Wie viel Kinderarbeit steckt in unserer Technik?

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Was wäre das 21. Jahrhundert ohne seine Technik? Sie ist in unserem Alltag fest verwurzelt, bestimmt kontinuierlich unsere Kommunikation und lässt die Welt zu einem „globalen Dorf“ zusammenschmelzen. Doch Smartphones, intelligente Autos und Haushaltsgeräte, Laptops und Kameras sind für das Leben auf der Erde nicht rein positiv.

Kinder sortieren geschürften Kobalt ohne Schutzausrüstung in der Nähe einer Mine in der Region Kasulo, Demokratische Republik Kongo.

Die Materialien, die für die Produktion der inzwischen nicht weg zu denkenden Alltagsgüter benutzt werden, kommen oft aus sogenannten „Konfliktzonen“. Ob Gold, Zinn, Wolfram, Tantal oder Kobalt – an der Gewinnung der seltenen Materialien verdienen Großkonzerne Millionen, teilweise unter menschenunwürdigen Bedingungen.

Schon 2016 veröffentlichte Amnesty International den Bericht „This is What We Die For“ und deckte unter anderem auf, dass im größten Förderland von Kobalt – der Demokratischen Republik Kongo – das Metall mit Kinderarbeit und unter äußerst gefährlichen Bedingungen gefördert wird. Am Mittwoch veröffentlicht die NGO den Kobalt-Bericht 2017. Das Fazit der Menschenrechtsaktivisten: Es gibt Verbesserungen, aber noch zu wenig.

Kongo im Kobalt-Fokus

Kobalt gehört aktuell zu den wichtigsten Rohstoffen der Welt. Das Metall wird zur Herstellung von Lithium-Ionen-Batterien benötigt. Die wiederum werden in nahezu allen handelsüblichen und beweglichen Elektronik-Geräten verwendet – und seit einigen Jahren auch in modernen Elektroautos verbaut.

Nach Schätzungen des Marktforschungsinstituts Transparency Market Research hatte der globale Lithium-Ionen Batterie Markt schon im Jahr 2015 einen Wert von 30 Milliarden Euro. Im Jahr 2024 werden geschätzte 75 Milliarden über die Theke gehen. Die explosionsartig ansteigende Nachfrage nach den Batterien, angestachelt durch den wachsenden E-Automarkt, treibt den Preis für Kobalt zudem in schwindelerregende Höhen. Während das Kilo Kobalt 2012 im Durchschnitt 37,54 Euro kostete, lag der Preis im Jahr 2017 bereits bei durchschnittlich 60,17 Euro. In nur fünf Jahren hat sich der Preis für ein Kilo Kobalt also fast verdoppelt.

Die weltweit meisten bekannten Reserven von Kobalt liegen in der Demokratischen Republik Kongo. 2012 förderten Firmen dort insgesamt 51.000 Tonnen Kobalt. In China, dem zweitgrößten Lieferanten, waren es dagegen nur 7.000 Tonnen. Laut der Nachrichtenseite investingnews.com ist die Produktion im Kongo bis zum Jahr 2016 sogar auf 66.000 Tonnen gestiegen – mit der Aussicht auf weitere große Investitionen vom den Abnehmern in China.

Ob die Nachfrage nach dem seltenen Metall auch in Zukunft so rasch wächst, ist ungewiss. Einerseits wird das Recycling von Lithium-Ionen-Batterien momentan verbessert, damit ein größerer Teil der Bestandteile wiederverwertet werden können. Andererseits wird sowohl an einer längeren Lebensdauer der Batterien als auch nach Alternativen zu den „Konfliktressourcen“ geforscht. Damit könnte der Kobalt-Boom mit der Zeit wieder abflauen. Allerdings werden durch all diese Ideen mittelfristig die Probleme nicht gelöst, die Amnesty International in seinen Berichten von 2016 und 2017 anprangert.

Kinderarbeit und schwere gesundheitliche Schäden

Schon im Report von 2016 deckte Amnesty International auf, dass aus dem Kongo stammendes Kobalt teilweise durch Kinderarbeit und unter menschenunwürdigen Bedingungen gefördert wird. 2017 hat sich die Situation laut der NGO zwar etwas verbessert. Doch beim Hauptansatzpunkt, um die Menschenrechtsverstöße bekämpfen zu können – nämlich eine effektive Herkunftskontrolle in der Kobalt-Lieferkette – reichen die Bemühungen offenbar noch nicht aus.

Kobalt durchläuft vom reinen Rohstoff bis zur verarbeiteten Batterie einen langen Prozess. Am Anfang der Versorgungskette steht der handwerkliche Bergbau im Kongo. Minenarbeiter befördern den Rohstoff aus tiefen Schächten ans Tageslicht. Wird die Mine von einer größeren Förderfirma kontrolliert, kann diese für die Einhaltung der Menschenrechte sorgen. Allerdings wird im Kongo ein Großteil des Kobalts in kleineren, privaten Minen abgebaut.

