Politik nach dem Balkankrieg

Politik nach dem Balkankrieg

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Für sein Forschungsprojekt „ELWar“, das die Auswirkungen des Krieges im Balkan auf das politische Verhalten in der Region untersucht, hat Prof. Dr. Josip Glaurdic von der Universität Luxemburg finanzielle Unterstützung vom Europäischen Forschungsrat (ERC) erhalten. Das erleichtert seine Forschungsarbeit und gibt der Uni Luxemburg mehr Sichtbarkeit.

„Ich wollte herausfinden, warum der Balkan so viel Mühe mit seiner Vergangenheit hat, warum die Geschichte immer noch so präsent in den Köpfen – und dadurch eben auch im Wahlverhalten – ist.“ Prof. Dr. Josip Glaurdic kommt aus Kroatien, er ist in Split aufgewachsen und hat dort den Krieg im Alter von zwölf bis 16 Jahren direkt miterlebt. Diese Voraussetzung sei wichtig für ein so ehrgeiziges Projekt wie die aktuelle Forschungsarbeit über die Auswirkungen des Krieges auf das Wahlverhalten der Einwohner.

1,5 Millionen Euro Unterstützung

Vier Wissenschaftler, darunter zwei Post-Doktoranden, arbeiten zusammen mit ihm an der Untersuchung, die am 1. Oktober 2017 startete und sich über fünf Jahre erstrecken wird. Diese Forschungsarbeit, die vom Europäischen Forschungsrat mit 1,5 Millionen Euro unterstützt wird, ist ein Projekt, das der Wissenschaftler schon lange in sich getragen hatte und das er gewissermaßen mit nach Luxemburg gebracht hat, wo er seit dem 1. April forscht und lehrt.

Teamarbeit: Dr. Josip Glaurdic (Bildmitte) mit seinen Assistenten Dr. Christophe Lesschaeve, und Dr. Michal Mochtak

Josip Glaurdic hat ab 1996 Politik in den USA studiert. Schon vor seiner Doktorarbeit in Yale, die er 2009 abgab, war ihm nahegelegt worden, an Projekten zu arbeiten, die auch in Zeiten knapper Geldmittel international wissenschaftliches Interesse erwecken.
„Ein Projekt, das Ihnen nahesteht, das Sie aber ohne allzu große persönlichen Emotionen angehen können“, war damals die Aufforderung. Glaurdic hatte bereits in seiner Doktorarbeit die internationalen Antworten auf das Auseinanderbrechen des vormaligen Jugoslawiens studiert und sah in einer weiteren Analyse des Wahlverhaltens eine logische Fortsetzung dieser Untersuchung.

Wahlanalysen in Kroatien

Glaurdic ging zwar zunächst an die britische Prestige-Universität Cambridge, ließ sein Projekt jedoch nicht außer Auge. „22 Jahre nach dem Krieg haben viele Familien Flüchtlinge, ehemalige Frontkämpfer, Tote und Verletzte in ihrem engen Kreis. Alle haben den Krieg in irgendeiner Form direkt miterlebt. Und diese Erinnerungen beeinflussen eindeutig das Wahlverhalten“, erklärt der Wissenschaftler.

Seine Nachforschungen begannen mit Wahlanalysen in Kroatien, bei denen festgestellt wurde, dass Menschen, die dem Krieg und seiner Gewalt direkt ausgesetzt waren, auch in Friedenszeiten eher nationalistischen und extremen Bewegungen ihr Vertrauen schenken. „Daraufhin wollte ich herausfinden, ob die Vergangenheit dieses Wahlverhalten beeinflusst. Die Antwort war ein klares Ja und daraufhin der Ansporn für weitere Nachforschungen. Wir wollen jetzt wissen, warum das so ist. Solange wir die Mechanismen nicht verstehen, kann die Politik keine Lösungen finden und keine Antworten geben.“

Der Campus Belval der Uni Luxemburg

Von Belval begeistert

Prof. Dr. Glaurdic ist von Belval, wo er seit dem 1. April tätig ist, hellauf begeistert. „Ich wollte unter anderem aus Cambridge weggehen, weil die interdisziplinäre Zusammenarbeit dort mitunter schwierig ist. Hier in Luxemburg ist die Lage hingegen ideal. Ein multikulturelles, internationales Umfeld und eine ’Maison des sciences humaines‘, in der alle Disziplinen gewissermaßen zusammensitzen und man sich schnell und unkompliziert austauschen kann“, schwärmt der Wissenschaftler.

Ein zusätzliches Plus sei die Nähe zu den Europäischen Institutionen, „der größten Organisation, die aus den Nachwehen des Zweiten Weltkrieges entstanden ist“. Genau wie das ehemalige Jugoslawien sei auch Europa an der Basis ein Zusammenschluss unterschiedlicher ethnischer Gemeinschaften, genau wie die sechs Länder im Balkan mussten sich die EU-Gründer über das Kriegsgeschehen hinwegsetzen.

Die notwendige Distanz

Auch die Frage nach der geografischen Entfernung vom Ort seiner Forschungsarbeit bringt Glaurdic nicht in Verlegenheit. „Wir werden in den nächsten Jahren in die Region reisen und dabei Beziehungen mit den Regierungen, den Parteien, den wirtschaftlichen Entscheidungsträgern und den vor Ort tätigen Hilfsorganisationen aufnehmen.“ Auch die Aktualität vor Ort wird von den Forschern genau verfolgt. Das sei mithilfe der modernen Medien, allen voran der Sozialnetzwerke, kein Problem, meint er. Sein Standort in Luxemburg gebe ihm die notwendige Distanz.

