Weichenstellung für die Zukunft

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Alle Augen sind auf die Wahlen zur Präsidentschaft der USA gerichtet. Alle Analysen gelten dem wiedergewählten Barack Obama, der seine Wähler auf Opfer eingestimmt hatte. In der Provinz entschieden die Wähler auch über gesellschaftspolitische Weichenstellungen.

Am Morgen nach der Wahl weiß Washington State, dem westlichsten Bundesstaat am Pazifik und an der kanadischen Grenze, immer noch nicht, wer der zukünftige Gouverneur werden wird. Die Wahlbehörde in King County, zu der auch die Stadt Seattle gehört, hatte gegen 22 Uhr aufgehört, Zwischenergebnisse zu verkünden. Bis dahin hatte es ein Wechselbad der Gefühle gegeben. Je nach Anzahl der ausgezählten Wahlbüros führte entweder der Kandidat der Demokraten, Inslee, oder der der Republikaner, McKenna. Bei dem letzten Zwischenstand lag Inslee hauchdünn vor McKenna. Enge Entscheidungen haben in Washington State aber Tradition. Als die Demokratin Christine Gregoire, die den Staat auch durch die Krise in einen wirtschaftlichen Boom führte, vor acht Jahren zur Gouverneurin gewählt wurde, lag ihr Vorsprung bei 104 Stimmen. Fast ihre gesamte erste Amtszeit beschäftigten sich Gerichte mit ihrem Wahlergebnis.

Das System in King County keine Wahlbüros mehr zuzulassen und alles auf die Briefwahl und Wahlmaschinen in der Zentrale abzustellen, kam an seine Grenzen. Das Auszählen von 800.000 Wahlbriefen ließ die Medien verzweifeln. Insgesamt 1,17 Millionen Wähler hatten sich in die Wählerlisten eingetragen. Die Wahlbehörde hatte zwar keine Wahlbüros mit eigener Auszählung mehr zugelassen, überall in Seattle und Umgebung Wahlurnen aufgestellt. In der Market Street in Seattle hielten Autofahrer kurz an, stiegen aus, warfen ihren Briefumschlag in die Urne und fuhren weiter. Am zentralen Wahlbüro in der Stadt Renton, wo die Boeing 737 hergestellt wird, reichte der Parkplatz nicht. Im Gebäude drängten sich über Stunden Hunderte von Menschen, die an den Wahlmaschinen wählen wollten. Die Frage „Haben Sie gewählt?“ war die Frage mit der wohl jedes Gespräch beendet wurde. Und der Taxifahrer, der so erfuhr, dass ich kein Amerikaner bin, bedauerte, dass ich deswegen nicht Obama wählen könne.

„Der Erfolg war komplett“

Im Westin Hotel, wo die Demokraten ihre Wahlparty feierten, fielen sich die Mensche in die Arme, küssten sich ab, Tränen flossen, als Obama die letzten nötigen Wahlmänner-Stimmen zu seiner Wiederwahl erhielt. Und der Erfolg war komplett, als auch die Damen Maria Cantwell ihre Wiederwahl in den Senat und Suzan Delbene ihre Erstwahl in den Kongress erfuhren. Beide Damen hatten kein Interesse daran gezeigt mit einem ausländischen Journalisten zu reden. Maria Cantwell wird weiter für die Wirtschaft und damit Boeing arbeiten, Suzan Delbene will sich für den Mittelstand einsetzen. Für sie wird es damit schwierig. Denn der Mittelstand wird mit den Obama-Ankündigungen in den USA in den kommenden vier Jahren leiden.

In Washington State haben die Wähler dem zukünftigen Gouverneur erlaubt, die Steuern zu erhöhen. Sie haben Verschuldungen in Milliardenhöhe durch Obligationen erlaubt, obwohl die Verschuldung bei 60 Milliarden liegt. Warum? Im wesentlichen, damit das Land vor der Erhöhung des Meeresspiegels geschützt wird. Der „Seawall“, eine gigantische Hochwasserschutz-Einrichtung soll gebaut werden. Und sie haben die Einrichtung von Sonderschulen erlaubt. Ein Projekt, das vor vier Jahren noch zurückgewiesen worden war.

Marihuana erlaubt

Zwei andere Wahlentscheidungen aber könnten den Staat in Konflikte mit der Bundespolitik führen. Washington State wird den Konsum von Marihuana zu privaten und medizinischen Zwecken erlauben. Die Bundesgesetze verbieten das. Nicht auszuschließen, dass Bundesagenten des FBI nun die Rolle der Marihuana-Polizei übernehmen werden. Die beiden Generalstaatsanwälte in Washington State hatten sich gegen die Freigabe gewendet und müssen nun zukünftig zwischen einem Landesgesetz und einem Bundesgesetz lavieren. Möglich ist aber auch, dass Washington DC die Washington State Entscheidung kassiert. Der Westküstenstaat hat Erfahrung damit.

Vor 123 Jahren hatte Washington DC bereits ein Wahlgesetz in Washington State kassiert, das Frauen und Afro-Amerikanern das Wahlrecht gegeben hatte. Dass Washington State am kommenden Sonntag Geburtstag als Staat feiert und seit 123 Jahren Mitglied der Vereinigten Staaten ist, weiß übrigens selbst im politischen Bereich kaum jemand. Die Freigabe von Marihuana wird dem Staat viel Geld in die Kassen spülen. Marihuana-Verkäufe werden mit 40 Prozent besteuert.

Homo-Ehen erlaubt

Das andere Gesetz, dem am Dienstag die Wähler in Washington State zustimmten, hat ebenfalls gesellschaftspolitische Bedeutung. Zukünftig wird es gleichgeschlechtliche Ehen in dem Staat geben. In Fernsehspots hatten sich – mit Ausnahme der Republikaner – alle gesellschaftlichen Gruppen dafür ausgesprochen. Selbst Priester tauchten in den Wahlspots als Befürworter auf. Die Opposition zwischen Demokraten und Republikanern teilt den Staat in zwei Hälften.

Westen und Osten des Landes werden durch eine Bergkette von bis zu 4.000 Metern Höhe geteilt, die so genannte Kaskaden Kette. Der dem Meer zugewandte Westen ist liberal und gehört den Demokraten. Der Osten, der das Landesinnere darstellt, ist konservativ und gehört den Republikanern. Sollte der Republikaner McKenna Gouverneur werden, muss er mit einem Volksentscheid zur gleichgeschlechtlichen Ehe leben, den er ablehnt.