Differdingen: Schlangengrube mit Charme

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DIFFERINDGEN – In der "Cité du fer" sind viele Optionen offen – und die Giftzähne spitz.

In Differdingen wurde der Wahlkampf zwischen Bürgermeister Roberto Traversini („déi gréng“) und Herausforderer François Meisch (DP) nicht gerade mit Samthandschuhen ausgetragen. Wer am Ende das Rennen machen wird, hängt jedoch nicht nur von den beiden Herren ab.

Ob im TV- oder Radio-Duell, ja selbst in der Werbebroschüre gab es keinen Zweifel: François Meisch verpasste keine Gelegenheit, um Bürgermeister Roberto Traversini anzugreifen. Dass es für Meisch nicht um irgendeine Wahl geht, sondern auch ein Stück weit um die Ehre seiner Familie, liegt auf der Hand.

Denn Anfang 2014 war es zu einer Situation gekommen, die sich niemand in der DP vorstellen konnte und zu langen Gesichtern führte. Nach dem Wechsel von Claude Meisch in die Regierung herrschte in der Differdinger DP-Sektion wohl nicht das von der LSAP damals verkündete „Chaos“, aber ein sich kontinuierlich vergrößerndes Vakuum, das Meisch hinterließ.

DP-Kandidat abgelehnt

Und so kam es, wie es kommen musste: Die Kandidatur des als neuen Bürgermeister designierten DP-Politikers John Hoffmann wurde mit neun zu acht Stimmen abgelehnt. Der grüne Koalitionspartner hatte die Blauen in Differdingen geschickt fallen gelassen.

Auch Claude Meischs Vater, der in Differdingen wohl respektierte Marcel Meisch, und Pascal Bürger wurden vorgeführt. Sie bekamen keine Mehrheit, um in den Schöffenrat zu gelangen. Das Ende der Geschichte ist bekannt: Das Schicksal der blau-grünen Koalition war damit endgültig besiegelt.

So etwas vergisst man nicht. Und dies war bei diesem Wahlkampf besonders deutlich spürbar. Obschon François Meisch ähnlich wie sein älterer Bruder Claude Meisch ohnehin nicht zur Kategorie „Schlafpillen“-Politiker gehört, nahm er z.B. einige der Kritikpunkte in den Debatten sichtlich persönlich.

Nicht nur externe Faktoren spielten beim Putsch eine Rolle

Dass die DP jedoch 2014 nicht nur wegen externer Faktoren geputscht wurde, scheint der Kandidat heute teilweise auszuklammern. Es brodelte damals auch innerhalb der Partei, was sich bereits vorher am Rücktritt von DP-Schöffen Jean Lorgé abgezeichnet hatte. Er sprach von einem „coup monté“ und kritisierte Marcel Meisch dafür, ihn verdrängt zu haben.

All dies mündete dann spätestens im Januar 2014 in einer für die Liberalen massiven Katastrophe: die sogenannte Kenia-Koalition aus LSAP, CSV und „déi gréng“ einigte sich, die DP auf die Oppositionsbank zu schicken. Dass die DP sich jedoch nicht zu sehr in der Opferrolle gefallen sollte, zeigt sich daran, welch charmante Polit-Schlangengrube Differdingen eigentlich ist.

Putschen ist ihr Hobby

Die Blauen hatten einst ähnliche Methoden angewendet, um die Sozialisten 2001 loszuwerden und das Zepter zu übernehmen. Der Bumerang kehrte 13 Jahre später zurück und erschütterte das Fundament der Differdinger Sektion erheblich.

Damals hatte sich die neue Koalition eine neue Mehrheit aus DP, „déi gréng“ und CSV gebastelt. Wie bei vielen politischen Wandeln wurde sich neuer Wind auf die Fahnen geschrieben. Für die Differdinger Sozialisten war die neue Machtkonstellation tatsächlich fatal.

Die DP konnte sich bis zu den Wahlen von 2005 als dynamische Kraft in Differdingen etablieren: Sie gewann fünf Sitze und war nicht mehr auf zwei Koalitionspartner angewiesen. Und so durfte auch die CSV neben der LSAP auf der Oppositionsbank Platz nehmen.

