Griechenland krempelt seine Medienlandschaft um

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Die Regierung in Athen krempelt den griechischen Mediensektor um. Erstmals müssen TV-Anstalten Sendelizenzen beantragen. Die audiovisuelle Produktion wird staatlich gefördert. Print ist Vergangenheit.

Sie sind nicht zu übersehen, ziehen die Blicke der Passanten auf sich. Dutzende Tabloidzeitungen und Magazine begraben die Zeitungskiosks unter sich, Taschen, Plastiksonnenbrillen, Feuerzeuge und andere Billigimporte aus China liegen sozusagen als Beifang bei. Das Angebot übersteigt sichtlich die Nachfrage. Etliche Printprodukte sind in Zellophan eingepackt, Schutz vor Staub und anderem Schmutz, der die Ware noch unverkäuflicher machen würde.

Der griechische Zeitungskonsum ist einer der niedrigsten in Europa. Laut einer Studie des „Reuters Institute for the Study of Journalism“ ist die Auflage aller Sonntagszeitungen während einer typischen Woche im Jahr 2018 im Vergleich zu einer typischen Woche vor zehn Jahren um 75 Prozent zurückgegangen. Das Schicksal des Geschäfts mit den Nachrichten auf Papier gehört daher nicht zu den medienpolitischen Prioritäten der Regierung um den linken Premierminister Alexis Tsipras, seit Januar 2015 im Amt. Ihr Augenmerk widmete sie bisher prioritär jenem Medium, das in jedem Haushalt präsent ist: Fernsehen und Radio.

Das Fernsehen bleibe das wichtigste Informationsmedium trotz Internet, sagt Lefteris Kretsos (43). Kretsos ist Generalsekretär für Medien und Kommunikation im Ministerium für Digitalpolitik, Telekommunikation und Medien. Er ist unter anderem für Medienregulierung zuständig.

Soeben ging ein jahrelanger Kampf mit den einheimischen TV-Moguln zu Ende. Mehr als dreißig Jahre lang operierten private TV-Stationen ohne Lizenz. „Nur Menschen mit viel Geld konnten sich Fernsehanstalten zulegen. Sie haben niemals für die Zuteilung der öffentlichen Frequenzen gezahlt“, so Kretsos. Ohne offizielle Lizenzen keine Regeln. Es habe keine Transparenz bei den Besitzverhältnissen gegeben. „Das ist jedoch eine wichtige Frage, berührt sie doch die Demokratie, die öffentliche Debatte.“ Das Fernsehen beeinflusse sehr stark die öffentliche Meinung und das Verhalten der Menschen. „Wir mussten einen Lizenzierungsprozess organisieren, basierend auf eine neue Gesetzgebung.“
Der mediale Wildwuchs in Griechenland war spektakulär. Mehr als 110 TV-Stationen und über tausend Analogradios buhlten vor der Krise um die Aufmerksamkeit von rund elf Millionen Menschen. „Angesichts unseres kleinen Marktes konnte das kein nachhaltiges Businessmodell sein“, sagt Kretsos. Viele TV- und Radiostationen zahlten ihre Mitarbeiter zu spät oder überhaupt nicht.

Die Lizenzierung schaffe einen gesünderen Wettbewerb, betont der Generalsekretär. „Wer jetzt einen Rundfunksender betreiben will, muss den Besitzer nennen, sagen, wie dieser an das Geld gekommen ist; wie die Angestellten bezahlt und ob Steuern entrichtet werden. „Das war natürlich eine sehr heiße Kartoffel“, sagt Kretsos und lächelt dabei. „Sie müssen Leuten missfallen, die bisher ihre TV-Stationen ohne Lizenzen betrieben.“

Medienmoguln

Die Koalitionsregierung legte sich tatsächlich mit mächtigen Wirtschaftskreisen an. Die großen Privatsender waren und sind Eigentum einflussreicher Bau- und Energieunternehmen. „Wir reden von Medienmoguln“, sagt Kretsos. Jedes Mal, wenn diese Gruppen ein Problem mit der Regierung hatten, konnten sie gegen diese mobilisieren. Bei jeder politischen Wahl versuchte das Geflecht aus Medienbesitzern, Bankern und Politiken – Alexis Tsipras nannte dieses Gebilde „Dreieck der Sünde“ – die Entscheidung zu beeinflussen.

Keine Regierung zuvor hatte es gewagt, die unheilige Allianz zu zerschlagen. Griechenland sei das einzige Land in Europa gewesen, wo Fernsehprogramme ohne Lizenzen ausgestrahlt wurden, so Kretsos. „In wenigen Wochen wird das Land erstmals über sauber operierende TV-Unternehmen verfügen.“ Sechs Mediengruppen haben sich für eine der sieben nationalen Lizenzen beworben.

Gleichzeitig soll auch der Werbemarkt im audiovisuellen Bereich neu geregelt werden. Ziel sei größere Transparenz, so Kretsos. Dabei helfen soll eine Ende 2018 betriebsbereite digitale Plattform für TV-Werbung. Ein Algorithmus wird dann den Preis für die gewünschte Werbezeit berechnen. Derartige Modelle zum Kauf von Werbezeit gebe es bereits in vielen Ländern. „Aber wir sind die Ersten, die das gesetzlich regeln“, betont Kretsos. Die audiovisuellen und medialen Ambitionen der Regierung sind nicht gerade bescheiden. „Unser Ziel ist es, vom Nachzügler zum fortschrittlichen Akteur im Medienbereich zu werden“, sagt Kretsos.

