„Europa ist angeschlagen“

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Die europäische Presse beschäftigte sich in den Montagsausgaben mit dem griechischen "Nein". Hier ein paar Ausschnitte.

Das „Tageblatt“ (Link) meint am Montag zum Referendum in Griechenland:

„Europa wird den mutigen Griechen noch einmal dankbar sein – und zwar für ein Umdenken in der Union hin zu einem weniger liberalen, dafür umso sozialeren Verbund. Was jetzt her muss, ist ein Schuldenschnitt. Auch Berlin wird sich diesem Szenario nicht in alle Ewigkeit verweigern können. Und Europa wird so wieder gleicher werden. Einen Primus inter Pares braucht es nicht in der EU. Das war nie der Fall und wird es auch nie sein.“

Das „Luxemburger Wort“ kritisiert, dass Regierungschef Xavier Bettel sich trotz der EU-Ratspräsidentschaft des Großherzogtums bisher nicht auf eine klare Haltung festgelegt habe:

„Eine substanzielle Meinung zum Thema bleibt noch immer aus, dabei wirkt die Ausrede immer grotesker. Ähnlich wie sein Finanzminister verhält sich Bettel bei europäischen Themen nicht wie ein Politiker, mit Meinung und Position, sondern eher wie ein außenstehender Beobachter. (…) So wenig die Staats- und Regierungschefs sich zuletzt in die Einzelheiten der Verhandlungen zwischen Gläubigern und Griechen einmischen wollten, so wenig werden sie sich aber nach dem Referendum der Verantwortung entziehen können, eine Richtung vorzugeben, oder zumindest ihre Position ein für alle mal zu verraten. Will Bettel alles versuchen, um Griechenland im Euro zu halten oder nicht? Will er einen Kurswechsel der EU-Politik oder das genaue Gegenteil? Und wie erklärt er das eine oder das andere seinen ‚Luxemburger Steuerzahlern‘? All das möchte man nun erfahren.“

Die Macht der Währungen

Die Welt“ kommentiert zum Referendum in Griechenland:

„Der Frieden in Europa kann ohne den Euro nur schwer gewahrt werden. Die vergangenen Jahrzehnte bieten genug Beispiele dafür, was die Existenz der gemeinsamen Währung an Konflikten verhindert hat. Das Ziel muss sein, Euro-Europa so stabil zu machen, dass es für die Stabilität der Währung gleichgültig ist, ob Syriza Kopfstand macht.“

Vor dem Hintergrund des griechischen Referendums heißt es im „Kölner Stadt-Anzeiger„:

„Politisch bleibt der Euro ein kippeliges Gebilde. Ökonomisch gilt dies ohnehin. Vorgaben aus Brüssel, das hat die Debatte mit Athen gezeigt, werden im Süden als Euro-Kolonialismus empfunden. Aber eine Transferunion, also gegenseitige Hilfen nach Art des deutschen Länderfinanzausgleichs, sind im Norden – und Osten – der EU nicht zu vermitteln. Schon Bayern und Hessen wollen nicht für das Saarland oder Berlin zahlen. Warum dann für Athen oder Porto? Die Wahrheit aber ist: Dem Währungsraum krankt nicht nur an Produktivitätsdifferenzen, fehlenden soliden Finanzen und Reformen sondern auch an einem Härten ausgleichenden Transfersystem. Aber niemand mag für Athen einstehen. Jeder zahlt für sich allein. Solidarität kennt Grenzen.“

Die logische Konsequenz…

Die „Neue Zürcher Zeitung“ kommentiert den Ausgang des griechischen Referendums:

