Der Gaza-Konflikt als Beschleuniger

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Der jüngste Gaza-Konflikt hat in mehreren europäischen Ländern zu einem Aufflammen des Antisemitismus geführt. In Frankreich brannten Geschäftslokale, in Belgien verbietet ein Wirt Juden den Zugang.

Tote Kinder und Frauen, eine hochgerüstete regionale Supermacht, die Wohnungen und Krankenhäuser in einem dichtbesiedelten Fleckchen Land bombardiert – das Bild das Israel derzeit im Gaza-Konflikt abgibt, verschafft ihm nur wenig Freunde, stattdessen aber viele neue Feinde, auch in Europa.

Deutschland im Juli 2014. Kassel. Bei einer Demonstration gegen Israels gewaltsames Vorgehen im Gaza-Streifen wird „Scheiß Juden“ geschrien, immer wieder. Oder Frankfurt. Dort werden, aus gleichem Anlass, Plakate wie „Ihr Juden seid Bestien“ durch die Straßen getragen. Oder Berlin. Auf dem Ku’damm erklingt in brutaler Lautstärke hundertfach der Chor: „Jude, Jude, feiges Schwein – komm heraus und kämpf allein“.

Franreich: In Sarcelles (Val d’Oise) hatten am Sonntag aufgebrachte Demonstranten Geschäftslokale verwüstet, das hauptsächlich Kunden jüdischer Herkunft haben. Autos waren in Brand gesteckt, Stadtmobiliar zerstört worden. Eine Apotheke wurde geplündert. Antisemitische Parolen waren bei der nicht genehmigten Demonstration skandiert worden. An einer Synagoge in Lyon hatten am Samstag Unbekannte ein Plakat mit der Aufschrift „Israël assassin“ angebracht.

„Hunde erlaubt, Juden verboten“

Belgien: In der Gemeinde Saint-Nicolas in der Provinz Liège hat ein Gaststättenbesitzer Juden den Zugang zu seinem Etablissement verboten. „Hunde erlaubt, Juden verboten“, hat er im Fenster geschrieben. „L’entrée est autorisée aux chiens, mais aux sionistes en aucune façon“. Der Text erinnere an die Plakate in Nazi-Deutschland „Für Hunde und Juden verboten“, so „Le Soir“ am Mittwoch. Der auf Türkisch verfasste Satz auf demselben Plakat ist eindeutiger. Dort heißt es: „Hunde sind im Laden erlaubt, aber Juden, niemals“.

Staatlicher Antisemitismus in der Türkei

Der Belgischen Liga gegen Antisemitismus (LBCA) zufolge sind derlei Äußerungen das Ergebnis einer Dynamik in der Türkei, wo sich unter dem Impuls von Erdogan eine Art staatlicher Antisemitismus entwickelt hat.

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, sagte laut dpa zu den antisemitischen Aussagen: „Niemals im Leben hätte ich mir vorgestellt, dass wir so eine Hetze gegen Juden in Deutschland wieder hören könnten.“

Was sich in Sarcelles ereignet habe, sei unannehmbar, sagte Frankreichs Premierminister Manuel Valls am Montag. Nach einem Treffen mit Präsident François Hollande am Montag betonten die Vertreter der Juden, Musulmanen, Christen und Buddhisten in Frankreich, dass der Antisemitismus bekämpft werden müsste. Das friedliche Zusammenleben in Frankreich müsse erhalten werden.

Nicht nur Unverbesserliche

Das Ausmaß des Antisemitismus hat scheinbar viele überrascht. Im Unterschied zu früher sind neben Neonazis und extremen Linken jetzt jedoch deutlich mehr Einwanderer auf den Straßen unterwegs, Islamisten auch. Den Spruch „Allahu akbar“ („Gott ist groß“) hörte man auf solchen Kundgebungen früher eher selten, weiß dpa zu melden.

Eine gute Plattform für antisemitische Ausschweifungen bietet das Internet mit seinen unzähligen Online-Foren. Insbesondere bei Facebook toben sich Antisemiten aus. Beim Zentralrat der Juden in Deutschland ist man derzeit schwer damit beschäftigt, üble Kommentare von der Facebook-Seite zu tilgen. Einer von Dienstag, längst nicht der schlimmste, im Original: „Seit jahren beschwert sich der Zentralrat über Antisemitismus sobald die Deutschen ihnen ihrer meinung nach zu wenig Zucker in den Arsch blasen. (…) Und jetzt heult leiser.“ Wenn die Beschimpfungen besonders böse werden, werde der Staatsschutz eingeschaltet.

Antisemitismus in Europa

Nach verschiedenen deutschen Studien ist etwa jeder fünfte Deutsche latent antisemitisch – und längst nicht nur Ältere, auch die „Generation Facebook“.
In Frankreich sollen 37 Prozent der erwachsenen Bevölkerung antisemitisch sein. Das ergab eine von der „Anti Defamation League“ durchgeführte Erhebung, dere Ergebnisse im Mai 2014. In Belgien wären derselben Studie zufolge 27 Prozent der Erwachsenen antisemtisch, genauso viele in Deutschland. Die Erhebung wurde zwischen Juli 2013 und Februar 2014 in 101 Ländern sowie im Westjordanland und im Gazastreifen durchgeführt.

Luxemburg wird in der ADL-Studie nicht aufgeführt. Claude Marx, Präsident des israelitischen Konsistorium, hatte im Gespräch mit Tageblatt.lu im Januar 2014 angegeben, dass es keine Anzeichen von antisemitischen Strömungen oder Bewegungen gebe. „Der Antisemitismus in Luxemburg wird nicht offiziell ausgeübt sondern nur von einzelnen Individuen betrieben“, hatte er gesagt.

In ihrem 2012 veröffentlichten Bericht hatte die „Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz“ (ECRI) geschrieben, dass 2010 in Luxemburg 22 antisemitische Bemerkungen im Internet gepostet wurden. Sechs Fälle seien der Polizei gemeldet worden.