Großes im Kleinen

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Das Micropop-Festival in Saarbrücken

Man muss nicht bis zum SXSW nach Austin reisen, um in die unerforschten Tiefen des Pop einzutauchen und neue, aufregende Klänge zu entdecken. Manchmal reicht auch ein Ausflug nach Saarbrücken – zum Beispiel heute zum Micropop-Festival im Mauerpfeiffer.

Dem Saarland hängt ein wenig der Ruf nach, ein blinder Fleck auf der kulturellen Landkarte der Großregion zu sein. Doch es gibt Leute, die bestrebt sind, in dieser Hinsicht etwas zu ändern. Zum Beispiel Chris Burr vom Hotellounge Booking, der drei außergewöhnliche Acts in die Landeshauptstadt holt und etwas versucht, was im Saarland öfter zu kurz kommt – ein Festival mit innovativer, spannender Musik, die nicht im Radio zu hören ist. Das Tageblatt hat sich mit ihm unterhalten.

Tageblatt: Herr Burr, Sie leiten eine international tätige Booking- und Veranstaltungsagentur. Trotzdem zieht es Sie mit dem Micropop-Festival nach Saarbrücken. Wieso?

Chris Burr: Ich war ein paar Jahre in der Schweiz festangestellt bei einer Agentur. Als ich mich dann wieder selbstständig machte, musste ich entscheiden, ob ich in der Schweiz bleibe oder nach Berlin gehe – ich habe mich dann für etwas völlig Beklopptes entschieden: zurück in die Heimat.

Auch wenn wir hier einen extremen Standortnachteil haben. Wir finden hier zum Beispiel überhaupt keine Mitarbeiter. Es gibt keine Booking-Agenten im Saarland, die in diesem Bereich Erfahrung haben und im internationalen Musikgeschäft involviert sind. Von unseren 300 Shows im Jahr in Europa finden keine im Saarland statt, sofern wir da nicht massiv nachhelfen oder es selbst veranstalten.

In der Mainstream-Provinz gibt es keine Veranstalter für Themen aus der Nischenkultur. So ist im größten Nichts der Welt nichts größer als die Chance, etwas zu machen, um dieses Nichts zu füllen. Man muss sie nur als solche erkennen. Wir sind Saarländer und möchten die kulturelle Vielfalt in unserer Heimat erweitern. Es tut not. Das Saarland verliert jährlich 2.000 junge Menschen im Alter von 15-34 Jahren. Wir befinden uns inmitten einer sich immer schneller drehenden Abwärtsspirale.

Saarbrücken ist als Landeshaupt stadt durchaus aucheine Bühne für größere Acts …

Größere Acts bedeutet in Saarbrücken meist deutsche Produktionen im Bereich bis 3.000 oder 4.000 Besucher. Darunter befinden sich die immer gleichen Künstler. Richtig große Acts ab 4.000 Besucher sind in Saarbrücken gar nicht veranstaltbar. Das liegt in erster Linie an der nicht vorhandenen Infrastruktur. Die größte Halle hat Kapazitäten für rund 4.000 Besucher und stammt aus den 60ern. Moderne Produktionen können dort nicht arbeiten.
Viele äußern den Wunsch nach einer neuen Eventlocation mit 8.000-10.000er-Kapazität. Aber das Land ist hoch verschuldet und die Haushaltslage kritisch. Somit könnte es mit einer neuen Halle noch ziemlich lange dauern. Es braucht aber auch nicht zwingend eine solche Location, um dem Saarland mehr Attraktivität zu geben. Denn der Mainstream hat keine Strahlkraft nach außen.

Für die üblichen Verdächtigen, also Mainstream-Acts aus den Charts und dem Hit-Radio, braucht niemand ins Saarland zu kommen, da diese auch überall sonst spielen. Avantgarde- und Nischenkultur hat aber das Potenzial einen sogenannten Leuchtturm zu bilden.

Wie steht es denn um die Musikszene abseits des Mainstreams?

Die Musikszene in Saarbrücken ist im Prinzip da. Sie ist auch groß, aber unterschiedliche Szenen arbeiten irgendwie nicht miteinander, sondern lieber gegeneinander. Wir haben auch viele kleine Läden, in denen die lokalen Künstler spielen können. Leider hat das meist Kneipen-Show-Charakter. Es fehlt hier einfach ein professioneller Club mit ordentlicher Technik und kompetenten Menschen in den Bereichen Booking, Promotion und Produktion.

