war voll mit Bargeld“, erinnert sich Sumit Jasoria. Der Inder leitet Myanmars größte E-Commerce-Firma, die zum Firmengeflecht der Berliner Start-up-Schmiede Rocket Internet gehört. Für einen Tag und eine Nacht stellte er drei seiner Mitarbeiter ab, um die Scheine zu zählen. Der Bargeld-Berg war das Ergebnis einer Aktionswoche, in der Jasoria Smartphones zu reduzierten Preisen anbot. „Am Ende brauchten wir drei Autos, um die Einnahmen zur Bank zu liefern.“

Der Fall zeigt: Sogar Verkaufserfolge sind in Myanmar für Online-Händler eine Herausforderung. Weil kaum jemand über ein Bankkonto verfügt, werden fast alle Zahlungen in bar abgewickelt. Gleichzeitig ist fast jeder Internetnutzer in dem Land ein Neuling im Netz. Mit der Öffnung des lange isolierten Landes vor wenigen Jahren gingen auf einen Schlag Millionen Menschen zum ersten Mal online. Das macht das südostasiatische Land nun zu einem der am schnellsten wachsenden Internetmärkte der Welt. Als einer der ersten ausländischen Investoren hat sich das Berliner Unternehmen Rocket Internet in dem digitalen Neuland einen Namen gemacht.

Das Zentrum der Firma, die in Myanmar so wichtig werden will wie Amazon in Europa und den USA, liegt in einer ruhigen Wohngegend im Norden Yangons. Wo die anderen Villen in der Gegend einen geräumigen Vorgarten haben, steht hier ein aus blauem Wellblech gezimmertes Lagerhaus. In dem zweistöckigen Gebäude arbeiten rund 100 Mitarbeiter eng aneinandergereiht rund um dunkle Holztische für die Rocket-Internet-Firma, die unter dem Namen Shop.com.mm 2014 an den Start ging.

Online-Handel erklärungsbedürftig

Um zu zeigen, was das Online-Geschäft in Myanmar so besonders macht, führt Firmenchef Jasoria ins Erdgeschoss. Hinter einer Glaswand erledigen Lin Sandar Htike und ihre Teammitglieder einen Job, den es normalerweise nur in der Offline-Welt gibt: Sie sind die Verkäufer des digitalen Einzelhandels. Jeder von ihnen hat mehrere Handys vor sich liegen. Minütlich klingelt es irgendwo. Fast jeder Anrufer ist gerade kurz davor, zum ersten Mal in seinem Leben etwas im Internet zu bestellen. Die Kunden wollen wissen: Wie geht das überhaupt? Lin Sandar Htike erklärt geduldig, was ein Online-Einkaufswagen ist, wie Gutschein-Codes funktionieren und wo die Kunden ihre Adresse eingeben müssen. Klick für Klick führt sie durch den Bestellvorgang. „Die meisten Kunden haben nicht viel Ahnung von Technik“, sagt Jasoria. „Wir müssen ihnen erst erklären, was E-Commerce überhaupt ist.“

Mit dem Internet aufgewachsen ist in Myanmar so gut wie niemand. Noch 2009 schätzte die Weltbank die Zahl der Internetnutzer in dem Land auf nur knapp mehr als 100.000 – das entsprach 0,2 Prozent der Bevölkerung. Inzwischen sind laut dem internationalen Branchenverband GSMA mehr als 20 Millionen Menschen in dem 54 Millionen Einwohner großen Land im Netz – fast alle über Smartphones.

Dass amerikanische Online-Konzerne wie Amazon in Zukunft Myanmar erschließen könnten, macht Sumit Jasoria aber keine Sorgen. Er glaubt, dass sein Vorsprung nicht so schnell einzuholen ist. In Myanmars Provinzen habe er immerhin bereits ein Netzwerk aus 2.000 freien Mitarbeitern aufgebaut, die gegen Provision die Dorfbewohner zu Bestellungen motivieren. Zudem kenne inzwischen kaum jemand die Besonderheiten des Marktes so gut wie seine Firma. Einen der Tricks verrät er auch: Kondome seien einer der populärsten Artikel in Myanmars Versandhandel. Man müsse die Verhütungsmittel jedoch in absolut neutraler Verpackung verschicken, erklärt Jasoria. „Bevor wir das taten, wurde fast jedes Paket wieder zurückgeschickt.“