London wird zur Hauptstadt des Mordes

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Von unserem Korrespondenten Peter Stäuber

In London sind seit Januar mehr als 50 Menschen gewaltsam zu Tode gekommen. In vielen Fällen liegt die Ursache in Rivalitäten zwischen Gangs, aber Politiker beklagen auch den Verlust von Jugendklubs und die Sparmaßnahmen bei der Polizei.

Als sich Anwohner im Osten Londons am Donnerstagabend zusammenfanden, um gegen die steigende Gewalt unter jungen Menschen zu protestieren, lagen die nächsten Opfer bereits im Spital. Am Donnerstag wurden sechs Londoner, fünf davon Jugendliche, in die Notaufnahme eingeliefert, alle mit schweren Messerverletzungen.

Den Protest hatte die Kampagne Guiding a New Generation organisiert, nachdem der 18-jährige Israel Ogunsola am Mittwoch nach einer Messerattacke starb; nur zwei Tage zuvor waren zwei Jugendliche durch Pistolenschüsse niedergestreckt worden. Seit Jahresbeginn sind über 50 Londoner gewaltsam zu Tode gekommen – wenn die Welle der Gewalt anhält, dann könnte die Kriminalitätsrate in der Hauptstadt auf den höchsten Stand seit 2005 steigen.

Drogen sind der Auslöser

Revierkämpfe zwischen Jugendgangs werden oft als Ursache für die steigende Zahl tödlicher Angriffe ausgemacht. David Lammy, Parlamentsabgeordneter für den Stadtteil Tottenham, meinte aber auch, dass es sich im Kern um eine Folge des Drogenhandels handle, der diese Streitigkeiten anheizt: „Wir sind der Drogenmarkt von Europa, und die Polizei hat die Kontrolle darüber verloren.“ Die Jugendgewalt sei schlimmer, als er sie je erlebt habe, sagte Lammy, der seit 18 Jahren Abgeordneter ist. Der Vorwurf, dass die Ordnungskräfte nicht präsent genug sind, wurde auch vom ehemaligen Polizeichef von Tottenham erhoben, Victor Olisa: Viele Leute in den Londoner Gemeinschaften hätten das Gefühl, dass die Polizei die Kontrolle über öffentliche Plätze und Straßen verloren habe. Die Protestierenden am Donnerstag wollten wissen, weshalb nicht mehr unternommen werde, um junge Menschen zu schützen.

Bürgermeister kritisiert Sparmaßnahmen

Der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan kritisierte insbesondere die Sparmaßnahmen bei der Polizei: Seit 2010 schrumpfte die Regierung in Westminster das Budget für die Metropolitan Police um 700 Millionen Pfund (800 Millionen Euro), was zum Verlust eines Drittels der Beamten geführt hat. Bereits im Februar entschied sich Khan zur ungewöhnlichen Maßnahme, 60 Millionen Pfund aus dem Etat der Londoner Stadtbehörde bereitzustellen, um in den kommenden Jahren 1.000 zusätzliche Polizisten auf die Straße zu stellen.

Jugendklubs sind geschlossen worden

Doch die Sparpolitik wirkte sich nicht nur auf die Ordnungskräfte aus. Im ganzen Land sind in den vergangenen Jahren rund 350 Jugendklubs geschlossen worden, weil sie keine öffentlichen Gelder mehr erhielten. Laut Jugendarbeitern hat dies zum Anstieg der Gewalt beigetragen: Jugendliche aus armen Haushalten, in denen die Eltern die meiste Zeit arbeiten, hätten keinerlei Unterstützung und seien sehr verwundbar, sagte ein Jugendhelfer eines Zentrums im St Thomas’s Hospital gegenüber dem Independent. Rhammel Afflick, ein anderer Aktivist, der mit jungen Menschen in armen Londoner Quartieren zusammenarbeitet, führt den Anstieg an Jugendgewalt direkt auf Armut und Sparmaßnahmen zurück. Viele dieser sozial benachteiligten Stadtteile haben einen hohen Anteil ethnischer Minderheiten, unter denen sich auch ein Großteil der Opfer findet.

Am Freitag hielt die Metropolitan Police eine Krisensitzung ab. Sie wolle einen Plan ausarbeiten, wie die Gewalt in Zusammenarbeit mit den Gemeinden langfristig eingedämmt werden könne.