Freie Radikale in Danzig

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Von unserem Korrespondenten Jens Mattern

Am Samstag wird in Danzig gegen Nationalismus und Faschismus demonstriert. Auslöser ist ein Aufmarsch der rechtsextremen Gruppierung Nationalradikales Lager
in der Stadt, der laut dem Bürgermeister Angst ausgelöst hat. Die Gruppierung ist in der Öffentlichkeit etabliert.

Danzigs Stadtpräsident Pawel Adamowicz will etwas gegen Rechtsextremisten tun. Er hat beantragt, die rechtsextreme Gruppierung Nationalradikales Lager (ONR) zu verbieten. Diese feierte am vergangenen Wochenende ihren 84. Geburtstag mit einem Aufmarsch und einer Versammlung. Und Letzteres ausgerechnet in der Arbeitsschutzhalle der Danziger Werft – dort, wo die legendäre Gewerkschaft und Freiheitsbewegung Solidarnosc im August 1980 mit der kommunistischen Regierung verhandelte.

Gemeinsamer Feind

Bei dem Fahnenmarsch durch die Stadt wurde den „Verrätern des Vaterlandes“ von den in Schwarz gehaltenen Männern und Frauen mit dem Tod gedroht und angekündigt, Polens Grenzen gegen Migranten zu schützen. Die ONR orientierte sich in den 30er-Jahren an der faschistischen Falange-Bewegung in Spanien und fordert heute noch ein „ethnisch reines“ Polen.

„Angst und Empörung“ habe der Aufmarsch in der polnischen Öffentlichkeit ausgelöst, so das Schreiben von Adamowicz an Innenminister Zbigniew Ziobro. Allerdings hatte der Bürgermeister die Versammlung selbst genehmigt. Und auch davon abgesehen wird das Ansinnen des Danziger Bürgermeisters, der der ehemaligen Regierungspartei Bürgerplattform (PO) angehört, auf Schwierigkeiten stoßen. Denn die ONR, die keine Partei bildet und deren Mitgliedszahlen wachsen, jedoch nicht bekannt sind, konnte sich in jüngster Vergangenheit in der polnischen Gesellschaft etablieren. Mit der nationalkonservativen Regierung teilt sie sich den gemeinsamen Feind – den liberaleren Teil der polnischen Gesellschaft.

ONR kann uneingeschränkt wirken

Den antisemitischen Parolen hat sich die Organisation entsagt und tritt mittlerweile in Schulen auf. Auch der regierungsnahe Journalistenverbund SDP überließ am Montag den Radikalen seine Räumlichkeiten für eine Veranstaltung. Die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in Warschau kam zwar durch einen Aufmarsch von rechten bis rechtsextremistischen Gruppen im November in der Warschauer Stadtmitte international in Verruf und ließ die Staatsanwaltschaft gegen fremdenfeindliche Parolen ermitteln. Doch wirkliche Konsequenzen in der politischen Linie scheint es bislang nicht zu geben.
So gab die Gazeta Wyborcza am Freitag bekannt, dass der Chef von ONR Pommern, Krzysztof Poborowski, offiziell als Führer im Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig arbeitet. Der Pressesprecher des Museums, Aleksander Maslowski, verteidigte die Einstellung des radikalen Museumsführers. „Mit der Arbeit von Herrn Poborowski sind wir zufrieden, seine privaten Tätigkeiten interessieren uns nicht.“

Das Museum untersteht dem Kulturministerium und war ein ehemaliges Projekt der Vorgängerregierung. Es bekommt nun einen patriotisch-polnischeren Akzent, wogegen der gefeuerte Museumsdirektor Pawel Machcewicz vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klagen will.

Protest für Samstag angekündigt

Die außerparlamentarische Gruppe Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) ruft für Samstag zu einer Demonstration gegen Nationalismus und Faschismus auf, mit Unterstützung des Danziger Bürgermeisters. Doch Kritiker sehen darin auch eine Flucht nach vorn des Liberalen. Er selbst war sich anscheinend nicht über das Ausmaß der Machtdemonstration im Klaren. Solidarnosc-Chef Piotr Duda, der der PiS nahesteht, wirft dem Bürgermeister Heuchelei vor.

Grundsätzlich steht in Polen das Verbreiten von faschistischem Gedankengut unter Strafe. Nach Angaben der Opposition sei die Polizeiarbeit, V-Leute in die rechtsradikale Szene einzuschleusen, seit zwei Jahren eingestellt worden. Bislang scheint das bisherige Auftreten noch nicht für ein Verbot zu genügen.