Dass überwiegend nur das, was das regional vorhandene Publikum kauft, gebucht wird, ist verständlich, wenn man bedenkt, dass man hier ohne jegliche Förderungen arbeitet. Deshalb müssen wir daran arbeiten, Popkultur, wie in anderen Regionen und in fast jedem anderen europäischen Land, auch im Saarland entsprechend finanziell zu fördern. Die Förderpreise der Initiative Musik für Outstanding Programm gehen nach ganz Deutschland, aus dem Saarland gab es nicht einmal eine Bewerbung dafür.

Es ist aber auch nicht alles schlecht. Es gibt in Saarbrücken eine kleine DIY-Gruppe, die großartigen Künstlern eine Plattform bietet. Nur die Lücke von DIY zu 200-800er-Konzerten mit anspruchsvoller Musik ist extrem. Völlige Leere derzeit noch.

Wieso sollten wir uns unbedingt die drei Bands anhören, die auf dem Micropop-Festival auftreten?
Wir versuchen, gezielt Sachen zu machen, die eben zu diesen 80% der Musik dieser Welt gehören, die es bisher im Saarland nicht gab. Lovebyrd sind aus Saarbrücken und haben selbst nach zwei Alben-Veröffentlichungen noch nie in Saarbrücken gespielt. Für mich sind Lovebyrd die saarländische Band mit dem größten Potenzial für eine internationale Musik-Karriere. Pale Grey sind zuckersüß und kantig zugleich. Sie stammen aus Liège. Ich fand es prima, auch eine Band aus der Großregion dabei zu haben.

Außerdem passte der Bandname HOPE ziemlich gut zur derzeitigen Situation im Saarland. Es gibt nämlich Hoffnungsschimmer in der Politik, die erkannt hat, dass Popkultur ein verdammt wichtiger Baustein in der weiteren Entwicklung des Saarlandes ist. Den extrem negativen demografischen Faktor im Saarland kann man nicht nur mit kostenlosen Kitas, kostenlosen Studieren, Meisterbriefen, attraktiven, günstigen Wohnungen, ÖPNV und Arbeitsplätzen begegnen. Alle Bausteine sind nötig. Und die Popkultur ist ein ganz erheblicher Baustein.

Ein Blick über den Tellerrand

Sieht man sich das Line-up an, merkt man tatsächlich rasch, dass Burr bei der Auswahl der Künstler nach der Maxime Klasse statt Masse verfahren ist. Die drei angekündigten Bands zeigen jede auf ihre Weise eine Facette der aktuellen Vielfalt des Pop.

Das Oxymoron des Abends ist ohne Zweifel der Headliner Hope – selten lagen Name und Inhalt so weit auseinander. Die Musik ist frei von überschüssigem Pathos, nicht pompös, eher ein Raunen und Flüstern, effektvoll ineinander geschichtete Klänge von Synthesizer und Gitarre, das Schlagzeug niemals aufdringlich. Der Gesang von Christine Börsch-Supan entfaltet die Ästhetik der Verzweiflung, wenn er in der Intensität des ansteigenden Ambient-Sounds zu ertrinken droht. Trotzdem schneidet er durch den dunklen, beklemmenden Nebel und etabliert sich als gespenstisches Leitmotiv in der Musik dieser sprichwörtlich atemberaubenden Kombo.

Pale Grey dagegen bestechen durch Musik, die klingt, als hätte man sie mit einer umgebauten Polaroidkamera aufgenommen. Ständig schwingt ein Hauch, manchmal auch eine Böe von New Wave mit – die Belgier machen keinen Hehl aus ihren Anleihen bei Bauhaus und Joy Division. Auf dem neuen Album „Waves“ sind Einflüsse wie Flume und Chet Faker allerdings auch unverkennbar und verschmelzen zu einem interessanten Werk, das gerade durch das zwinkernde Vorgaukeln einer poppigen Anspruchslosigkeit ein fesselndes Klangerlebnis bereithält.

Das Line-up wird von den Lokalmatadoren von Lovebyrd vervollständigt, die mit unprätentiösem Indiepop daherkommen. Tame Impala lässt grüßen. Der Nostalgie für die 80er, die aus dem heutigen Indie nicht mehr wegzudenken scheint, wird auch hier mit sanften Synthieklängen Tribut gezollt. Es ist Musik für den urbanen Sommer, man denkt unweigerlich an den Sunset Boulevard in L.A. und Männer in Hawaii-Hemden.

Das Festival verspricht einen lohnenswerten Ausflug ins benachbarte Saarbrücken – abseits der großen Namen in der Rockhal und im Atelier gibt es viel zu entdecken. Man muss nur hin und wieder über seinen Tellerrand schauen. Oder in diesem Fall halt über die Mosel.

Von Tom Haas