„Ein Austritt Griechenlands aus der Währungsunion kann nicht erzwungen werden, ist aber die logische Konsequenz aus dem Volksnein. Die Syriza-Truppe soll ohne den ‚reichen Onkel‘ aus Brüssel ihre Wege suchen müssen, um Einnahmen und Ausgaben in Einklang zu bringen. Auch die Griechen dürften dabei früher oder später erkennen, dass nichts daran vorbeiführt, wirtschaftlich wettbewerbsfähiger zu werden. Mit einem Grexit wird dies eher zu bewerkstelligen sein. Regionalpolitische und humanitäre Hilfen für das EU-Mitgliedsland mögen dazu beitragen, dass es nicht im Chaos versinkt. Aber Athen muss jetzt seinen eigenen, schwierigen Weg gehen – je konsequenter, desto besser. Europa wird das nicht schaden.“

Die Presse“ aus Wien blickt auf die Reaktion der Geldgeber auf das griechische Referendum:

„Die Frage ist jetzt, wie die Eurozone und die EZB darauf reagieren. Eine Zeit lang werden diverse Hilfen auch ohne offizielles Rettungsschirmprogramm noch weitergehen, das ist klar. Man hat ja auch die Kapitalflucht aus Griechenland abseits der traditionellen Programme mit Hilfskrediten finanziert. Aber irgendwann muss Schluss sein: Entweder die Griechen setzen jetzt im eigenen Land strukturelle Schritte, die vermuten lassen, dass sie mittelfristig wieder auf eigenen Beinen stehen können. Oder die Eurozone muss zusehen, wie sie möglichst rasch und unter Schadensminimierung aus der Sache herauskommt. Die konsequenzenlose Daueralimentation eines von Korruption und Vetternwirtschaft geplagten dysfunktionalen Staatswesens ist jedenfalls keine Option.“

„War Europa noch nicht reif für den Euro?“

Wie viele französische Zeitungen kommentiert die Wirtschaftszeitung „Les Echos“ das Referendum in Griechenland und das „Nein“ der Wähler zu den Spar- und Reformforderungen der Gläubiger:

„Die Eurozone erlebt heute die tiefste Krise ihrer kurzen Geschichte. Daraus wird sie entweder gestärkt hervorgehen – was allerdings ein außergewöhnliches Leadership der politisch Verantwortlichen in der EU voraussetzt, was bisher völlig gefehlt hat. Oder aber sie wird durch die Krise zutiefst geschwächt. Später, wenn wir eines Tages die Geschichte analysieren, werden wir sagen, dass Europa noch nicht reif war für dieses ‚Experiment‘ der Gemeinschaftswährung.“

Der konservative Pariser „Figaro“ notiert zum Ausgang des Referendums in Griechenland:

„Die feierlichen Warnungen vor den Gefahren eines Referendums haben nichts bewirkt: Die Griechen haben beschlossen, (Regierungschef) Alexis Tsipras in seinem verrückten Abenteuer zu folgen. Der Perspektive einer Einigung in letzter Minute mit den Gläubigern ihres Landes haben sie die Konfrontation bis zum Ende vorgezogen – und damit den Auftakt für einen großen Sprung ins Unbekannte. Die Dinge sind jetzt klar. Das ist ihre demokratische Wahl, wir müssen sie respektieren. (…) Die Griechen werden nun in einen schrecklichen finanziellen Schraubstock gepresst werden.“

Die Pariser „Libération“ sieht die EU nach dem Referendum in Griechenland vor schweren Entscheidungen:

„Griechenland wird sich in eine einsame Odyssee stürzen, die eines Odysseus würdig ist … Wollen wir ein Volk zurückweisen, das seine Rebellion mit seinem Leid rechtfertigt? Wollen wir den langen Traum von einem vereinten Europa zerbrechen, der seit Ende des letzten Weltkriegs von mehreren Generationen getragen wurde? Den Traum von einem Europa, das auf humanistischen Werten basiert und alleine in der Lage ist, auf der globalisierten Bühne eine Rolle zu spielen? Es gibt einen anderen Ausweg, als diese Tragödie. Austeritätspolitik oder politische Zersetzung der EU – das ist nun die Wahl.“

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