Auf den Champs-Elysées von Zaatari

Auf den Champs-Elysées von Zaatari

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Am Dienstag beginnt in Brüssel die große Syrien-Konferenz. Dort geht es auch darum, wie die internationale Gemeinschaft die Nachbarstaaten des Kriegslandes unterstützen will. Eines der betroffenen Länder ist Jordanien. Eine Ortsbesichtigung im größten Flüchtlingslager des Haschemitischen Königreiches zeigt, welchen Herausforderungen sich die Region seit Jahren stellen muss.

Es staubt auf den Champs-Elysées. Die Händler stört das nicht, ihre Jogginganzüge flattern vor ihnen im Wind. Auch die jungen Männer in den Fahrrad-Werkstätten gehen gewohnt ihrem Alltag nach. Nur fünf Kilometer sind es von hier bis zur syrischen Grenze. Für die Menschen in Zaatari ist die Heimat fast in Sichtweite geblieben. Und doch ist sie für die meisten unerreichbar. Wie es ihre Träume sind, die sich in den Namen ihrer Straßen spiegeln.

In Jordaniens größtem Flüchtlingscamp leben mittlerweile rund 80.000 Syrer. Wo eines Nachts im Juli 2012, nach dem Ausbruch des Syrienkrieges, die ersten Vertriebenen auf dem Wüstenboden schliefen und später Zelte aufgerichtet wurden, steht sieben Jahre später die viertgrößte Stadt des Haschemitischen Königreiches. Strom, Wasser und medizinische Versorgung sind umsonst. Die Miete außerhalb der Camps ist kaum bezahlbar. Man darf sich nichts vormachen, der Nahe Osten kann ein teures Pflaster sein.

650.000 Syrer hat der Krieg in ihrem Heimatland über die Grenze zum Nachbarn Jordanien getrieben. Die allermeisten von ihnen werden mit Geldern der internationalen Gemeinschaft unterstützt. Ein knappes Viertel lebt in Lagern wie Zaatari. Für die Jordanier bedeutet das alles eine riesige Herausforderung. Knapp zehn Millionen Menschen leben in dem Land im Nahen Osten. Ungefähr die Hälfte stammt von den 800.000 nach dem Palästinakrieg und dem Sechstagekrieg hierher geflohenen Palästinensern ab.

Jordanien ist wegen seiner Sehenswürdigkeiten wie der alten Felsenstadt Petra interessant für Touristen. Sonst mangelt es dem Land fast an allem: kaum Wasser, wenig fruchtbarer Boden, keine Rohstoffvorkommen – und seit nun bald acht Jahren dieser alles destabilisierende Krieg beim großen Nachbarn Syrien. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei 24 Prozent.

Vom Zeltlager zur viertgrößten Stadt

Yasmine und ihre Familie gehörten zu den ersten Ankömmlingen in Zaatari. Was ihr einen Wohnplatz mit einer Aussicht im Camp gesichert hat. Wenn sie aus ihrem kleinen Container-Bau tritt, sieht sie hinunter auf das Lager, das sich bis außerhalb der Sichtweite erstreckt. Damals, im Jahr 2012, hatte Yasmine zwei Kinder, nun sind es vier.

Wie alle anderen hier im Lager wird auch Yasmine vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen versorgt. 20 jordanische Dinar gab es bis vor kurzem pro Familienmitglied und Monat, das sind umgerechnet knapp 23 Euro. Der Beitrag musste kürzlich wegen steigender Preise auf 23 JD erhöht werden. Die Frau Mitte 30 beschwert sich nicht über ihre kargen Lebensbedingungen, sondern bietet erst einmal einen Kaffee an. Nur eine Bitte hat sie. „Die Welt darf uns nicht vergessen“, sagt sie. Wenn die internationale Gemeinschaft nicht zahle, breche hier alles zusammen.

Alle hier im Camp wissen, was damit gemeint ist. Sie haben diese Erfahrung bereits einmal machen müssen. 2014, 2015 machte sich eine Gebermüdigkeit breit. Die Helfer vor Ort mussten ihre Rationen begrenzen. Es dauerte eine Woche, da fingen die Probleme an. In den Lagern nahm die Prostitution zu, Familien verheirateten ihre jugendlichen Töchter, der Islamische Staat rekrutierte Kämpfer, indem er die Angehörigen finanziell entschädigte.