Die Zukunft seiner Heimat sieht Glaurdic in enger Verbindung mit der Europäischen Union und deren Beziehungen zu den USA. Wenn sich beide einig werden, dann könnte der Balkan mittelfristig (die Rede geht hier von 20 Jahren) in die Union aufgenommen werden. Steigt aber die Instabilität in der EU und die Vereinigten Staaten halten sich zurück, dann werde die Gewalt – und dadurch die Unsicherheit – auch in den Balkanstaaten wieder steigen.


Der Bürgerkrieg in Bosnien kostete zahlreiche Menschenleben dpa

ELWar-Forschungsprojekt

Der Name steht für „Electoral Legacies of War: Political Competition in Postwar Southeast Europe“ (Auswirkungen des Krieges auf Wahlen: Politischer Wettbewerb im Südwesten Europas). Das Projekt untersucht den politischen Wettbewerb und das Wahlverhalten der vergangenen 30 Jahre in Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien. Es geht davon aus, dass Krieg die Menschen und die Gesellschaft verändert, dass er das gesellschaftliche, wirtschaftliche und physische Gefüge zerstört.

Politische Entscheidungen, die nach einem Konflikt bewusst oder unbewusst getroffen werden, gestalten die Gesellschaft um. Die Wissenschaftler wollen herausfinden, was die Entscheidungen beeinflusst. Sie gehen bei ihren Nachforschungen davon aus, dass wir wenig über die Art und Weise wissen, wie Konflikte die politischen Systeme beeinflussen, was sich auf die Wahlergebnisse und die Regierungsweise in diesen Ländern auswirkt.

Um einen ganzheitlichen Überblick des politischen Geschehens in der Nachkriegszeit zu erhalten, wird das Forschungsteam drei unterschiedliche Gesellschaftsgruppen untersuchen: Politische Parteien, Wähler und Gemeinden. Analysen von parteiinternen Dokumenten, Beziehungen der Parteien mit der Zivilgesellschaft und Interviews werden Aufschluss darüber geben, wie sich Kriege auf Wahlstrategien, politische Präferenzen und Rekrutierungsmethoden auswirken.


Kriege im Balkan

Die politischen Unruhen im Balkan begannen 1980 nach dem Tod des langjährigen Präsidenten Josip Broz Tito. Nach ihm regierten die Vertreter der einzelnen Republiken kollektiv, wobei die Präsidentschaft jedes Jahr wechselte. Durch das Ende des Kalten Krieges schwand die Unterstützung der Machtblöcke und stürzte Jugoslawien in eine wirtschaftliche Krise, die es an den Rand des Staatsbankrotts brachte und nationale Politiker wie den Serben Slobodan Milosevic oder den Kroaten Franjo Tudjman stärkte.

Ab 1991 forderte mit Kroatien, Mazedonien und Bosnien eine Teilrepublik nach der anderen Eigenstaatlichkeit. In Kroatien dauerte der Krieg von 1991 bis 1995 mit schweren Kämpfen in Vukovar und Dubrovnic, in Bosnien wurde von 1992 bis 1995 gekämpft, erst nach internationalem Druck beendete der Dayton-Vertrag die Kämpfe. 1999 bracht nochmals ein bewaffneter Konflikt um die Kontrolle des Kosovo aus, bei dem die NATO von März bis Juni eingriff.

Bis heute urteilt das Internationale Strafgericht der UNO in Den Haag über die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien. In mehr als 11.000 Prozesstagen hat es 161 Angeklagte verurteilt, sechs davon zur Höchststrafe. Schlagzeilen hatte es erst letzte Woche gegeben, als der bosnisch-kroatische Kriegsverbrecher Slobodan Praljak nach dem Urteilsspruch im Gerichtssaal Gift schluckte.


Starting Grant

Der „Starting Independent Researchers Grant“ wird vom Europäischen Forschungsrat (eine Institution der EU-Kommission zur Finanzierung von Grundlagenforschung) an junge, innovative Forscher verliehen, die ein neues Projekt aufbauen. Sie können dabei eine Finanzhilfe bis zu zwei Millionen Euro für fünf Jahre bekommen. Der Auswahlprozess ist sehr streng, nur knapp zehn Prozent der Projekte werden angenommen. Unterstützung vom Forschungsrat gibt es auch für fortgeschrittene Wissenschaftler.

Voraussetzung für den „Starting Grant“ ist unter anderem die Risikobereitschaft der Forscher, die zwar bestehen, aber genau argumentiert werden muss.
Luxemburg wurde schon achtmal vom Forschungsrat unterstützt. Stipendiaten sind die Physiker und Materialforscher Jan Lagerwall, Alexandre Tkatchenko und Massimiliano Esposito und die IT-Wissenschaftler Lionel Briand und Björn Ottersten. Dreimal wurde ein „Starting Grant“ an junge Forscher verliehen. Das sind der Ingenieurwissenschaftler Stéphane Bordas, der Politologe Josip Glaurdic und seit November die Molekular-Physiologin Ines Thiele.

S.N.
13. Januar 2018 - 4.07

Eine interessante Idee, aber eine solche Untersuchung sollte wohl eher jemand machen, der absolut nichts mit den Ländern zu tun hat und auch nie in irgendeiner Form involviert war. Eine solche Praxis kann und wird nur einer Seite dienen und zwar nur denen die das Resultat bezahlen... Besser wäre hier irgendeinen Experten von der anderen Seite der Welt damit zu beauftragen. wer Bangladesch, China..., so wäre zumindest die Glaubwürdigkeit der Arbeit gestärkt.