Im Kosovo müssen Mörder kaum Strafe fürchten

Im Kosovo müssen Mörder kaum Strafe fürchten
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Mit dem ermordeten Oppositionspolitiker Ivanovic ist eine der letzten moderaten Stimmen der Kosovo-Serben verstummt. Die Drahtzieher des Attentats werden eher in Serbiens nationalistischen Kreisen als unter den Kosovo-Albanern vermutet.

Von unserem Korrespondenten Thomas Roser

Zumindest nach dem Tod hat man an Freunden keine Not. Selbst serbische Regierungspolitiker und Würdenträger, die Kosovos ermordeten Oppositionspolitiker Oliver Ivanovic zu Lebzeiten kräftig zu schmähen pflegten, fanden sich am Donnerstag bei dessen Beerdigung auf dem neuen Friedhof in Belgrad ein. „Nun sagen sie, dass Oliver ein Held gewesen sei,“ erklärte Milena Ivanovic, die Witwe des am Dienstag im serbischen Norden der geteilten Kosovo-Metropole Mitrovica erschossenen Serbenführers, bitter. „Doch als er um Hilfe und Schutz bat, war niemand da.“

Drohungen und Anschläge

Der Mord von Ivanovic sei ein „Schuss auf uns alle“, erklärte beispielsweise Goran Rakic, der von Belgrad unterstützte Bürgermeister von Nord-Mitrovica, nach dem Attentat. Vor den Kommunalwahlen im Herbst ließ er über den als „Heuchler“ beschimpften Gegenkandidaten noch ganz andere Botschaften verbreiten: Mit seinen „paranoiden“ Behauptungen, dass er bedroht werde, wolle der „selbstverliebte“ Ivanovic nur Aufmerksamkeit erheischen.

Tatsächlich sah sich der nun mit sechs Schüssen in den Rücken getötete Lokalpolitiker, der als moderater Befürworter eines pragmatischen Miteinanders mit den Kosovo-Albanern galt, seit Monaten nicht nur der Hetzkampagne von Serbiens regierungsnahen Boulevardmedien, sondern auch handfesten Drohungen ausgesetzt. Im Juli fackelten Unbekannte sein Auto ab. Mehrere durch Drohungen eingeschüchterte Mitstreiter zogen aus Angst um ihre Familien oder den Arbeitsplatz ihre Kandidatur auf seiner Liste zurück.

Nur fünf von 98 Morden aufgeklärt

Viele seiner Landsleute in Nord-Mitrova hätten „Angst, nicht vor den Albanern, sondern vor Serben“, klagte Ivanovic in einem seiner letzten Interviews. Obwohl die nur zweieinhalb Quadratkilometer große Stadt mit 300 Kameras „vollständig überwacht“ werde, seien in den letzten Jahren weder das Abfackeln von über 50 Autos noch Mordanschläge oder Granatenwürfe aufgeklärt worden: „So unfähig kann die Polizei nicht sein: Entweder hat sie Angst – oder die Täter sind mit den Sicherheitsstrukturen verbunden.“

Von 98 in Serbien und Montenegro seit 2012 begangenen Auftragsmorden sind laut dem Fernsehsender N1 nur fünf aufgeklärt. Es ist die enge Verquickung zwischen Geheimdiensten, Politik und kriminellen Kreisen, die auch den überwiegend serbisch besiedelten Nordkosovo selbst unter Ägide der EU-Rechtsstaatsmission Eulex zum Eldorado und rechtsfreien Raum für Mafiosi, Geldwäscher und Drogenhändler gemacht haben. Eine rasche Aufklärung des Attentats ist daher kaum zu erwarten.

Suche nach den Drahtziehern

Die Drahtzieher des Attentats dürften nach Ansicht von Weggefährten des Ermordeten eher in Serbiens nationalistischen Kreisen als unter den Kosovo-Albanern zu suchen sein. Er glaube nicht, dass hinter dem Mord ein „albanischer Faktor“ stehe, meint auch Momir Stojanovic, der einstige Chef von Serbiens militärischem Abwehrdienst, gegenüber der Zeitung Danas. „Wenn die Albaner ihn hätten ermorden wollen, hätten sie das schon lange tun können.“

Die Art des Attentats spricht für lokale Killer als Täter. Der Zeitpunkt des Anschlags lenkt die Spur aber auch nach Belgrad. Nach monatelanger Pause waren am Dienstag die Gespräche in dem von der EU forcierten Zwangsdialog zwischen Pristina und Belgrad wiederaufgenommen worden – die nach dem Attentat von Serbien sofort abgebrochen wurden. Es sei „klar“, dass der Mord der Verhinderung einer Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo dienen solle, meint der Belgrader Publizist Tomislav Markovic: „Diese Entwicklung würde zahlreichen extremistischen Strukturen zupasskommen – von einzelnen albanischen Politikern im Kosovo über Teile der serbisch-orthodoxen Kirche bis hin zu pro-russischen Elementen in Serbien.“