Dann fingen die Menschen an, Jordanien zu verlassen, sich aufzumachen in Richtung Europa. Der europäische Flüchtlingssommer 2015 kam für viele überraschend. Er war es nicht. Unterfinanziert, wie es damals war, wurde Zaatari bereits 2014 als das Ende aller Hoffnung bezeichnet.

In der großen Gemeinschaftsküche, die das WFP zusammen mit der NGO World Vision betreibt, geht es im Frühling 2018 heiter zu. Die Syrer, die hier arbeiten dürfen, freuen sich über ihre Einstellung. Im Akkord werden Schulmahlzeiten zubereitet. Wie in einem gut funktionierenden Unternehmen greift alles ineinander. Die Lebensmittel, die verarbeitet werden, kommen von regionalen Produzenten. Es ist laut und heiß, es wird gelacht. Die Essensrationen werden an die Schulklassen im Camp verteilt. Auch umliegende Schulen werden beliefert. So profitieren jordanische Kinder aus ärmeren Verhältnissen ebenfalls von der Arbeit, die in Zaatari geleistet wird.

Alte Blutsbande und zerstörte Beziehungen

Die 40-jährige Zamar, die aus dem syrischen Homs stammt, arbeitet seit zwei Monaten hier. „Ich fühle mich endlich wieder nützlich“, sagt sie ebenso stolz wie erleichtert. Auch der Zuverdienst kommt ihr gelegen, doch das ist nicht alles. „Ich will auch für meine Kinder, die kein anderes Leben als das im Camp kennen, mit gutem Beispiel vorangehen und ihnen zeigen, dass es sich zu leben lohnt und es vorangeht.“

Zwischen Jordaniern und Syrern bestehen oft Blutsbande. Vor dem Krieg war es völlig normal, zum Nachbarn hinüberzufahren. Tagesausflüge nach Damaskus gehörten zum guten Ton. Alle schwärmen hier vom Essen in der syrischen Hauptstadt. Visa brauchten für den gegenseitigen Besuch weder die einen noch die anderen. Doch die Spannungen steigen. Jordanien geht es schlecht. Die Situation mit den Flüchtlingen aus Syrien (und aus dem Irak) macht es nicht einfacher.

Das Land hat nie aus den wirtschaftlichen Turbulenzen herausgefunden, die die weltweite Finanzkrise 2008 auslöste. Der Krieg beim Nachbarn und Handelspartner macht da alles noch schwieriger. Von einem Schlag auf den anderen brach der Handel zwischen beiden Ländern zusammen. Die Verbraucherpreise stiegen in der Folge in Jordanien um 25 Prozent. Dazu kommt die Terrorgefahr. Die Grenze ist zwar militärisch abgeriegelt, aber Hunderte Kilometer lang. Bei Terrorattacken starben in den vergangenen Jahren 14 jordanische Soldaten. So etwas stellt jede Solidarität, so groß sie auch sein möge, auf die Probe.

Wie beim Ankommen gibt es auch beim Verlassen des Zaatari-Lagers einen kleinen Stau. Einigen Bewohnern ist es gestattet, draußen zu arbeiten. Die jordanische Regierung erlaubt Tätigkeiten in der Landwirtschaft und im Bauwesen. Bis zu 190 jordanische Dinar können so hinzuverdient werden. Syrische Arbeitskräfte waren vor dem Krieg hoch angesehen in Jordanien. Sie sind es auch heute noch. „Sie lieben es, zu arbeiten“, sagt eine Jordanierin in der Hauptstadt Amman, „Business mit Syrern – nichts klappt besser als das“. Dass das nicht aus den Wolken gegriffen ist, dafür können die Fahrrad-Werkstätten auf den jordanischen Champs-Elysées als Beleg herhalten. Geplant waren die nicht.

Fließen keine Gelder, bricht alles zusammen

Nachdem Hilfsorganisationen in Zaatari Fahrräder verteilt hatten, damit die Bewohner die groß gewordenen Distanzen schneller zurücklegen können, dauerte es keine zwei Tage, und die Reparaturwerkstätten sprossen wie Pilze aus dem sandigen Boden. Ein Sich-hängen-Lassen sieht anders aus. Das tägliche Aufraffen funktioniert aber nur so lange, wie Hoffnung auf einen Besserung besteht. Oder zumindest keine Verschlechterung droht. Eben deswegen richten sich die Blicke aus Jordanien und Libanon am Dienstag nach Brüssel.

