Unter kaputten Palmen

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Die Tropenstürme Irma und Maria haben in Puerto Rico eine Spur der Zerstörung hinterlassen. Zwei Monate danach sind viele Orte immer noch verwüstet und haben keinen Strom. Mit den 3,5 Millionen Einwohnern der Insel leidet auch der in Echternach aufgewachsene Thoma Reavis.

Tageblatt: Sie leben seit einiger Zeit in Puerto Rico. Über Facebook versenden Sie Botschaften, dass die Situation – auch zwei Monate nach den Stürmen – immer noch katastrophal ist …

Thoma Reavis

Thoma Reavis: Ja, das stimmt. Dass ich derzeit Stromzugang habe, liegt nur daran, dass ich bei Bekannten in der Ortschaft Luquillo lebe, die neben einer ehemaligen US-Navy-Basis wohnen. Die „Roosevelt Road Naval Base“ hatte zwar 2005 ihre Tore geschlossen, doch von einem Atom-Unterseeboot, das dort steht, werden wir nun mit Strom bedient.

Auf dem Rest der Insel sieht es jedoch düster aus. Die Infrastruktur (Netze und Transformatoren) waren bereits vor den Stürmen in einem schlechten Zustand. Und neben dem Strom ist auch der Zugang zum Internet vielerorts weiterhin nicht vorhanden. Sehr viele Menschen haben in den letzten zwei Monaten zudem ihre Jobs verloren. Es wird geschätzt, dass mehr als 150.000 bereits in die USA ausgewandert sind.

Was bedeutet es, wochenlang ohne Strom zu leben?

Ohne Strom geht es einfach nicht! Mit dem fehlenden Strom hat man kein Internet und keine Kommunikationsmöglichkeiten. Es gibt jedoch auch kein warmes Wasser – und überhaupt sehr wenig Druck auf den Leitungen, da die Pumpen Strom benötigen. Seit Anfang September kann ich nur kalt duschen. Auch zum Wäschewaschen ist kaltes Wasser nicht ideal. Finanziell ist es zudem deutlich teurer, sich mittels Generatoren selber zu versorgen. Die benötigen Benzin und machen viel Lärm. Das bedeutet alle zwei bis drei Tage Benzin kaufen – zudem benötigt der Generator Öl, um am Laufen zu bleiben. Teilweise mussten wir stundenlang in der prallen Sonne und Hitze Schlange stehen, um Treibstoff zu kaufen. Das ist psychologisch sehr ermüdend. Und jeder musste dies tun – ganz egal, ob reich oder arm.

Mittlerweile sind in den meisten Regionen wenigstens Generatoren an die Wasserversorgung angeschlossen worden. So ist wenigstens wieder Druck vorhanden. Das setzt jedoch voraus, dass Benzin vorhanden ist. Andernfalls heißt es wieder: Einige Tage warten.

Wie ernährt man sich in dem Fall?

Ich hatte demnach viel Glück, dass ich diese Bekannten habe. Die haben mich praktisch adoptiert, bis es wieder etwas besser geht. In meinem eigenen Haus kann ich nicht einmal kochen, dafür würde ich Strom benötigen. Glücklicherweise hat die Mutter meines Bekannten einen Gasofen – dann gibt es wenigstens eine warme Mahlzeit pro Tag.

Wie soll ein Außenseiter sich das alles vorstellen?

Es ist, als würde man im eigenen Haus campieren. An vielen Orten auf der Insel (abseits von der Küste) mussten die Menschen Regenwasser zum Überleben sammeln. Die vielen Kokosnüsse, die der Sturm von den Bäumen geworfen hat, waren für viele Menschen eine der wichtigsten Nahrungsquellen.

Da wir eine Insel sind, müssen wir 80 bis 90 Prozent aller Lebensmittel importieren. Benzin natürlich auch. Erst jetzt, acht Wochen nach dem Sturm, hat sich die Lage in den Supermärkten wieder normalisiert. Erst jetzt können wir wieder frisches Gemüse und Fleisch kaufen.

Wie bezahlen die Menschen das?

Das ist natürlich ein sehr großes Problem. Die zum Überleben notwendige Ausrüstung kostet in etwa 2.000 Dollar. Doch die Menschen hier haben das Geld nicht. Und das ist ein Problem. Hier herrscht viel Armut und die Menschen verdienen nur wenig. Der Mindestlohn liegt bei 7,5 Dollar pro Stunde.

Wie finanzieren Sie sich?

