Kulissen made in USSR

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Premier Bettel und Minister Schneider waren zu Besuch in Russland. Ein Bericht aus Tambow, Hauptstadt der gleichnamigen Oblast in Zentralrussland.

Tambow, Hauptstadt der gleichnamigen Oblast in Zentralrussland, erinnert nur auf den ersten Blick an längst vergangene Zeiten.

Vor knapp drei Jahrzehnten noch riefen Transparente an Fassaden, auf Dächern und an Wänden in Betrieben und Verwaltungen die Werktätigen zur Erfüllung und Übererfüllung des Fünfjahresplans auf. Wer sich besonders anstrengte, der gelangte mit Name und Foto auf die Ehrentafel. Heute hängt am Tambower Regierungssitz im Eingangsbereich eine Ehrentafel mit den Porträts der Ehrenbürger der Stadt, angefangen bei Roman Fedorowitsch Boborykin, dem Erbauer und Chef der damaligen Festungsstadt Tambow in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Die befestigte Siedlung sollte den Moskauer Staat vor den Einfällen der Krimtataren und Nogaiern, eines turksprachigen Volkes aus dem Kaukasus, schützen.

Fünfjahrespläne gibt es seit dem Hinscheiden der Sowjetunion nicht mehr. Doch die gute alte Tradition, erstrebenswerte ökonomische Ziele an gut sichtbarer Stelle zu verkünden, starb in Tambow nicht aus. Weiße Lettern auf rotem Fond mahnen im Eingangsbereich des Regierungssitzes der Region Tambow die Entwicklung der Industrie als vorrangiges Ziel an.

„Mineralwasser?“ – „Haben wir nicht“

Die Zeit ist in der gleichnamigen Provinzhauptstadt scheinbar stehen geblieben. Noch immer zeigt ein resoluter Lenin wenige Meter vom Regierungssitz entfernt den Massen, wohin der Weg geht. Das gegenüberliegende Theaterhaus lädt zu Ballettaufführungen von „Schwanensee“ und „Romeo und Julia“ ein. In den etwas betagten Liften sowjetischer Produktion am Gouverneurssitz wachen strenge, in grüne Arbeitskittel gekleidete, etwas füllige Damen darauf, dass keine Unbefugte in den Aufzug steigen.

Alles muss nach Plan ablaufen. „Mineralwasser?“, fragt der Journalist. – „Haben wir nicht.“ – „Bier?“ – „Nein.“ – „Bitte einen Kaffee mit Milch.“ – „Nur schwarz.“ Aber nett ist die Bedienung allemal: „Tee – schwarz oder grün?“, fragt sie. „Mit oder ohne Zitrone?“ Nur ahnungslose Russlandbanausen können in derlei Verhalten einen Affront erkennen. Tee war zu Sowjetzeiten das Nationalgetränk schlechthin, noch vor Wodka, wagen wir zu behaupten. Kaffee gab es wohl, aber hauptsächlich in Pulverform und meist ziemlich ungenießbar.

Die rund eine Million Einwohner der Oblast haben einen eigenen, etwas in die Tage gekommenen Flughafen: für zwei Flüge am Tag, einer nach Moskau, der andere nach St. Petersburg. Und im Sommer natürlich nach Sotschi am Schwarzen Meer, Russlands Côte d’Azur.

Willkommen in der Sowjetunion. Oder doch nicht?

Tambow, den meisten Luxemburgern heute wohl hauptsächlich wegen der im Gefangenenlager Nummer 188 während des Zweiten Weltkrieges internierten Landsleute bekannt, sucht den Anschluss ans 21. Jahrhundert und hat ihn streckenweise längst gefunden. Die Provinz hat eine technische Universität, in der über Nanotechnologie geforscht wird. In Fabriken werden Agrarmaschinen gebaut, moderne Kühlgeräte, Dieselaggregate. Stark entwickelt sind die Chemieindustrie, der Maschinen- und Gerätebau.

In der besonders fruchtbaren zentralen Schwarzerde-Region gelegen ernährt die Provinz das Land mit ihren Kartoffeln und Fleischerzeugnissen. In Russland ist der regionale Schinken fast so bekannt wie bei uns der aus Parma. Die Provinz sei industriell stark entwickelt, dennoch sei sie die ökologisch sauberste Region des Landes, heißt es.

Stolz zählt Gouverneur Alexander Nikitin der Luxemburger Regierungsdelegation am Mittwoch die Leistungen seiner Oblast auf. Den Grund liefert er gleich mit. Die Region möchte die besonderen Beziehungen zum Großherzogtum ausbauen, über das rein Kulturelle hinaus. Bei Premierminister Xavier Bettel stößt er auf offene Ohren. Die mündliche Einladung nach Luxemburg ist schnell ausgesprochen. Wirtschaftsminister Etienne Schneider werde sich der Sache annehmen, so Bettel. Die Reise sollte noch vor Oktober 2018 stattfinden, meint dieser schmunzelnd und verweist auf die anstehenden Wahlen. Wird schon, gibt Nikitin den Gästen zu verstehen.

Das Treffen mit den Luxemburgern ist gemäß russischer Tradition betont herzlich, ungeachtet möglicher politischer Unwägbarkeiten. Die Luxemburger Seite wird sich beim Gegenbesuch als ebenbürtige Erwiderung so einiges einfallen lassen müssen.

Jean Bodry
20. Oktober 2017 - 13.27

Et kënnt sinn. Dat et villäicht besser wär fir Bild vun de Lëtzebuerger Zwangsrekrutéiert am Gefaangenelager zu Tambow! Wann mer net alles iwwer Lëtzebuerger Prisonéier vun Tambow wëssen! Bild vum Zwangsrekrutéierten kann ee puer Téitsche kréien!