Dort ist der Startschuss zur Syrien-Konferenz der Vereinten Nationen und der Europäischen Union. Es sind diese Anlässe, bei denen die Geberländer ihre finanziellen Zusagen machen (an die sie sich dann allerdings auch noch halten müssen). Wo sich demnach zeigen wird, ob die internationale Gemeinschaft noch hinschaut oder den Blick lieber abwendet. Was passiert, wenn einige Länder umschwenken und nichts mehr beitragen wollen, haben die Menschen in Zaatari und die in Europa vor drei Jahren erfahren müssen. Und auch in diesem Jahr 2018 macht sich wieder eine gewisse Zurückhaltung bei einigen Gebern breit.

Im Nachbarland Libanon, das vier Millionen Einwohner zählt, mehr als eine Million Syrer aufgenommen hat und ein politisch wie gesellschaftlich äußerst fragiles Staatsgebilde ist, könnten Ende des Monats Unterstützungsprogramme für fast 200.000 Syrer auslaufen. Die hätten dann von einem Tag auf den anderen nichts mehr zu essen – und wohl auch nichts mehr zu verlieren.


Keine Camps im Libanon

Wegen der schlechten Erfahrungen, die der Libanon mit Lagern für palästinensische Flüchtlinge gemacht hat, gibt es in dem Land keine Camps für Syrer. Gleichwohl sieht sich das Land mit vier Millionen Einwohnern mit mehr als einer Million syrischen Flüchtlingen konfrontiert. Der Lösungsweg für Beirut ist, die Flüchtlinge in sogenannten informellen Siedlungen unterzubringen. Die befinden sich meist nah der syrischen Grenze in der Bekaa-Ebene. Grundstücksbesitzer vermieten dort Felder oder Ackerland an die Syrer. Diese können sich niederlassen, die Befestigung des Bodens in diesen Siedlungen ist aber zum Beispiel nicht erlaubt. Auch im Libanon kümmert sich das WFP um die Versorgung der Flüchtlinge (siehe Tageblatt vom Montag). Und ebenfalls wie in Jordanien kommt die Hilfe, die ins Land fließt, auch armen Libanesen zugute. Das ist auch nötig, um den sozialen Zusammenhalt nicht gänzlich aus den Fugen fliegen zu lassen. In der Bekaa-Ebene leben 400.000 arme Libanesen.

Um Abhilfe zu schaffen, unterstützt die Weltbank seit 2014 54.000 von ihnen. Das freut auch die Syrer. Najah, die sich aus dem syrischen Homs mit ihren fünf Kindern bis in den Libanon durchschlug, weiß, dass die Libanesen „auch leiden“. Auf die Frage, ob sie nach Homs zurück will, antwortet sie: „Ja klar, es ist die schönste Stadt der Welt.“ Dann bricht sie vor ihren Kindern in Tränen aus.


Die Reise

Die Reise mit dem World Food Program der Vereinten Nationen fand vom 13. bis zum 16. März statt und führte nach Jordanien und Libanon. Das WFP kam für Kost und Logis auf, die Flüge mussten die verschiedenen Medienhäuser bezahlen. In unserer gestrigen Ausgabe haben wir die Probleme der Nachbarländer Syriens aus Sicht des Libanon beleuchtet.


Geld für das WFP

Luxemburg hat das WFP in den vergangenen Jahren mit den folgenden Zuwendungen unterstützt:

  • 2017: 8,4 Millionen Euro, davon 250.000 an die Syrienkrise
  • 2016: 8 Millionen Euro, davon 1 Million an die Syrienkrise
  • 2015: 10 Millionen Euro, davon 200.000 an die Syrienkrise
  • 2014: 8.9 Millionen Euro, davon 1 Million an die Syrienkrise
  • 2013: 10 Millionen Euro, davon 1,1 Millionen an die Syrienkrise
  • 2012: 7,5 Millionen Euro
  • 2011: 9 Millionen Euro

Ein Fokus Luxemburgs liegt auf der Unterstützung der Innovation. So floss ein Teil der Gelder nach München, wo das Innovationscenter des WFP beheimatet ist. Unter anderem dort wurde ein Blockchain-Verfahren entwickelt, das erst in Pakistan getestet wurde und nun in Jordanien in den Cash-Programmen des WFP zur Anwendung kommt.

Die internationale
Gemeinschaft förderte das WFP im vergangenen Jahr mit insgesamt 6.837.000.000 Dollar.