Von starrenden Polizisten und frustrierten Studenten

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Von unserer Korrespondentin Michelle Schmit

Ein Hauch von Mai 68 gibt es momentan in Paris. Studenten protestieren gegen die neuen Zugangsregeln, die die Regierung und Präsident Macron durchgesetzt haben. Demnach können Universitäten nunmehr unter bestimmten Bedingungen Bewerber abweisen, was die Angst vor Elitenbildung wachsen lässt. Die Luxemburgerin Michelle Schmit studiert in Paris und schildert ihre Gefühlswelt der letzten Woche an der Sorbonne für das Tageblatt.

Anmerkung der Redaktion: Am Freitagmorgen räumte die Polizei das „Tolbiac“-Gelände der Paris-1-Panthéon-Sorbonne-Universität.

Als wir Studenten der „Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne“ letzten Montag um 12.00 Uhr das „Centre Panthéon“ betreten wollten, bot sich uns ein seltsames Bild: Vor dem bislang von Demonstrationen verschonten Gebäude der Jurastudenten standen ungefähr zehn Sicherheitsmitarbeiter, die unsere Studentenkarten akribisch überprüften und Taschen durchsuchten. Seit der Ausrufung des „Etat d’urgence“ ist man das in Paris gewohnt. Dahinter erschien das Uni-Gebäude wie verlassen. Im großen Innenhof standen nicht – wie sonst üblich – Studenten und Professoren, die noch schnell eine letzte Zigarette vor dem Unterricht rauchten. Auch in den Gängen traf ich fast keine Studenten an.

Da ich bereits etwas zu spät war, war ich umso erstaunter, dass sogar mein Unterrichtssaal fast leer war. Wo normalerweise rund 200 Studenten mit ihren Laptops tippbereit sitzen, befanden sich an diesem Montag vielleicht 30. Während des Unterrichts hörte ich von anderen Studenten, weshalb: Die Sicherheitsleute hatten auf Anordnung hin ab 12.05 Uhr niemanden mehr ins Gebäude gelassen. Somit saßen mehrere Mitschüler draußen und hofften, dass unser Professor kommt, um sie nur einige Meter von unserem Unterrichtssaal entfernt abzuholen. Dieser verließ zwei Mal den Saal, um Studenten dabei zu helfen, ins Gebäude zu kommen, jedoch wollte er danach nicht alle paar Minuten den Unterricht unterbrechen und so mussten viele vor verschlossener Tür bleiben.

Mulmiges Gefühl

Ab ungefähr 13.00 Uhr hörten wir von innen ständig Polizeisirenen. Auch das erschreckt einen nicht mehr, wenn man einige Zeit in Paris lebt. Wenn man jedoch feststellt, dass diese Sirenen nur wenige Meter von einem entfernt aufheulen, dann wird man hellhörig. Als wir kurz vor 15.00 Uhr das Gebäude verließen, trafen wir draußen auf rund 30 mit Schlagstöcken bewaffnete Polizisten der „Compagnies républicaines de sécurité“ (CRS) und auf Hunderte Studenten. Jemandem, der aus einem Land wie Luxemburg kommt, in dem Streiks und Demonstrationen eher selten sind, gibt ein solches Bild schon ein mulmiges Gefühl.

Seit einigen Wochen wird überall in Frankreich gegen das „Projet de loi relatif à l’orientation et à la réussite des étudiants“ protestiert. Da immer mehr Schüler studieren wollen, kommt es mittlerweile zu Engpässen bei der Verteilung vorhandener Studienplätze. Dieses neue Gesetz sieht vor, dass eine Selektion künftig bereits im Gymnasium stattfinden soll und sich somit weniger Schüler überhaupt an den Universitäten anmelden dürfen. Da der Wille der Schüler bei einer solchen Vorgehensweise jedoch gar nicht berücksichtigt wird, kommt es immer wieder zu Protesten, damit dieses „Projet de loi“ nicht zum Gesetz wird. Unter anderem besetzen Studenten Universitäten in Montpellier, Toulouse, Straßburg und Paris. Sie wollen damit klarmachen, dass die Lösung nicht darin besteht, den Schülern keine Wahl mehr darüber zu lassen, wo und was sie studieren werden. Die Regierung soll stattdessen mehr in das Schulwesen investieren und somit mehr Studienplätze schaffen.

Letzten Montag sollte eine Schülerversammlung im „Centre Panthéon“ stattfinden, jedoch war keine Demo und schon gar keine Besetzung des Zentrums geplant. Es ist mittlerweile das einzige von zwölf „Centres“ der Universität, das nicht von Schülern besetzt oder von der Administration komplett geschlossen wurde. Es ist also umso schlimmer, dass man es für nötig hält, ständig Polizisten davor zu stationieren oder, wie an diesem Tag, die CRS zu rufen, die nichts anderes zu tun haben, als den ganzen Tag in die Gegend zu starren.
Einige Male wurde das Zentrum vergangene Woche kurzzeitig von der Administration geschlossen, angeblich als Vorsichtsmaßnahme. Aber Vorsicht wovor? Dass es sich dabei um eine Taktik handelt, Spannungen zwischen den Studenten zu kreieren, ist mir spätestens seit letztem Mittwoch klar. Da wurde das „Centre Panthéon“ unter folgendem Vorwand für einige Stunden geschlossen: Die Polizei soll angeblich gerufen worden sein, um ein anderes Zentrum zu räumen, und man soll daraufhin befürchtet haben, dass sich die betroffenen Studenten nun ins „Centre Panthéon“ begeben würden. Später stellte sich jedoch heraus, dass die Polizei gar nicht gerufen wurde. Man ließ das Zentrum also definitiv nicht als Vorsichtsmaßnahme schließen, sondern lediglich, damit die Studenten noch frustrierter werden und deshalb ihre Kameraden dazu aufrufen, mit den Demonstrationen aufzuhören.

Schwer verdaulich

Ich frage mich, warum man in dieser schwierigen Situation nicht mehr das Gespräch sucht. Dass der französische Präsident die ganze Bewegung nicht ernst nimmt, liegt auf der Hand. Seit Wochen bewegt sich etwas in Frankreich, aber Macron fällt zu diesem Thema nichts Besseres ein als ein Kommentar wie „il n’y aura pas d’examens en chocolat“. Vielleicht wäre es klüger, interne Angelegenheiten ernst zu nehmen und mehr Geld in das Bildungswesen zu investieren, damit jeder Schüler das Recht bekommt, zu studieren, wenn er das will, bevor man sich in Syrien einmischt.

So komplex die ganze Situation auch ist, fällt es mir schwer, das Bild zu verdauen, das sich mir letzten Montag bot: Auf der einen Seite stehen zehn Polizei-Transporter mit Blaulicht und Sirenen und unzählige schwer bewaffnete Polizisten, die fürs Rumstehen bezahlt werden, auf der anderen sitzen frustrierte Studenten vor einer verschlossenen Tür auf dem Boden, die endlich ihre letzten Unterrichtsstunden hinter sich bringen wollen. Und einige Meter weiter sitzt eine Frau mit ihren drei weinenden kleinen Kindern auf einem Pappkarton auf dem Boden und bettelt um Geld.