Niederlande und Luxemburg: Große Meister

Niederlande und Luxemburg: Große Meister

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Beide sprechen eine ähnlich hölzerne Sprache, mögen ähnlich geschmacklosen Käse und spielen nicht bei der Fußballweltmeisterschaft mit. Die Niederlande und Luxemburg verbindet vieles. Ein Punkt, der nicht immer auf dem Schirm ist: Beide Länder gehören zu den ganz großen Playern, wenn es um Steuervermeidung internationaler Unternehmen geht. Hier spielt jeder seine eigene Rolle – und beide ergänzen sich wie von selbst.

Dass Luxemburg seine Rolle zur Perfektion spielt, wissen wir. Doch es ist ein Spiel, in dem viele Rollen vergeben sind. Und auch die anderen Hauptdarsteller im internationalen Netz der Steuervermeidung sind gewiefte Akteure mit internationalem Renommee. Nur spielen sie eben eine andere Rolle, hüten und bearbeiten andere Schlupflöcher.

Ab heute ist ein Bruder im Geiste, ein Partner, ein komplementäres Puzzleteil zu Besuch im Großherzogtum: Ohne die Niederlande wäre Luxemburgs Finanzplatz nicht der, der er ist – nämlich der Welt zweitgrößtes Zentrum für Investmentfonds. Nur in den USA sind mehr als die 4.200 Milliarden Euro beheimatet, mit denen Luxemburgs Investmentfonds in der Welt hantieren.

Das Geld muss natürlich von irgendwo herkommen, es fällt nicht vom Himmel, auch in Luxemburg nicht. Es ist Geld, das durch die Welt fließt, von Land zu Land, meist von einem Tochterunternehmen eines einzigen multinationalen Mutterkonzerns zum anderen. Zur Illustrierung lässt sich der größte Bierbrauer der Welt heranziehen. Anheuser-Busch InBev besteht aus mindestens 680 Unternehmenseinheiten, die in mindestens 60 verschiedenen Ländern niedergelassen sind. Das ist ein Beispiel. Andere Große verfahren ähnlich. Um Steuern zu vermeiden, machen sie sich die Gesetzgebungen einzelner Länder zunutze.

Das Geld muss fließen

Forscher der Universität Amsterdam haben im vergangenen Jahr 98 Millionen Unternehmen und 71 Millionen mit ihnen zusammenhängende Eigentümerverhältnisse analysiert. So wollten sie aufzeigen, welche Länder welche Rolle spielen, wer die „Offshore Financial Centres“ (OFC) dieser Welt sind, auf welchen Wegen das Kapital der Multis wohin fließt und wo dieser Fluss endet.

Herausgekommen sind vor allem zwei Gruppen von Ländern: 24 sogenannte „Sink OFCs“, also Staaten, die ausländisches Kapital anziehen und dort behalten, und „Conduit OFCs“, demnach Staaten, durch die dieses Kapital fließen muss, um möglichst wenig an Steuern darauf zu verlieren – und im Idealfall gar keine zu zahlen. Die englischen Wörter „Sink“ und „Conduit“ sollen diese Arbeitsweisen bildlich wiedergeben: Die einen Länder sind die Abflüsse, die anderen die Leitungen, die zum Abfluss führen.

Luxemburg ist neben Hongkong eines der bedeutendsten „Sink OFCs“, also der Destinationsländer, von denen die Corpnet genannte Forschergruppe insgesamt 24 identifizierte. Von den „Conduit OFCs“, den Transferländern, gibt es nur fünf. An ihrer Spitze stehen die Niederlande, gefolgt vom Vereinigten Königreich, Irland, Singapur und der Schweiz. Allein durch die Niederlande fließen demnach rund 23 Prozent der weltweiten Finanztransfers.

