Gewerkschaften spüren den Frühling

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Von unserem Korrespondenten John Dyer

Die Zahl der US-Gewerkschaftsmitglieder wächst wieder, und es sind zunehmend auch Angehörige neuer Berufe. Gerade junge Leute suchen im Zeitalter der Digitalisierung Schutz. Doch der Oberste Gerichtshof könnte mit einem Urteil den Höhenflug wieder stoppen.

Insgesamt 20.000 Lehrer aus dem US-Bundesstaat West Virginia sind zu einer Inspiration für Gewerkschaften im ganzen Land geworden. Sie hatten ihre Klassenzimmer verlassen und eine Arbeitsniederlegung für neun Tage angekündigt. Damit setzten sie kürzlich eine Gehaltserhöhung um 5 Prozent durch.

Lehrer in Arizona, Kentucky und Oklahoma wollen nun ebenfalls für höhere Löhnen streiken. Im Silicon Valley organisieren sich das Wachpersonal und andere Arbeiter von Apple oder Facebook gewerkschaftlich. Journalisten, Doktoranden und andere höhere Angestellte bilden zunehmend Arbeitnehmervertretungen. So mächtig wie in den 50er-Jahren sind die Gewerkschaften in den USA heute nicht mehr. Sie repräsentieren nur noch rund 6,5 Prozent der privaten Arbeitnehmer und 34,4 Prozent der öffentlichen Angestellten, so das US-Arbeitsministerium. Im Jahr 1954 gehörten dagegen fast 35 Prozent aller Arbeitnehmer einer Vertretung an.

Dennoch: Die Gewerkschaften fassen auch in bisher wenig organisierten Branchen Fuß. Im vergangenen Jahr war ein Drittel der 262.000 neuen Gewerkschaftsmitglieder Labortechniker, Landvermesser, Angestellter im Gesundheitswesen oder in ähnlichen Berufen tätig, heißt es vom mitgliederstärksten US-Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO.

Junge Arbeitnehmer wollen Schutz

Auch das Alter der neuen Mitglieder macht den Arbeitnehmervertretungen Freude: 75 Prozent der neuen Gewerkschafter sind jünger als 35 Jahre, wie die überparteiliche Denkfabrik Center for Economic and Policy Research herausgefunden hat. Der Aufstieg von Uber und ähnlichen Geschäftsmodellen, bei denen Arbeiter als unabhängige Auftragnehmer ohne Sozialleistungen und Arbeitsplatzsicherheit betrachtet werden, habe zu der Entwicklung beigetragen, sagte Tom Juravich, Interimsdirektor des Labor Center an der Universität Massachusetts Amherst. „Ich glaube wirklich, dass dies ein Wendepunkt ist und dass sich die Arbeiterbewegung verändert“, so Juravich gegenüber dem Boston Globe.

Oberstes Gericht entscheidet über Beiträge

Aber der Mitgliederzuwachs der Gewerkschaften könnte schon bald gebremst werden. Der Oberste Gerichtshof der USA verhandelt den Fall von Mark Janus, einem Spezialisten für Kinderbetreuung aus Illinois. Er will keine Gewerkschaftsbeiträge an die American Federation of State, County and Municipal Employees (AFSCME) zahlen. Sollte ihm das Gericht zustimmen, droht den Gewerkschaften ein deutlicher Einnahmerückgang.

Wenn sich die Mehrheit der Beschäftigten in einer Fabrik oder einer Regierungsbehörde für den Beitritt zu einer Gewerkschaft entscheidet, wird nach dem geltenden Arbeitsrecht jeder Arbeitnehmer Teil dieser Gewerkschaft. Die Gewerkschaft kümmert sich dann um die Lohnverhandlungsrechte der Arbeitnehmer und verwaltet ihre Renten, Krankenversicherungen und andere Leistungen.

Bei Zöllen auf Seiten der Republikaner

Janus wird von gewerkschaftsfeindlichen Akteuren wie den Milliardärsbrüdern Charles G. und David H. Koch finanziell und rechtlich unterstützt. Er argumentiert, dass die Beitragspflicht seine Verfassungsrechte verletzt, wenn er nicht der Gewerkschaft angehören will. Arbeitnehmervertreter dagegen argumentieren, dass Janus nach dem Gesetz die Möglichkeit hat, die politischen Aktivitäten der Gewerkschaft nicht zu bezahlen. Er müsse aber der Gewerkschaft angehören, weil er ihre Dienste als Verhandlungspartner in Anspruch nimmt.

Die Brüder Koch unterstützen auch die regierenden Republikaner finanziell. Doch Gewerkschaften haben mit den Republikaner auch gemeinsame Interessen. So unterstützt der AFL-CIO die kürzlich von Präsident Donald Trump erlassenen Stahl- und Aluminiumzölle. Die Gewerkschaft argumentiert, dass Kritiker der Zölle arbeiterfeindlich seien. Diese Kritiker übertrieben, wenn sie sagen, dass die Zölle einen Handelskrieg auslösen könnten, so die Gewerkschaft.