„Administrative Detention“ in Israel (Teil 2): Ausgeliefert

„Administrative Detention“ in Israel (Teil 2): Ausgeliefert

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Von Michelle Schmit*

Ins Gefängnis zu müssen, ohne jegliche Straftat begangen zu haben, ist wohl eines der schlimmsten Schicksale, das einem Menschen widerfahren kann. In einem europäischen Rechtsstaat wie Luxemburg sind wir der Meinung, dass uns so etwas, dank unseres effizienten nationalen Rechtssystems und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg, niemals passieren könnte. Allerdings ist dieses Schicksal bittere Realität für viele Bewohner der besetzten palästinensischen Gebiete. Der zweite Teil unserer Serie rund um die „Administrative Detention“.

In den allermeisten Fällen von „Administrative Detention“ erfahren weder der Gefangene noch sein Anwalt Details über die Anschuldigungen. Diese werden aus „Sicherheitsgründen“ geheim gehalten. Da die Haft unendlich um jeweils sechs Monate erneuert werden kann und die Anwälte ihren Mandanten aufgrund mangelnder Informationen keine rechtmäßige Verteidigung bieten können, müssen diese oftmals mehrere Monate bis zu Jahren im Gefängnis verbringen. Die Hoffnung auf Freilassung sowie die Angst auf eine erneute Festnahme, nachdem sie freigelassen wurden, begleitet die Betroffenen und ihre Angehörigen tagtäglich.

Laut Amnesty International kommt die große Mehrzahl der „Administrative Detainees“ aus den besetzten palästinensischen Gebieten. Diese werden jedoch in israelischem Territorium festgehalten. Oftmals verhindert Israels strenge Passierpolitik, dass die Familienmitglieder die Gefangenen besuchen können. All diese Faktoren tragen dazu bei, dass diese Situation für die Familie psychisch nicht auszuhalten ist. Ein normales Leben mit Zukunftsplänen und -wünschen ist während dieser äußerst schweren Zeit nicht vorstellbar. Ein Beispiel, wie sich all dies im wahren Leben auswirken kann, ist der Fall von Salem Badi Dardasawi. Es handelt sich um einen heute 45 Jahre alten Palästinenser, Bewohner der Stadt Al-Bireh im Westjordanland. Er ist Angestellter der Al-Bireh-Bibliothek. Als Salem 16 Jahre alt war, wurde er für anderthalb Jahre in „Administrative Detention“ festgehalten. Im Jahr 1990 wurde er, einige Monate nach seiner Entlassung, erneut für sechs Monate festgenommen. Zu Beginn der zweiten Intifada wurden die administrativen Festnahmen stark erhöht. Somit musste Salem 2002 wieder für zwei Jahre und drei Monate in „Administrative Detention“ und wurde 2004 entlassen. Danach entschied sich Salem, seinen Bachelor nachzuholen, und meldete sich an der Birzeit-Universität an. 2006 wurde er wieder für zwei Jahre festgenommen. Nach seiner Entlassung nahm Salem sein Studium wieder auf und bekam 2010 seinen Bachelorabschluss in Soziologie.

Erneute Festnahme

Zwei Jahre später kam es zur erneuten Festnahme, als Salem bei Aktionen/Manifestationen/Protesten Solidarität zu den palästinensischen politischen Gefangenen im Hungerstreik zeigte. Hier wurde nun endlich auch Anklage erhoben und Salem wurde zu einem Jahr und sechs Monaten Haft verurteilt. Ein weiterer zehnmonatiger Aufenthalt in „Administrative Detention“ folgte ein Jahr nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis. Am 25. Februar 2016 wurde Salems Familie durch das Geräusch von Sprengstoff aufgeweckt. Mehrere israelische Soldaten stürmten in das Haus und nahmen Salem fest, ohne ihm oder seiner Familie zu sagen, was vor sich ging. Seine Familie erhielt auch keine Antwort darauf, wo die Soldaten Salem denn hinbringen würden. Dieser wurde ohne Anklage und ohne Verfahren sofort in „Administrative Detention“ gebracht. Er wurde weder vernommen noch erfuhr er, was ihm vorgeworfen wurde.

Man könnte meinen, dass Salem Badi Dardasawi eine große Gefahr für die Gesellschaft darstellen muss und deshalb zu Recht unzählige Male festgenommen wurde. Allerdings darf man nicht vergessen, dass die „Administrative Detention“ dafür da ist, Personen in Haft zu stecken, bei denen es zu wenig Beweise für eine strafrechtliche Anklage gibt. Wenn es handfeste Beweise für illegale Aktivitäten geben würde, würde sogleich ein strafrechtliches Verfahren eingeleitet und Salem für einige Jahre weggesperrt werden.