Meine Arbeit als Pferdeführer auf der Hacienda Carabali habe ich verloren. Jetzt erledige ich Drecksarbeiten, etwa ein Dach reparieren, Gras schneiden, Dreck wegräumen. Derzeit bin ich pleite. Ich bin aber auch immer noch Künstler ( ToxicT). Leider weiß ich nicht, in welchem Zustand meine rund 250 Bilder sind, die in Holzkisten in meinem Haus eingelagert sind. Ich hatte noch keine Gelegenheit, mir das anzuschauen. Strom und Licht sind dort noch nicht vorhanden. Die Bilder sind mein Leben …

Wie haben die Menschen auf den Notstand reagiert?

Die Menschen haben überaus zivilisiert auf die Krise reagiert. Die Berichte von CNN oder Fox News, die von Vergewaltigungen und Plünderungen redeten, waren nicht zutreffend. Ganz im Gegenteil: Die Menschen sind zusammengekommen. Einer hat dem anderen geholfen.

Versagt hat jedoch unsere Regierung vor Ort. Sie war nicht auf eine Krise vorbereitet und stellte sich quer bei internationalen Hilfsangeboten, etwa bei einem Krankenhaus-Schiff aus Kuba. Der Gouverneur ist zu stolz und er ist der Überzeugung, dass wir keine Hilfe benötigen würden. Und schuld an allem sind immer nur die anderen.

… das klingt nach Frust mit der Regierung …

Eines unserer größten Probleme sind unsere Politiker. Unser Gouverneur und der US-Präsident machen alles komplizierter, als es ist, da sie keine Prioritäten festlegen. Selbst in der Hauptstadt San Juan gibt es immer noch Probleme mit dem Strom. Dabei hat es dort traditionell gesehen immer schon die beste Infrastruktur der Insel gegeben.

Eines der Hauptprobleme auf der Insel ist die grassierende Korruption. Erst müssen Staatsbeamte bezahlt werden – und dann ist kein Geld mehr für die Stromnetze übrig. Und derzeit rollen die Köpfe. In vielen führenden Positionen geben Menschen ihre Jobs auf, da sie Konsequenzen befürchten.

Wie läuft der Wiederaufbau?

Naja. Sehr, sehr langsam. Selbst die USA haben nach dem Sturm zwei Wochen benötigt, um in Bewegung zu kommen. Anfangs mussten wir bis zu sechs Stunden warten, um Benzin kaufen zu können. Und auch als das Militär (zwei Wochen später) eintraf, konnte nur punktuell Menschen geholfen werden. Heute gibt es immer noch Menschen auf der Insel, die noch keine Hilfe erhalten haben, vor allem abseits von der Küste (Monrovis, Utada …). Es fehlen Bagger, Motorsägen usw.

Und auch wenn das Stromnetz nun wieder aufgebaut wird, verändert sich doch nichts. Es werden neue Pfähle in den Boden gerammt, aber keine Leitungen in der Erde verlegt. Doch der nächste Sturm kommt bestimmt … und dann wird sich alles noch einmal wiederholen.

Ein anderes Thema ist unsere Natur. Fast alle Bäume sind umgefallen. Der Tierwelt, etwa den geschützten Papageien, geht es dabei nicht besser als den Bäumen. Der Nationalpark El Junque (Regenwald) ist komplett zerstört. Ich wohne zehn Minuten von dort. Nichts ist mehr grün – alles ist braun. Das bedeutet jedoch, dass eine Million Touristen das Land nicht mehr besuchen werden. Bis April bleibt der Park wohl geschlossen.

Hinzu kommt, dass die Abfall-Wirtschaft mit ihrer Arbeit nicht mehr nachkommt. Die Deponien sind voll und die Menschen werfen ihren Müll in die Natur. Es gibt überhaupt keine Kontrolle mehr. Doch auch bereits vor den Stürmen war Umweltschutz hier kaum ein Thema.

Auch insgesamt gibt es auf der Insel derzeit keine Wirtschaft mehr. Ohne Strom können weder die großen noch die kleinen Fabriken arbeiten. Damit hat die Auswanderung von der Insel weiter zugelegt.

Wie kommt es überhaupt, dass jemand, der in Echternach aufgewachsen ist, in Puerto Rico lebt?

Von Echternach aus ging es zuerst nach Kalifornien. Doch nach 28 Jahren in Los Angeles hatte ich lange genug in der Filmindustrie gearbeitet. Ich wollte etwas anderes tun – nicht mehr in einer stressigen und oberflächlichen Großstadt leben. Hier in Puerto Rico hatte ich Urlaub gemacht – sechs Monate später bin ich dann umgezogen.

Einen Ratschlag für Menschen, die vergessen haben, wie es ist, ohne Strom zu leben?

Kerzen für den Notfall und solarbetriebene Lampen. Das benötigt jeder, um in den ersten Tagen zu überleben. Davon abgesehen: Viel Nahrungsmittel in Dosen vorrätig haben – im Zweifelsfall funktioniert der Kühlschrank nicht. Und man braucht Bargeld, um alles zu bezahlen.