Balkanmetropolen ringen nach Luft

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Von unserem Korrespondenten Thomas Roser, Belgrad

Ob Sarajevo, Skopje oder Sofia – vor allem im Winter verwandeln sich Balkanstädte in lebensgefährliche Smogfallen. Neben veralteten Kraftwerken und Industrieanlagen sind es Verkehr, Braunkohle- und Holzöfen, die den Atem rauben.

Wie ein grauer, undurchdringlicher Teppich liegen Nebelschwaden und Abgaswolken über Mazedoniens geplagter Hauptstadt. Viele Bewohner von Skopje hasten mit Atemschutzmasken oder über Mund und Nase gezogenen Halstüchern zur Arbeit.

Besonders gefährdete Personen sollen sich auf Empfehlung der Regierung der schadstoffgeschwängerten Luft nur noch im Notfall aussetzen: Laut einer in dieser Woche erlassenen Verordnung sind Schwangere, Herz- und Asthmakranke sowie Beschäftigte, die älter als 60 Jahre sind, bei Smogalarm ab sofort von der Arbeit freigestellt.

Mit Abstand schlechteste Luft

Ob Sarajevo, Skopje oder Sofia – vor allem im Winter verwandeln sich vermeintliche Balkanperlen in lebensgefährliche Smogfallen. Neben veralteten Kraftwerken und Industriedreckschleudern sind es schadstoffreiche Altfahrzeuge, Kohle- und Holzöfen, die bei geschlossener Wolkendecke die Anwohner nach Luft japsen lassen. Zu allem Übel erschweren in den bergigen Balkanmetropolen nicht nur im Talkessel von Sarajevo undurchdringliche Felsenwände den dringend benötigten Luftaustausch.

Die Statistiken der Weltgesundheitsorganisation WHO sprechen eine deutliche Sprache. Mit dem mazedonischen Tetovo, dem bosnischen Tuzla und Skopje führen drei Balkanstädte die Liste von Europas Städten mit der schlechtesten Luft an – und das mit Abstand. Auch bei der tristen Europarangliste der Länder mit der höchsten Sterblichkeitsrate durch Luftverschmutzung liegen mit Bosnien und Herzegowina, Bulgarien und Albanien gleich drei Balkanstaaten vorn.

Hilfloser Appell der Bürgermeisterin

Wie im mazedonischen Skopje ist auch in der Hauptstadt des neuen EU-Ratsvorsitzenden Bulgarien die bleigeschwängerte Winterluft in diesen Tagen wieder einmal zum Schneiden: Laut heimischen Medienberichten soll die Feindstaubbelastung in Sofia am letzten Wochenende mit 632 Mikrogramm (PM10) alle in Europa üblichen Grenzwerte um ein Vielfaches überschritten haben. Die Bürger sollten ihre Autos stehen lassen und das Heizen „mit festen Brennstoffen“ ebenso vermeiden wie das wärmende Verbrennen von Abfällen und Altreifen, so der eher ratlos wirkende Aufruf von Bürgermeisterin Jordanka Fandakowa. Die Stadt habe in den letzten Tagen bereits 3000 alte Reifen einsammeln und die wichtigsten Straßen mit Wasser absprühen lassen.

Doch mit Appellen ist es zur erhofften Absenkung der Feinstaubbelastung kaum getan. Es sind vor allem kaum oder ungefilterte Schadstoffe, die die Schornsteine veralteter Kraftwerke und Fabriken in den Himmel pusten, die auf dem Balkan die Luft und Lungen verdüstern. So sorgen die 16 Braunkohlekraftwerke der ex-jugoslawischen EU-Anwärter Bosnien, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien laut einer im Dezember in Brüssel veröffentlichten Studie für fast denselben Schwefelausstoß wie die insgesamt 296 Kohlekraftwerke der 28 EU-Mitglieder: Beim Feinstaubaustoß (PM2,5) kommen die Balkandreckschleudern sogar fast auf den doppelten Wert aller EU-Kohlekraftwerke zusammen.

Nicht nur für Bulgarien sei Luftverschmutzung eines „der größten Umweltprobleme“, mahnte am Mittwoch der maltesische EU-Umweltkommissar Karmenu Vella in Sofia. Jedes Jahr würden wegen Europas schlechter Luft 400.000 Menschen eines vorzeitigen Todes sterben.