Wer den internationalen Kampf gegen Steuervermeidung führen will, sollte sich also schleunigst von seinem Bild im Kopf verabschieden, mit Steueroasen wären komische kleine Inselgebilde gemeint, denen die internationale Gemeinschaft sowieso nicht mit Gesetzen und Regulierungen beikommen kann. Vielmehr handelt es sich, wie die Fälle Luxemburg oder Irland oder eben die Niederlande zeigen, um Staaten in streng geregeltem Umfeld, die über eine große Rechtssicherheit verfügen und eng mit den Regulierern verbunden sind, Mitglied dieser Bündnisse oder Gremien sind oder dort gar die Richtung angeben (etwa in der Europäischen Union, der OECD oder der Eurogruppe).

Um sich als Transferland zu qualifizieren, braucht es einige juristische Grundvoraussetzungen, dazu eine gute Verkehrsinfrastruktur und hoch spezialisierte Dienstleister. Doch beide letztgenannten Punkte sind unerheblich, wenn der Rahmen nicht steht. Die Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung sind ein gewichtiger Teil dieses Rahmens. Just hier gelten die Niederländer als große Meister, das Netzwerk, das sie weltweit geflochten haben, ist besonders dicht.

Oft würden den Doppelbesteuerungsabkommen eher der Titel von Abkommen zur Vermeidung irgendeiner Steuer zustehen. Denn im Eigentlichen geht es genau darum: dass sich beide nationalen Steuerbehörden im spezifischen Fall als nicht zuständig erachten. Die USA sagen also nein danke, die Niederlande ebenfalls, das Unternehmen, das seinen Gewinn unangetastet um die Welt schickt, sagt hingegen Danke.

Bono und die Stones

Zusätzlich wird in den Niederlanden keine Quellensteuer erhoben, wenn Kapital in Form von Zinsen oder Dividenden ins Ausland überwiesen wird. Auch auf den Lizenzgebühren, im Fachjargon Royaltys, werden in den Niederlanden kaum Steuern erhoben. Solche Lizenzgebühren können sehr breite Bereiche abdecken. Wenn die Kaffeehauskette Starbucks irgendwo auf der Welt einen Shop eröffnet, muss die jeweilige nationale Niederlassung der Kette Gebühren bezahlen für die Rezepte, die Tassen, das Design der Läden usw. usf. Diese Gebühren, die den eigentlichen Gewinn in den einzelnen Ländern nach unten drücken helfen, fließen aber nicht in die USA ins Starbucks-Hauptquartier (wo Trump die Unternehmenssteuer zwar von 35 auf 21 Prozent senken will), sondern an die Starbucks-Niederlassung in den Niederlanden, wo alle Lizenzgebühren steuerlich äußerst freundlich behandelt werden. Dieser Umgang mit den Royaltys machte die Niederlande auch für die Rolling Stones, Bono von U2 oder Google attraktiv genug, um auf das Angebot einzugehen.

Wiederum ist es aber so, dass ein einzelnes Land nicht viel ausrichten kann. Erst aus dem Zusammenspiel mit anderen Akteuren heraus werden die Konstruktionen so mächtig, dass internationale Firmen auf legalem Wege Unmengen an Steuern sparen können. Die Fachwelt hält auch die passenden Begriffe zu diesen komplizierten Vorgängen parat. So kommt es zum Beispiel zu Begriffen wie dem des Double Irish With a Dutch Sandwich. Ohne auf die Details einzugehen, verbirgt sich dahinter ein Herumschieben von Geldern aus einem europäischen Land wie etwa Deutschland oder Frankreich in Richtung der Transferländer Irland und Niederlande, von wo aus sie dann möglichst unberührt von Steuerzugriffen in ein Destinationsland wie die Bermudas, die Cayman-Inseln – oder eben Luxemburg überführt werden.

Man kann von unglücklichen Lücken im Zusammenspiel nationaler steuerlicher Rechtsordnungen sprechen. Man kann aber auch sehen, dass diese Lücken gar nicht so unglücklich zustande kommen, sondern genauso gewollt sind. In den Niederlanden wie auch in Luxemburg haben Lobbyisten in diesem Bereich einen starken Einfluss auf die Gesetzschreibung. Ihr Versprechen lautet immer gleich: Schreibt uns die Reglementierung, wie wir sie brauchen – und dann machen wir das Business, wie ihr es wollt.