Es ist für einen Gefangenen unmöglich, die Anordnung auf „Administrative Detention“ anzufechten, da er und sein Anwalt kein Recht auf Informationen bezüglich der Anschuldigungen haben. Außerdem wäre die einzige Möglichkeit ein Appell, der ebenfalls vor einem Militärgericht stattfinden würde und somit keine unabhängige Revision des Urteils erlaubt. Das Recht auf Freiheit jedes Gefangenen in „Administrative Detention“ ist demnach vollkommen abhängig von der Entscheidung des Militärrichters.

* Michelle Schmit (22) ist gebürtige Luxemburgerin, lebt zurzeit in Paris und schließt gerade ihren Master 1 in „Droit international général“ an der „Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne“ ab. Teil 1 von dieser Serie erschien in der letzten Dienstagausgabe (13.2.2018) des Tageblatt.


Der Fall Ahed Tamimi

Für die einen ist sie eine Ikone des Widerstands gegen die Besatzer, für die anderen ein Instrument palästinensischer Provokation: die 17-jährige Ahed Tamimi, weltweit bekannt aus einem Handy-Video, in dem sie israelische Soldaten in ihrem Heimatort Nabi Saleh im Westjordanland boxt und schlägt. Seit Dezember sitzt sie in israelischer Haft, am Dienstag hat ihr Prozess vor einem Militärgericht begonnen. Ihr Fall gehört nicht in die Kategorie „Administrative Detention“.

Tamimi zählt zu den schätzungsweise 300 minderjährigen Palästinensern in den israelischen Gefängnissen. Dort hat das Mädchen, das mit seinen blonden Korkenzieherlocken so gar nicht dem Klischee des palästinensischen Aufständischen entspricht, im vergangenen Monat auch seinen 17. Geburtstag verbracht. Tamimi ist wegen tätlichen Angriffs und Aufwiegelung angeklagt. Ein Schuldspruch könnte sie mehrere Jahre ins Gefängnis bringen. Mit ihr sitzt auch die Mutter wegen des Vorfalls vom 15. Dezember in Haft.

Für Palästinenser ist Tamimi der Inbegriff des Kampfes von David gegen Goliath. Ihre Anhänger feiern sie als mutige Jugendliche, die bei dem jüngsten Vorfall handgreiflich wurde, weil sie erfuhr, dass ihr 15-jähriger Cousin am Rande von Zusammenstößen schwer verletzt worden war – ein Gummigeschoss hatte ihn aus nächster Nähe in den Kopf getroffen. In Israel ist hingegen von einer inszenierten Provokation die Rede, die die Soldaten in Verlegenheit und Bedrängnis bringen sollte. Damit verkörpert der Fall Tamimi nicht nur den Besatzungskonflikt – nach der Einnahme von Westjordanland, Gazastreifen und ganz Jerusalem 1967 jetzt bereits in seinem 51. Jahr –, sondern ist auch zum Symbol des Ringens um internationale Sympathien geworden. Der Angriff auf die Soldaten war nicht die erste Auseinandersetzung der jungen Palästinenserin mit den Israelis. Schon vor Jahren nahm sie an Protestmärschen teil, die oft mit Steinwürfen und Zusammenstößen endeten. Mehrmals geriet das Mädchen mit Soldaten aneinander. Ein Foto zeigt die damals Zwölfjährige, die einem israelischen Soldaten die geballte Faust entgegenstreckt.

Vater Bassem ist wenig zuversichtlich, dass das Gericht nachsichtig mit Ahed umgeht. Er fürchtet, dass seine Tochter noch länger im Gefängnis bleiben muss. Doch ungeachtet seiner persönlichen Pein geht er mit einem gewissen Optimismus in den Prozess. Der Fall seiner Tochter und die öffentliche Unterstützung für Ahed signalisierten den Beginn des Endes der israelischen Besatzung, meint er. „Ich denke, dass wir einen Wendepunkt unserer Geschichte erreicht haben, mit Blick auf einen anderen Umgang mit unseren Besatzern und der Kolonialisierung“, sagt er.

„Ja, es gibt einen Preis dafür“, räumt er ein, „aber diese Generation, für die Ahed steht, wird die Generation der Freiheit sein.“ Derweil scheint eine weitere Generation im Kreislauf von Widerstand und Festnahmen gefangen. Wie Bassem Tamimi, der selbst als 14-Jähriger den ersten Stein warf und in der ersten Aufstandsbewegung vor 30 Jahren dabei war, versammeln sich die Jugendlichen zu ihren wöchentlichen Protesten, teils vermummt und mit Steinen in der Hand.

Fantastico
15. Februar 2018 - 15.03

Israel hat ein monströses (Un-)Rechtssystem gegenüber seinen palästinensischen Administrierten, wenn dieses es erlaubt die Untersuchungshaft (Administrative Detention) unbegrenzt zu verlängern ohne dass es je zu einem fairen Prozess kommt, ja ohne dass der Inhaftierte überhaupt den Grund seiner Festnahme erfährt! Sogar die Zuweisung eines Anwalts für den Häftling klingt in diesem Zusammenhang wie Hohn, da auch der Anwalt nicht den Grund der Inhaftierung erfahren darf!