Tschernobyl setzt auf Sonnenenergie

Tschernobyl setzt auf Sonnenenergie
Solarpanels auf dem Gelände des Tschernobyl-Reaktors.

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Die ukrainische Regierung will auf dem Gelände von Tschernobyl ein Solarkraftwerk in Betrieb nehmen.

Die ukrainische Regierung will das Gelände des Kernkraftwerks Tschernobyl wieder in ein Energiezentrum verwandeln – diesmal mithilfe der Solarenergie. Ein kleineres Pilotprojekt ist von einem ukrainisch-deutschen Firmenkonsortium bereits umgesetzt worden.

Von unserem Korrespondenten Axel Eichholz

3.800 Solarzellen bedecken eine Fläche von 1,6 Hektar. Sie wurden auf einem Betonsockel aufgebaut, weil der Unterboden immer noch stark strahlt. Die Solarplatten wandeln das Sonnenlicht unmittelbar in Elektrizität um, ohne den Umweg über Wärme. Es ist nicht die billigste Bauart, sie ist aber am wenigsten störanfällig und erfordert auch den geringsten Wartungsaufwand. Das Besondere daran ist ihre Lage. Die Solaranlage befindet sich in Tschernobyl, nur 100 Meter von dem 1986 havarierten vierten Reaktor entfernt.

Deutsch-ukrainisches Pilotprojekt

Es ist eine kleine Solaranlage mit einer Leistung von einem Megawatt, vergleichbar mit einem Kraftwerk zur Versorgung einer kleinen Siedlung oder eines Stadtteils mit 2.000 Wohnungen. Nach dem Super-GAU hatten die heil gebliebenen Reaktoren noch jahrelang Strom für den Eigenverbrauch produziert, bis das komplette Atomkraftwerk (AKW) stillgelegt wurde. Nun sollen umweltfreundliche Solaranlagen, eigentlich das Gegenteil des einstigen Atomkraftwerks, die ganze 30-Kilometer-Sperrzone um Tschernobyl mit Energie versorgen und sie auch nach auswärts liefern.

2016 hatte die Gesellschaft Solar Tschernobyl, ein Gemeinschaftsunternehmen der ukrainischen Rodina Energy Group und der Enerparc AG in Hamburg, das Pilotprojekt zum ersten Mal in Angriff genommen. Jetzt sagte der Generaldirektor von Rodina Energy, Jewgeni Warjagin, laut Medienberichten der Nachrichtenagentur AFP, der Bau sei abgeschlossen. Angaben zufolge hat er eine Million Euro gekostet. In sieben Jahren soll sich die Anlage rentiert haben.

Tschernobyl soll wieder Energiezentrum werden

Es soll auch nicht bei diesem ersten zaghaften Versuch bleiben. Solar Tschernobyl denkt an weitere Sonnenkraftwerke überall in der Sperrzone mit einer möglichen Gesamtleistung von vier Gigawatt. Es gebe mehr sonnige Tage in der Ukraine als in Deutschland, heißt es. Auch die ukrainische Regierung trägt sich mit der Idee, das Gelände um das 1986 havarierte Kernkraftwerk wieder in ein Energiezentrum zu verwandeln – diesmal mithilfe der umweltfreundlichen Sonnenenergie.

Die Ukraine wäre bereit, rund 1.100 Hektar Land dafür zur Verfügung zu stellen. Man kann sich schon jetzt um konkrete Baugrundstücke in der sogenannten Zone bei der staatlichen Agentur der Ukraine zur Verwaltung der Sperrzone bewerben. Gedacht sei an Standardkraftwerke für jeweils 20 Megawatt, heißt es. Interessenten aus China wollen aber schon jetzt ein Kraftwerk für eine Leistung von einem Gigawatt bauen. Auch die französische Engie SA soll sich bereits beworben haben. Die Mietpreise für die Grundstücke sollen sich nach der Lage und der vorhandenen radioaktiven Verstrahlung richten.

Infrastruktur besteht noch

Bisher unbestätigten Berichten zufolge hat das benachbarte Weißrussland ebenfalls ein Sonnenkraftwerk in seinem Abschnitt der Sperrzone gebaut. Seine Leistung wird mit 18 bis 23,5 Megawatt angegeben. Minsk hatte bereits versucht, die Sperrzone landwirtschaftlich zu nutzen. Größtenteils ist die Verwendung dieser Gebiete aber nur für die Stromerzeugung möglich. Der Bau der ersten ukrainischen Solaranlage dicht am Unfallreaktor hat auch einen besonderen Sinn. Nach dem AKW Tschernobyl blieben umfangreiche Hochspannungsleitungen und Trafoanlagen zurück, die sich für den Transport von Solarstrom ebenfalls nutzen lassen. Vor allem gab die Errichtung einer neuen Schutzhülle über dem Unglücksreaktor den Wiederaufbauplänen in Tschernobyl den Auftrieb. Sie soll noch mindestens 100 Jahre halten.

Die Sperrzone lebt

In der Sperrzone hat man sich an das Leben mit der Strahlung gewöhnt. Touristen besuchen furchtlos die Zone und nehmen gern ein Fläschchen Hausbrand aus Tschernobyl-Kartoffeln als Souvenir mit nach Hause. „Unser Schnaps ist gut gegen Strontium“, sagen vorwiegend ältere Bewohner der Sperrzone, die ihre Häuser nicht verlassen wollten. Aber auch von offizieller Seite hört man neuerdings oft, die Strahlung sei anfangs maßlos überschätzt worden. In Wahrheit ist die Radioaktivität heute so gefährlich wie zuvor. Allerdings sind die Behörden zu der Erkenntnis gelangt, dass die Zone hochgefährlich wird, wenn man sie nicht kontrolliert. Und diese Kontrolle wäre ohne Energie nicht möglich. Es geht dabei nicht nur um den technischen Aspekt. Wilde Tiere, die sich dort übermäßig vermehrt haben, tragen die Radioaktivität über die Sperrzonengrenze hinaus. Aus dem Gefängnis entwichene Sträflinge und sonst alle, die Kontakt mit der Polizei und dem Geheimdienst meiden, siedeln sich in der Zone an. Auch Terroristen jeder Art zieht sie an.