Komplexe und emotionale politische Landschaft

All dies verdeutlicht, wie komplex und emotional sich die politische Landschaft in Differdingen bis heute entwickelt hat. Wie weit dies ging, zeigte sich etwa daran, dass direkt zu Beginn des aktuellen Wahlkampfs der Vorwurf laut wurde, es würde mehr der Mann als der Ball gespielt.

Als Beispiel hierfür diente etwa François Meischs Aktion mit den Flugblättern, die dem CSV-Schöffen Tom Ulveling persönliches Fehlverhalten vorwarfen. Ein ähnlicher Angriff wurde von ihm auf Bürgermeister Roberto Traversini per Pressemitteilung durchgeführt. Beide Vorwürfe wurden letztlich nicht weiterverfolgt.

Besonders spannend ist die Situation in Differdingen, weil eigentlich keine Partei von sich behaupten könnte, für einen Bruch oder Neuanfang zu stehen. Die vier Schwergewichte verändern lediglich die Koalitionsmuster. Genau dies zeigt sich beim Wahlkampf.

Blickt man auf die Programminhalte und die Differenzen der Parteien, so ist man sich zunächst in den großen Linien einig:

  • Differdingen muss als drittgrößte Stadt des Landes und angesichts seines rasanten Wachstums eine langfristige Vision haben.
  • Die Arbeitslosigkeit ist zu hoch und es ist noch viel Luft nach oben frei, was die Bekämpfung des Phänomens auf lokaler und nationaler Ebene betrifft.
  • Das Differdinger Zentrum hat ein enormes Potenzial, das noch nicht vollständig erschlossen wurde.
  • Das Geschäftsleben muss redynamisiert werden. Das Einkaufszentrum „Opkorn“ ist Segen und Fluch zugleich, je nachdem, wie das Stadtzentrum mit der Shoppingmall mit den 27 Geschäften, drei Kiosken und fünf Restaurants verbunden wird.

Ausreißer nur bei der KPL

Richtige Ausreißer finden sich thematisch eigentlich nur bei der KPL, die prinzipiell die Liberalisierung der Differdinger Arbeits- und Lebenswelt kritisiert. Diesbezüglich sind sich die anderen Parteien hingegen einig und stören sich nicht daran. Sie setzen auf eine angebotsorientierte Wirtschaftsgestaltung, die ihre Bürger vor allem als Konsumenten betrachtet. Tatsächlich ist jedoch die Frage berechtigt, welche Effekte diese Form von Wirtschaftspolitik, die auf Landesebene geschmiedet wird, im lokalen Leben von Differdingen haben wird.

Einigkeit herrscht wiederum bei den großen Parteien, was die Verkehrs- und Wohnsituation betrifft. Es müsse daran gearbeitet werden, mehr bezahlbaren Wohnraum zu ermöglichen. Lediglich die Mittel und Methoden, um diese Forderung zu erreichen, unterscheiden sich teilweise.

Knackpunkt sozialer Wohnungsbau

So divergieren die Meinungen etwa mit Blick auf den sozialen Wohnungsbau. Dies beginnt bereits bei der Berechnung, sprich wie viele dieser Wohneinrichtungen es in Differdingen gibt. Bürgermeister Traversini lobt die zehn Prozent, Oppositionspolitiker Gary Diderich beruft sich hingegen auf andere Rechenstandards und kommt auf maximal 3,6 Prozent, die man auch noch auf fünf Prozent „aufrunden könnte“.

Demnach hat keine der Parteien ein großes Vorzeigeprojekt oder bahnbrechende Visionen für Differdingen. Die Wahl wird am morgigen Sonntag wohl bei vielen „Déifferdanger aus dem Bauch eraus“ entschieden. Differdingen ist in der Zwischenzeit durch das Zusammenspiel der verschiedenen Parteien aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Innovation, Bildungsangebote und Gastronomie können sich blicken lassen.

Und so bleibt es in der „Cité du fer“ bis Sonntag spannend. Wer hat die Bürger in den letzten Jahren durch seine Politik, seinen Stil, aber auch durch seine politischen Spielchen begeistert, verletzt oder gar erbost? All dies und der übliche lokale „Beschass“ werden sicher eine wichtig Rolle für viele Wähler spielen.

Denn in der charmanten Schlangengrube vergisst man nicht so schnell – das weiß niemand besser als die Differdinger.