„Luxemburg sitzt nicht im 1. Waggon“

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Luxemburg und Russland verbindet eine lange Geschichte. Die seit einigen Jahren von der EU verfolgte Abgrenzungspolitik mithilfe von Wirtschaftssanktionen wirkt als Störfaktor, kann diese Beziehungen jedoch nicht grundsätzlich beeinträchtigen. Ein Gespräch mit dem Botschafter der Russischen Föderation in Luxemburg, Viktor Sorokin.

Tageblatt: Premierminister Xavier Bettel war vor einem Monat in Moskau, traf sich unter anderem mit dem russischen Premierminister Dmitri Medwedew. Alles gut in den russisch-luxemburgischen Beziehungen?

Viktor Sorokin: Wir sind sehr beeindruckt von den Ergebnissen des Besuches von Premierminister Xavier Bettel in Moskau. Auf dem „Open Innovations Forum“ in Skolkowo hat er eine sehr interessante Rede gehalten. Herr Bettel hat die Interessen der Europäischen Union und des Euro sehr gut verteidigt was den freien Handel im digitalen Bereich anbelangt.

Gibt es denn einen konkreten Vorstoß in Sachen Annäherung zwischen Russland und der EU? Gibt es greifbare Ergebnisse seit diesen Begegnungen?

Während des Arbeitsessens zwischen Premierminister Xavier Bettel und dem Premierminister der Russischen Föderation Dmitri Medwedew in Skolkowo wurde der ganze Fragenkomplex unserer bilateralen Beziehungen erörtert. Teilgenommen hatten auch Wirtschaftsminister Etienne Schneider und Dmitri Rogosin, beide sind Kovorsitzende der Gemischten Kommission für wirtschaftliche Zusammenarbeit der UEBL („Union économique belgo-luxembourgeoise“) und Russland. Sie haben über die Arbeit des Ausschusses geredet.

Vereinbart wurde ein weiteres Treffen der gemeinsamen Regierungskommission voraussichtlich im Februar in Moskau oder in Sotschi.

Wird das erneut ein Treffen auf Premierministerebene?

Das wird ein Treffen auf Ebene der Kommissionspräsidenten. Im Dezember erwarten wir in Luxemburg den Besuch einer hochrangigen Delegation aus Tambow. Erstmals werden auch Wirtschaftsvertreter aus dieser Region in Luxemburg sein.

Auf welchen wirtschaftlichen Gebieten könnte sich denn eine Zusammenarbeit zwischen Luxemburg und dem Gouvernement Tambow entwickeln? Etwa im Lebensmittelbereich?

Das lässt sich derzeit noch nicht konkret sagen. Apropos Lebensmittelbereich: Vor Kurzem besuchte ich den größten Milchverarbeitungsbetrieb Luxemburgs. Hat mich sehr beeindruckend. Meine Ehefrau will jetzt nur noch Milcherzeugnisse aus diesem Betrieb kaufen (lacht).

Luxemburg exportierte vor den Wirtschaftssanktionen auch Agrarerzeugnisse nach Russland, unter anderem auch Milcherzeugnisse. Wurden diese Lieferungen wieder aufgenommen?

Nein. Derzeit läuft da nicht viel. Aber man muss an diesem Problem arbeiten. Es gibt in Russland Kinderheime, die Frischmilch brauchen. Es besteht bei Geschäftsleuten in Luxemburg die Bereitschaft, Milcherzeugnisse zu diesen Einrichtungen zu liefern. Das ist kein kommerzielles Unterfangen. Auch ich will mich in dieses angedachte Projekt einbringen.

Eine Wohltätigkeitsaktion also?

Damit könnte man anfangen. Wissen Sie, in Russland haben wir viel Trockenmilch. Die Qualität, die ich bei meinem rezenten Besuch in der Molkerei geschmeckt habe, ist beeindruckend. Ich würde die Sanktionen einstellen und die Lieferungen wieder aufnehmen (lacht). Die Kinder haben ja nichts mit den Sanktionen zu tun. Sie wollen Käse, Milch, Joghurt.

Dasselbe gilt für Fleischerzeugnisse. Wir (Russland) kaufen Fleisch aus Argentinien, aus Brasilien. Dabei gibt es ausgezeichnetes Rindfleisch in Luxemburg.

Macht Ihrer Ansicht nach Luxemburg genug, um die Sanktionspolitik der EU abzumildern?

Luxemburg entsolidarisiert sich natürlich nicht von der Brüsseler Politik. Das wäre auch seltsam. Es gibt ein russisches Sprichwort. Dem zufolge könnte man sagen: Luxemburg sitzt nicht im ersten Waggon, es bremst also die Kontakte mit Russland nicht.

Man spürt das Interesse Luxemburgs, Möglichkeiten zur Aufhebung der Sanktionen zu finden. Wir kennen die Haltung von Premierminister Xavier Bettel und Jean Asselborn und anderer. Natürlich hat man noch immer mit der Situation in der Ukraine zu tun. Aber das kann ja nicht ewig währen.

Man hat den Eindruck, dass das mediale Interesse um den Konflikt in der Ukraine bei uns etwas abgeflacht ist. Anders hingegen die russischen Medien …

Es wird weiterhin mit schweren Waffen geschossen. Es gibt derzeit noch keine Besserung vor Ort. Vor wenigen Tagen fand der Besuch des ukrainischen Außenministers Pawlo Klimkin in Luxemburg statt. Er hat natürlich seine traditionellen antirussischen Äußerungen gemacht, aber wir haben festgestellt, dass die Luxemburger Seite etwas reservierter war und man weiterhin auf die Fortsetzung der Arbeit im Rahmen der Vier-LänderKontaktgruppe nach dem Normandie-Format (Frankreich, Deutschland, Ukraine und Russland) besteht, damit alles umgesetzt wird, was vereinbart wurde.

Nochmals zu Medien. Der Kalte Krieg wird insbesondere auf dieser Ebene geführt. Auch und vor allem von russischer Seite. Letztes Beispiel, der Auftritt eines russischen Schülers vor einigen Tagen im Bundestag*. Seine Äußerungen haben breite Teile der russischen Öffentlichkeit empört. Eine Empörung, die seit Tagen in russischen TV-Sendern weiter hochgekocht wird. Da findet ja eine Art Gehirnwäsche statt.

Wissen Sie, bei uns kann man heute alles sagen. Der Junge kann doch nicht dafür verantwortlich gemacht werden, was er da gesagt hat. Anlässlich der Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag vor zwei Jahren hat unser Präsident Wladimir Putin auf dem Roten Platz einen sehr wichtigen Satz gesagt. Die Wiederversöhnung zwischen Deutschland und Russland sei das größte Ereignis des letzten Jahrhunderts gewesen. Das entspricht auch meiner tiefen Überzeugung. Russland und Deutschland sind der Dreh- und Angelpunkt für Stabilität und Frieden in Europa. Daran muss man stets weiterarbeiten.

*Nikolai Desjatnitschenko aus dem westsibirischen Nowy Urengoj hatte anlässlich des Volkstrauertages am 19. November im Deutschen Bundestag in einer kurzen Rede über sein Schulprojekt gesprochen. Dort hatte er sich mit dem Schicksal eines deutschen Soldaten in sowjetischer Kriegsgefangenschaft befasst. Vor allem seine Wörter über „schuldlos zu Tode gekommene Menschen, von denen viele friedlich leben und nicht kämpfen wollten“ hat die Öffentlichkeit in Aufruhr gebracht.Vergessen werde, wer der Aggressor war und welche Opfer die sowjetische Bevölkerung während des 2. Weltkriegs bringen musste, so seine Kritiker.