Die Steuergesetzgebung in der Europäischen Union liegt bei den Mitgliedstaaten. Da aber unter anderem Luxemburg, Irland und die Niederlande mit ihren Steuervorbescheiden, den Tax Rulings, die Sache wohl etwas zu bunt getrieben haben, trat die EU-Kommission trotzdem aufs Parkett und sagte halt, so nun auch wieder nicht. Der Grund für das Eingreifen liegt darin, dass besonders vorteilhafte Regelungen für einige Unternehmen anderen schaden würden. Was wiederum das Wettbewerbsrecht betrifft, worüber die EU das Sagen hat.

Die angreifbaren Fünf

Die Niederlande sollen rund 4.000 solcher Rulings abgeschlossen haben. Nach diversen Skandalen hatte sich die Regierung bereit erklärt, diese noch einmal genauer zu analysieren. Auch die größten Steuerschlupflöcher (wie jenes mit dem Doppelbesteuerungsabkommen mit den USA) sollen geschlossen werden. Die Niederlande haben sich aber eine Übergangsfrist herausgeschlagen. Erst im Jahr 2022 soll damit Schluss sein. Der Kampf gegen Briefkastenfirmen soll dann zu Ende geführt sein.

Das wäre auch das Ende der Geschäftsgrundlage der „Kamerplantentour“. Die Zimmerpflanzentour führt ihre Gäste durch die Finanzdistrikte Amsterdams. Dort werden sie in Bürotürme gebracht, wo durch Milchglasscheiben als einzige Lebenszeichen Yuccapalmen zu erkennen sind. Kleine Palmen und Gummibäume sollen den Eindruck erwecken, dass es sich nicht um Scheinfirmen handelt, die ihren Sitz in den Niederlanden nur haben, um Steuern zu vermeiden. Mit der Kamerplantentour wollen Finanzjournalisten und Künstler auf die dunkle Rolle aufmerksam machen, die ihr Land im internationalen Wettkampf um die Steuervermeidung internationaler Unternehmen spielt.

Und die Rolle ist präzise gezeichnet. Die Forscher der Universität Amsterdam haben nicht bloß die zwei Kategorien der „Sink OFCs“ und der „Conduit OFCs“ klar umrissen. Sie gingen noch weiter und fanden mit ihren Analysen der Geldflüsse und Besitzverhältnisse heraus, dass sich die verschiedenen Transferländer die Welt aufgeteilt haben. Während das Vereinigte Königreich vor allem als Brücke nach Asien dient, sind die Niederlande demnach die Hauptleitung zwischen europäischen Unternehmen und den Destinationsländern Curaçao, Zypern, Bermuda – und vor allem Luxemburg.

Mit ihrer Analyse wollen die Forscher auch ein Gegenmodell zu jenen der Europäischen Union und der OECD anbieten, die beide zwar Listen mit Steuerparadiesen führen, auf denen aber jeweils die großen europäischen Spieler fehlen, da sie ganz einfach andere Bemessungsgrundlagen heranziehen, wenn sie definieren, welches Land ihnen als Steueroase gilt und welches nicht. Die Forscher betonen, dass ihnen die rezenten Anstrengungen für mehr Transparenz der eigenen Staaten nicht entgangen sind. Gleichzeitig zweifeln sie an, dass diese letztendlich zielführend sein können. Auch die BEPS-Kriterien der OECD halten sie für kaum ausreichend.

Wolle die Weltgemeinschaft wirklich etwas gegen internationale Steuervermeidung von Großunternehmen ausrichten, zeige ihre Analyse die Richtung auf: Es seien nicht die „Sink OFCs“, die es zu attackieren gelte, deren gebe es zu viele, sie kämen immer wieder auf, schließe man eines, öffne sich ein anderes. Die internationalen Bemühungen sollten sich vielmehr gegen die „Conduit OFCs“ richten – und demnach vornehmlich gegen die Niederlande und Konsorten, deren Doppelbesteuerungsabkommen einer gründlichen Nachuntersuchung bedürften. Lägen die Leitungen erst einmal trocken, fließe auch nichts mehr in den Abfluss.