Max Thommes lässt sein Leben von der Kunst lenken

Max Thommes  lässt sein Leben von der Kunst lenken

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Beim diesjährigen „Fundamental Monodrama Festival“ stellt Max Thommes gemeinsam mit Daniel Stammet unter dem Namen „Die_RADIALSTEN“ das Projekt „KOPIE_KULT“ vor. Ein Projekt, das nicht nur eine wilde Mischung aus Performance, Text und Musik, sondern auch der erste Schreibversuch des jungen Schauspielers und Musikers ist.

Tageblatt: Sie sind vorwiegend Schauspieler und Musiker. Wie kam es dazu, dass Sie einen eigenen Text verfasst haben?

Max Thommes: Für mein Musikprojekt „DAS RADIAL“ schreibe ich sowieso viel Text. Es handelt sich dabei mehr um Schlagwörter und Verse. Der Text hier bleibt zwar auch ziemlich bruchstückhaft, aber ich wollte wissen, ob ich es schaffen würde, an einem längeren Textformat zu arbeiten.

Was war der Unterschied beim Arbeitsprozess?

Die größte Schwierigkeit bestand darin, das Geschriebene so kompakt zu gestalten, dass es sich für die Bühne eignet. Was heute auf der Bühne aufgeführt wird, stellt ein Viertel dessen, was ich geschrieben habe, dar. Ich bin beim Schreiben stets abgeschweift. Die Gefahr war, dass es nachher eher einem Roman als einem Theaterstück gleichkommen würde. Das Kürzen, das Zusammenschneiden, das waren eigentlich die größten Herausforderungen.

Worum geht es im Stück „KOPIE_KULT“?

Der Ausgangspunkt war eine Überlegung darüber, wie wir uns lenken lassen – durch Religionen, Sekten, durch Stimmen in unseren Köpfen. Es geht darum, was passiert, wenn eine äußere Kraft die Macht über uns übernimmt. Die erzählerische Ausgangssituation beginnt mit Elias, einem verlorenen Typen, der einem Außerirdischen begegnet. Dieser offenbart ihm einen religiösen Kult. Der Text geht dann in sehr unterschiedliche Richtungen und Elias fragt sich, wie viel Entscheidungsmacht ihm selbst noch bleibt.

Das Projekt ist eine Weiterentwicklung von „Naked Lunch Radial“, das in der Work-in-Progress-Reihe 2018 von Monolabo gezeigt wurde.

Das Setting ist das gleiche. Letztes Jahr startete ich den Versuch jedoch mit dem Text eines anderen: „Naked Lunch“ von Burroughs. Die Ästhetik ist dieselbe – es wird Musik und Performance geben und die Maschine, die ich letztes Jahr entwickelt habe, wird erneut eingesetzt werden. Nur wird es länger und hoffentlich ausgereifter sein.

Was hat es mit dieser Maschine auf sich?

Es handelt sich dabei um einen Versuch, eine Bühne zu schaffen, die ich sozusagen mit auf Tour nehmen kann, um „körperlicher“ zu arbeiten, ohne dass es eine große Bühnenausstattung geben muss. Die Maschine wurde vom Künstler Daniel Stammet konzipiert, mit dem ich dieses Projekt durchführe.

Liest man ein paar Textfragmente, denkt man an Kafka, Burroughs, an ein Science-Fiction-Universum. Wie haben Sie die Fiktionswelt zusammengestellt?

Es gibt Passagen, die mit ihren Schlagwörtern und Selbstfindungstrips typisch für „DAS RADIAL“ sind. Die Anfangssequenz schrieb ich in einer Zeit, in der ich mich viel mit Kafka auseinandergesetzt habe. Das war noch vor „Kafkas Cave“ (Max Thommes’ letztes Stück, ein Monolog in den Caves Saint-Martin, Anm. der Red.). Ich lasse mich immer von dem, was ich gerade lese, beeinflussen. Des Weiteren litt ich zu diesem Zeitpunkt an einer Krankheit, hatte tatsächlich, wie die Figur am Anfang des Textes, kleine Würmchen in mir und fragte mich, wie man dies metaphorisch in einem Text nutzen könnte.

Haben das Schauspielerdasein und die musikalischen Erfahrungen das Schreiben beeinflusst?

Als Schauspieler und Musiker entwickelt man ein Gefühl für den Rhythmus eines Textes. Man weiß auch, welche Textlänge auf der Bühne tragbar ist. Transponiert man den Text eines echten Literaten auf die Bühne, ist das stets ein schwieriges Unterfangen – bei Kafka war es äußerst herausfordernd, den Rhythmus dieses Prosatextes für die Bühne – oder in diesem Fall den Weinkeller – anzupassen. Wenn man den Prosatext selbst schreibt, bleibt diese Gefahr, es bleiben dieselben Grenzen – nur kann man sie leichter überwinden.

Im Text geht es um Kontrollverlust, um Manipulation. Sie haben bereits in einer Doku über Handyüberwachung mitgewirkt, in der Sie sich selbst überwachen ließen. Hat dies eine Rolle gespielt?

Definitiv. Es geht darum, dass man die Kontrolle über sich selbst verliert. Und dies passiert heute oft via Handy oder durch Religionen. Aber man könnte dies auch am Beispiel der Kunst festhalten: Ich lasse mein Leben von der Kunst lenken. Jeder von uns hat wohl irgendetwas, an das er Kontrolle abgibt und wovon er sich dann steuern lässt. Es erschien mir aber diesmal zu leicht, dies einfach via Handy und Internetüberwachung darzustellen. Weswegen ich diesen Kult erschaffen habe, der die Roboter abschaffen will und eine neue Art Mensch konzipiert. In der Fiktionswelt kann die Figur irgendwann nicht mehr zwischen eigenem und von außen auferlegtem Willen unterscheiden. Genauso verhält es sich im Internet: Wir glauben, auf diesen oder jenen Link klicken zu wollen. Aber hat nicht vielleicht ein Algorithmus uns im Vorfeld vorgeschlagen, welche Links uns als manipulierbare Konsumenten interessieren könnten?