Dänemark geht gegen Parallelgesellschaften vor

Dänemark geht gegen Parallelgesellschaften vor

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Von unserem KorrespondentenAndré Anwar

Dänemarks Regierung will 22 Problemviertel bis 2030 durch ungewöhnlich radikale Maßnahmen beruhigen. Straftaten sollen doppelt so hart bestraft werden wie andernorts. Auch Sozialhilfekürzungen, Abrissarbeiten und Verbote sollen zum Ziel führen. Die Kritik ist groß.

Dänemark streitet über nichtwestliche Einwanderer. Bis 2030 will der bürgerliche Ministerpräsident Lars Lökke Rasmussen 22 sozialschwache Problemgegenden im Land, die von der Regierung als „Ghettos“ mit hohem nichtwestlichen Einwanderanteil und hohen Kriminalitätsraten identifiziert wurden, in gewöhnliche dänische Wohnviertel umwandeln.

Rasmussen präsentierte dazu ein aus 22 Maßnahmen bestehendes Projekt mit dem Titel „Ein Dänemark ohne Parallelgesellschaften: keine Ghettos bis 2030.“ „Noch haben wir Zeit, den Trend zu wenden, aber wir müssen jetzt reagieren“, sagte Rasmussen, der im Kopenhagener Problemviertel Mjölnerparken dafür Buhrufe von Demonstranten erntete.

Weil Ghettos besonders mit Kriminalität zu kämpfen haben, soll es der örtlichen Polizei erlaubt werden, zeitlich festgelegte Strafzonen einzuführen. Bestimmte Straftaten werden dann im Problemviertel doppelt so hart bestraft wie in besseren Wohngegenden. Laut Justizminister Sören Pape Poulsen geht es um Drogenverkauf, Vandalismus, Einbruch und Bedrohungen von anderen Bewohnern in Ghettos. Zudem sollen gewalttätige Übergriffe innerhalb von Familien, etwa gegen Töchter, doppelt so hart bestraft werden.

Sprachtests für Kinder

Vermietern in Ghettos wird es erleichtert, Bewohnern mit kriminellem Hintergrund zu kündigen. Auch sollen Personen mit Vorstrafenregister daran gehindert werden, überhaupt in Ghettos sesshaft zu werden. Das Wohnungsministerium soll besonders problematische Wohnsiedlungen bis 2026 abreißen dürfen. Bewohnern sollen neue Wohnungen mit besserer Integrationsumgebung angeboten werden. Dafür sind 12 Milliarden Kronen (1,6 Milliarden Euro) vorgesehen.

Gemeinden sollen mehr Geld bekommen, um für nichtwestliche Einwanderer Ausbildungs- und Arbeitsplatzmöglichkeiten zu schaffen. Eltern in Ghettos sollen unter Androhung von Kindergeldkürzungen gezwungen werden, ihre Kinder nach dem ersten Geburtstag in kostenfreie dänische Tagesbetreuungseinrichtungen zu schicken. Im Vorschuljahr sollen anfänglich, in der Mitte und am Ende Sprachtests durchgeführt werde. Fallen Kinder zu oft durch, müssen sie vor der 1. Klasse an Sommersprachschulen. Zur 1. Klasse zugelassen werden sie erst, wenn die Sprachkenntnisse solide sind.

Eltern in Ghettos soll auch das Kindergeld gekürzt werden, wenn ihre Kinder dem Schulunterricht mehr als 15 Prozent innerhalb eines Schulquartals fernbleiben. Grundschulen, in denen die Leistungen der Schüler drei Jahre in Folge zu schwach sind, können vom Staat übernommen oder geschlossen werden.

Regierung weist Kritik zurück

„Wir werden darin investieren, unterprivilegierte Wohngegenden in völlig normale Quartiere umzuwandeln. Alle Ghettos müssen 2030 verschwunden sein“, kommentierte Innenminister Simon Amitzböll-Bille. Er weiß eine breite Mehrheit hinter sich. Sowohl die Rechtspopulisten als auch die Sozialdemokraten finden den Regierungsvorstoß grundsätzlich gut.

Doch auch Kritik gibt es reichlich, vor allem von Bewohnern aus den Problemvierteln, Menschenrechtsorganisationen und kleineren Parlamentsparteien. Das wäre das erste Mal in der Landesgeschichte seit der deutschen Besatzung, dass nicht mehr alle Menschen gleich vor dem Gesetz und vom Staat behandelt werden, so besonders entschiedene Gegner. Der Vorstoß sei diskriminierend gegenüber nichtwestlichen, armen Einwanderern und verfassungswidrig, sagen sie. Statt ihnen zu helfen, bestrafe man sie. Das würde sie noch mehr stigmatisieren und segregieren, befürchten Kritiker. Die Regierung weist die Kritik zurück. Sie hebt hervor, dass sie viel Geld und Mühe aufwende, gerade, um sozialschwachen Einwanderern in der dänischen Gesellschaft zu helfen.


Wie Dänemark seine „Ghettos“ identifiziert

Dänemarks Ministerium für Transport und Wohnen bestimmt seit 2010 jährlich die schlimmsten sozialen Gegenden im Lande, die sie offiziell „Ghettos“ nennt. Die Zahl variiert je nach Entwicklung. Ende 2017 wurden 22 dieser sogenannten Ghettogebiete aufgelistet. Um als Ghettogebiet klassifiziert zu werden, müssen mehrere Bedingungen erfüllt werden. Die Gebiete müssen über 1000 Einwohner haben und drei von fünf Kriterien erfüllen. Dazu zählt eine hohe Arbeitslosenzahl, eine hohe Anzahl von Bewohnern mit nichtwestlichem Hintergrund, eine hohe Kriminalitätsrate sowie ein niedriges Ausbildungs- und Einkommensniveau der Einwohner. Die Klassifizierung löste bei ihrer Einführung viel Kritik aus. Sie stigmatisiere bestimmte Viertel und führe dazu, dass besser gestellte Bewohner von dort wegziehen würden, so Kritiker.


Harte Einwanderungspolitik

Bezüglich der Einwanderung galt Dänemark einst als relativ offen. Anfang der 80er Jahre lag der Anteil nichtwestlicher Einwanderer noch bei 1 Prozent. Heute liegt er bei 8,5 Prozent. Das sind knapp 490.000 Menschen von insgesamt gut 5,7 Millionen. Dänemark hat sich seit 2001 immer stärker gegen neue Einwanderer und Flüchtlinge abgeschottet. Heute ist die einwanderungskritische Dänische Volkspartei stimmenmäßig größer als die größte bürgerliche Regierungspartei von Ministerpräsident Lars Lökke Rasmussen.

Seine Venstre-Partei als auch die oppositionellen Sozialdemokraten haben große Teile der Politik der Volkspartei übernommen. So wollen die Sozialdemokraten Auffanglager in Nordafrika unter dänischer Regie eröffnen. Flüchtlingen soll so der Zutritt nach Dänemark nur ermöglicht werden, wenn ihr Einreiseantrag bewilligt wird.