Der Hauptabnehmer für kongolesisches Kobalt, Huayou Cobalt aus China, erklärt, dass die Kontrolle dieser Minen kompliziert durchzusetzen sei. Man könne nur schwer verhindern, dass dort keine Kinder für die gefährliche Arbeit eingesetzt werden. Amnesty International weist in seinem Bericht außerdem darauf hin, dass in vielen Minen im Kongo die Sicherheit der Minenarbeiter nicht gewährleistet sei. Meist steigen die Arbeiter – Frauen und Männer – unzureichend gekleidet und ungesichert in einsturzgefährdete Stollen. Auch der Kobalt-Abbau selbst kann für die Minenarbeiter extrem schädlich sein. Durch den Staub können die Arbeiter erkranken, etwa an heftigem Asthma. Viele der kleineren Minen liegen außerdem in direkter Nähe zu Dörfern und Siedlungen. Die hohe Schwermetallkonzentration in der Luft und im Wasser kann schwere Erkrankungen bei der Menschen auslösen, die in der Nähe leben.

Amnesty International hat versucht, den Produktionsweg des Metalls beispielhaft nachzuverfolgen. Die Arbeiter verkaufen ihr geschürftes Kobalt über Zwischenhändler an die Aufkaufhäuser in Musompo und Kapata. Von diesen wiederum wird das Metall erst zu einer ersten Schmelze namens Congo Dongfang Mining transportiert. Dann wird es zu einer Feinschmelze von Huayou nach China verschifft. Von dort geht es dann direkt zu den Batterieherstellern. Und diese Akkus nutzen Elektronik- und Autohersteller weltweit, um sie in ihren Produkten an die Konsumenten zu bringen.

Tesla, Microsoft, Apple, BMW…

Für ihre Berichte von 2016 und 2017 hat Amnesty International insgesamt 29 Firmen identifiziert, die diese Versorgungskette des kongolesischen Kobalts nutzen. Vor allem bei den Elektronik- und Automobilherstellern sind viele bekannte Marken dabei – unter anderem Tesla, Microsoft, Apple, BMW, Peugeot Group, HP, Huawei, Samsung und Vodafone.

Für ihren Bericht hat Amnesty International neben eigenen Recherchen allen involvierten Firmen einen Katalog von fünf Fragen zugeschickt. Hat das Unternehmen eine Lieferantenverbindung zu der Demokratischen Republik Kongo? Gibt es Systeme und Richtlinien, um Risiken und Menschenrechtsverletzung in der Lieferkette zu identifizieren? Hat die Firma aktiv nachgeforscht, ob solche Probleme bestehen? Wurden die gewonnenen Erkenntnisse öffentlich gemacht? Wurden Schritte unternommen, um Risiken oder Menschenrechtsverletzungen zu verhindern?

Was hat sich gebessert?

Es tut sich etwas – das ist die zentrale Botschaft des „Time-to-Recharge“-Bericht von Amnesty aus dem Jahr 2017. Für die Menschenrechtsproblematik bei der Kobaltförderung gebe es deutlich mehr Aufmerksamkeit, sagen die Aktivisten. Bis auf sechs Firmen konnten in diesem Jahr alle Informationen über ihre Lieferkette bereitstellen, auch wenn sich deren Anstrengungen größtenteils noch in engen Grenzen halten. Außerdem konnte Amnesty International feststellen, dass einige Unternehmen gemeinsame Initiativen gegen die Menschenrechtsverstöße gestartet haben. Einige Kobalt-Abnehmer verlangen nun sogar sogenannte „Herkunftsbescheinigungen“ für die Lieferungen.

Auch die EU hat 2017 eine Richtlinie zu den sogenannten „Konfliktmineralien“ beschlossen. Diese muss bis zum 1. Januar 2021 von den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden. Die EU zählt zu den umstrittenen Mineralien bislang nur Gold, Zinn, Wolfram und Tantal. Aber eine Erweiterung der Liste – unter anderem um Kobalt – wird diskutiert.

Nur heiße Luft?

Viel Substanz scheint der Bericht von Amnesty International den Anstrengungen der 29 betroffenen Firmen aber nicht einzuräumen. Die NGO kritisiert, dass es in vielen Fällen noch an Interesse der Firmen für ein genaues Hinschauen fehlt. Außerdem sei es ein Leichtes für die Unternehmen, sich hinter den gemeinsamen Initiativen vor der Verantwortung zu drücken.

Während die Organisation lobend zur Kenntnis nimmt, dass besonders gegen Kinderarbeit viel getan werde, würde über andere Menschenrechtsverstöße geschwiegen. Insgesamt fehle es an ausreichendem Druck, um die Firmen zu mehr Pflichtbewusstsein zu zwingen. Doch wer soll den aufbauen?