Kalter Krieg am Mittelmeer

Kalter Krieg am Mittelmeer

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Von unserem Korrespondenten Axel Eichholz

Am Mittelmeer stehen sich die USA und Russland erstmals seit Jahrzehnten wieder direkt gegenüber. Aus dem Kalten Krieg kann schnell ein heißer werden. Russland lässt sich bislang jedoch nicht zu einer Reaktion auf die Drohungen von Donald Trump hinreißen.

Am Mittwochabend ist die von US-Präsident Donald Trump gesetzte Frist abgelaufen. Bis dahin wollte er über einen Luftschlag gegen die syrische Assad-Armee entscheiden. Bisher ist nichts passiert, was allerdings nicht bedeutet, dass er ganz ausbleibt. Russland habe gedroht, alle auf Syrien gerichteten Raketen abzuschießen, schrieb Trump auf Twitter: „Achtung, Russland. Die werden angeflogen kommen, schön und neu und smart.“ Das Pentagon habe mehrere Szenarios einer Militäroperation gegen Damaskus ausgearbeitet.

Russland droht mit Gegenschlägen

Der Kreml werde darauf nicht antworten, erklärte der offizielle Sprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow. Moskau halte nichts von der „Twitter-Diplomatie“. „Wir sind Befürworter ernsthafter Herangehensweisen“, sagte er. Trotz dieser klangvollen Sätze soll der russische Generalstab vertrauliche Gespräche mit dem Komitee der Stabschefs der US-Streitkräfte aufgenommen haben. Moskau braucht genaue Angaben über Ziele der US-Schläge in Syrien. Wie der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der Staatsduma, General Wladimir Schamanow, in einem Interview des Fernsehsenders Rossija 24 sagte, kontaktieren russische Militärs auch die NATO durch Vermittlung der türkischen Kollegen. Moskau verfüge über geeignete Waffen, so der General. Wenn die USA Russland auf den Zahn fühlen wollten, bekämen sie eine gebührende Abfuhr.

Der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow hatte bereits gewarnt, bei Gefahr für die russischen Militärs in Syrien werde nicht nur auf die Raketen zurückgeschossen, sondern auch gegen die Raketenträger, bei denen es sich offenbar um die Zerstörer im Mittelmeer und die Flugzeuge der amerikanischen Luftwaffe handelt. Die Folge wäre ein russisch-amerikanischer Krieg. Die russischen Kriegsschiffe sind auf eine Entfernung von rund 120 Kilometern von der syrischen Küste abgezogen worden. Es wird aber problematisch sein, jegliche russische Opfer zu vermeiden, weil sich Militärberater in Dutzenden von Objekten der syrischen Regierungsarmee befinden.

Schwere Waffen auf beiden Seiten

Russland hat unter dem Vorwand von eigenen Übungen, die im April in der Region stattfinden, 15 Kriegsschiffe ins Mittelmeer verlegt – Versorgungsfahrzeuge nicht mitgerechnet. Es handelt sich um die Fregatten „Admiral Grigorowitsch“ und „Admiral Essen“ sowie diesel- und atomgetriebene U-Boote der Klasse Schtschuka-B, alle mit Marschflugkörpern bestückt. Radare auf Spionageflugzeugen überwachen den Zerstörer „USS Donald Cook“ mit dessen Tomahawk-Raketen. Die Möglichkeiten der Gegenseite wirken nicht weniger eindrucksvoll. Gleich vier Flugzeuge des amerikanischen Tacamo-Systems befinden sich ständig in der Luft. Sie übernehmen die Steuerung der Atom-U-Boote, falls die sich am Boden befindende Zentrale Offutt ausfallen sollte. Und schließlich soll die E-4B Nightwatch starten. Sie dient als die Ausweichkommandozentrale für den Präsidenten und die höchste Militärführung bei Ausbruch eines Atomkrieges.

[gview file=“http://www.tageblatt.lu/wp-content/uploads/2018/04/490_0377_64869_DISPOSITIFS_MILITAIRES_AU_PROCHE_ORIENT.eps“]


Die unterschiedlichen Positionen

Eine französische Beteiligung an einer Militäraktion gilt als wahrscheinlich, die britische Regierung wollte noch darüber beraten.
Kanzlerin Angela Merkel hat einer deutschen Beteiligung an einem Militärschlag in Syrien eine klare Absage erteilt. Ohne konkret zu werden, kündigte Merkel allerdings Unterstützung für mögliche Aktionen der USA, Großbritanniens und Frankreichs an. Deutschlands Außenminister sagte, dass sich die westlichen Verbündeten in dieser Frage nicht auseinanderdividieren lassen dürften. Auch Saudi-Arabien signalisierte Unterstützung.
Die britische Premierministerin Theresa May rief gestern ihre Minister zusammen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Minister David Davis sagte am Vormittag, noch sei keine Entscheidung über das Vorgehen getroffen worden. „Wir müssen bei Syrien sehr vorsichtig und überlegt urteilen.“ Medienberichten zufolge bringt Großbritannien aber bereits seine U-Boote für einen Militärschlag gegen Syrien in Stellung.
Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan schaltete sich ein. Er habe mit Trump am Mittwoch telefoniert und werde dies mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin am Abend tun, sagte Erdogan. Syriens Staatschef Assad warnte, ein Eingreifen des Westens in den Syrien-Konflikt würde die Instabilität in der Region nur verstärken.
Als wahrscheinlichste Option gelten gezielte Raketenangriffe auf ein oder mehrere ausgewählte Ziele. Heikel daran wäre vor allem, dass auch russische Truppen in Syrien stationiert sind und die Gefahr besteht, dass sie getroffen werden.
Die Angriffsdrohungen einiger westlicher Staaten gegen Syrien beruhen nach Darstellung des Iran auf Lügen „nach der Befreiung von Ost-Ghuta“. Das sagte Ali Akbar Welajati, der Berater des iranischen Obersten Führers, Ajatollah Ali Chamenei, laut der amtlichen syrischen Nachrichtenagentur Sana bei einem Treffen mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Der Iran und Russland sind Assads Verbündete im siebenjährigen Bürgerkrieg.
UN-Generalsekretär Antonio Guterres appellierte unterdessen an den Sicherheitsrat, die Situation nicht außer Kontrolle geraten zu lassen. Er habe darüber mit den Botschaftern der Vetomächte USA, Großbritannien, Frankreich, Russland und China gesprochen.

(er/AFP/Reuters)