Dazu gehört nicht nur, mit dem digitalen DAB+ als Nachfolger des analogen UKW in die Radiolandschaft vorzudringen. Mit öffentlichen Geldern sollen audiovisuelle Produktionen gefördert werden. Für die nächsten zwei Jahre sind 75 Millionen Euro vorgesehen, wobei ein Einzelprojekt mit bis zu fünf Millionen Euro gefördert werden kann.

Die Kreativindustrie soll zu einem wichtigen Wirtschaftssektor werden, der nicht nur neue Einkommen und neue Jobs schaffen, sondern auch den Tourismus weiter beflügeln soll, hofft Kretsos. Auch steuerliche Vorteile für die Filmindustrie schließt er nicht aus.
Kretsos selbst ist eine Art Handelsreisender in Sachen audiovisuelle Produktion in Griechenland. Soeben sei er aus Los Angeles zurückgekommen, sagte er zu Beginn des Gesprächs. In den nächsten Tagen reist er nach China. In Luxemburg war er bereits, besuchte unter anderem die neue RTL City auf Kirchberg. Er lobt das Know-how des Landes im Telekom-Bereich.

Kretsos will sein Land als Drehort für Filmproduktionen bewerben. Er verweist auf die reiche Vergangenheit – Griechenland sei das Geburtsland der Geschichten –, die kulturelle Vielfalt und nicht zuletzt die einzigartige Natur. Man finde Landschaften, die auch in Deutschland oder Frankreich anzutreffen seien, aber auch solche, die an den Mittleren Osten erinnern. Griechenland habe viele Locations mit den schönsten Ruinen aus unterschiedlichen Kulturen – und herrliches Wetter, preist er sein Land an.
Der Syriza-Politiker gibt sich siegessicher. Erstmals könne man im Medienbereich optimistisch in die Zukunft blicken. „Bisher war diese Welt eine von Medien-Oligarchen, die ihre Stationen ohne Lizenz betrieben. Wir hatten eine chaotische Radiolandschaft. Dieser Sektor hatte Bankschulden von fast 1,3 Milliarden Euros, die man nie zurückzahlen konnte.“

Schulden, die Kretsos dem „Dreieck der Sünde“ zuschiebt. Dessen Vorgehensweise erklärt er in einfachen Worten. „Ich (der Bauunternehmer) besitze einen Medienkanal, ich unterstütze einen Politiker. Dieser muss mir helfen, ein anderes Bauvorhaben zu realisieren. Der Politiker ruft die Bank an, um mir ein neues Darlehen zu geben.“
So kam es, dass der Bau der einzige Wirtschaftszweig war, dem auch nach der Krise Darlehen gewährt wurden, während andere Industrien, die Exportwirtschaft, Mittel- und Kleinbetriebe erfolglos um Darlehen flehten. Nur eine Hand voll Personen hätten Geld bekommen.

Bei so viel Engagement für Fernsehen, Radio und Audiovisuelles, bleibt da noch Zeit für die klassischen Printmedien? Griechenland zählte vor der Krise rund 300 Zeitungen. Bei seinem rezenten Besuch in Luxemburg habe er Gemeinsamkeiten festgestellt, so Kretsos. Beide Länder überlegen, wie die lokale Presse unterstützt werden könne. Genaueres lässt er sich nicht entlocken.

Griechische Fake News

Anders als vor der Krise werden Zeitungen derzeit nicht mehr von der öffentlichen Hand subventioniert. Damals habe man starke regionale Zeitungen gehabt, die aus politischen Gründen großzügig gefördert wurden. „Heute lesen die Menschen keine Zeitungen mehr. Und wenn sie Nachrichten lesen, dann hiermit“, sagt Kretsos und hält sein Smartphone hoch. Man wolle aber die Menschen zum Kauf von Bezahlabos für Nachrichtenseiten bewegen.

Und was denkt ein griechischer Medienfachmann beim Stichwort Fake News? Ein Thema für Griechenlands Führung ist das schon, obwohl das Problem nicht größer sei als in anderen Ländern, sagt Kretsos. Doch Fake News habe es schon immer gegeben, meint er. „Eine Fake News in den letzten Jahren war, dass Griechenland sich seinen hohen Lebensstandard leisten könne. Wir konnten es aber nicht. Wir hätten mehr in Produktionskapazitäten statt in Konsum investieren müssen.“

Den Griechen könne man heute nicht mehr irgendwas erzählen. „Wir haben allzu viel erlebt, wir sind sehr skeptisch geworden.“ Als Lösung gegen Fake News propagiert Kretsos Medienkompetenz. „Wir müssen den Menschen, und das bereits in der Grundschule, kritisches Denken lehren. Von Verboten als Mittel gegen Fake News hält Kretsos nicht viel. Man kann den Menschen nicht vorschreiben, was sie zu denken haben. Aber Zusammenhänge erklären müsse man ihnen schon, damit sie Falschmeldungen und Lügen erkennen.


Zur Person

Dr. phil. Lefteris Kretsos (43) spezialisierte sich auf Arbeitnehmerbeziehungen. Er forschte und studierte unter anderem in Großbritannien, beteiligte sich an Projekten zu Sozialrecht, sozialer Ungerechtigkeit, Arbeitsmarkt und zur ökonomische Krise in Südeuropa. Seit 2015 ist er Generalsekretär im Ministerium für Digitalpolitik, Telekommunikation und Medien, wo er unter anderem für Medienregulierung zuständig ist. Unser Gespräch mit ihm fand im Rahmen einer Pressereise auf Einladung der griechischen Botschaft in Luxemburg statt.