Vier Jahre, Luxemburger, keine Rechte

Vier Jahre, Luxemburger, keine Rechte
(Tageblatt-Archiv/Symbolbild)

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Ein real existierender Fall in Luxemburg: Der Sohn einer illegalen Einwanderin, vier Jahre alt, hat keine Rechte. Der Staat verweigert Kindergeld und Sozialleistungen.

Frau Diaw ist 28 Jahre alt. Ursprünglich stammt sie aus dem Senegal, seit acht Jahren lebt sie in Luxemburg. 2012 wurde ihr Sohn geboren. Das Kind hat die luxemburgische Nationalität. Ein Anrecht auf Kindergeld und staatliche Sozialleistungen hat der mittlerweile vierjährige Junge jedoch nicht.

„Une situation complètement précaire et bloquée“

Wie mehrere Experten in Menschenrechtsfragen Tageblatt.lu gegenüber bestätigten, ist Frau Diaw in Luxemburg kein Einzelfall.

Der Ombudsmann für die Rechte des Kindes, René Schlechter, erklärte, dass eine solche Situation eigentlich unhaltbar sei. Ein Kind, das die luxemburgische Nationalität habe, dürfe nicht von den elementaren Bürgerrechten ausgeschlossen werden.

Bereits im Januar 2015 verfasste der Ombudsmann ein Schreiben an den Minister für Immigration und Asyl, Jean Asselborn, um dessen Aufmerksamkeit auf den Fall von Frau Diaw und ihren Sohn zu lenken. „(…) nous avons ici un petit garçon qui est mis dans une situation complétement précaire et bloquée. L’Etat luxembourgeois peut difficilement renvoyer un citoyen luxembourgeois de son territoire. Et comme ce citoyen est un enfant de deux ans, l’Etat luxembourgeois a clairement une responsabilité pour son bien-être et son développement et ne doit pas le laisser dans une situation où l’intérêt supérieur de l’enfant n’est pris en compte d’aucune façon“, heißt es in dem Brief an den Immigrationsminister.

Das Schreiben blieb bislang unbeantwortet.

Im Alter von 19 Jahren kam Frau Diaw mit dem Flugzeug aus dem Senegal nach Europa. Sie landete in Brüssel, wo sie einige Monate bei Bekannten blieb. Nach einer Odyssee durch die Schweiz und Italien, bei der Frau Diaw wie eine Ware herumgereicht wurde, bekam sie 2008 das Angebot, als Kindermädchen für eine senegalesisch-französische Familie in Luxemburg zu arbeiten.

Illegal, ohne Bezahlung

Bei dieser Familie musste sie sich um die beiden Kinder kümmern, sie morgens waschen, ihnen Frühstück machen, sie zur Schule bringen und abends wieder abholen, um ihnen dann Abendessen zu kochen und sie zu Bett zu bringen. Bezahlt wurde sie für diese Arbeit nicht. Als sie sich bei ihren „Arbeitgebern“ darüber beschwerte, drohten diese, sie bei der Polizei anzuschwärzen, da Frau Diaw keine Aufenthaltserlaubnis besaß und sich daher illegal in Luxemburg aufhielt.
Daraufhin kam sie bei einer anderen senegalesisch-französischen Familie als Haushaltshilfe unter. Diese Familie bot ihr Schutz an, entlohnte sie für ihre Arbeit und behandelte sie gut.

Weil sie aber nicht dauerhaft bei dieser Familie wohnen konnte, besorgte der Vater ihr eine kleine Mietwohnung in der Nähe der Hauptstadt. Für die Kaution und die erste Monatsmiete kam der Mann selber auf. Frau Diaw hatte zu dem Zeitpunkt kein Geld. Sie ernährte sich von selbst gemachten Nudeln und Leitungswasser.

5 Euro die Stunde, später mehr

Eines Tages begegnete sie einem einflussreichen Anwalt, dem ihr attraktives Erscheinungsbild gleich auffiel. Dieser Anwalt besorgte ihr eine Anstellung als Bedienung in einer Brasserie in Strassen. Dort sollte sie fünf Jahre bleiben. Als Schwarzarbeiterin, wohlverstanden. Anfangs verdiente sie 5 Euro die Stunde, doch mit der Zeit bekam sie mehr und konnte ein ordentliches Leben führen.

Während dieser Zeit lernte sie Menschen aus allen Bevölkerungsschichten kennen. Sie verliebte sich in einen Luxemburger, der einige Zeit später der Vater ihres Sohnes werden sollte. „An dem Tag, an dem der Arzt mir sagte, dass ich schwanger sei, ist mein Leben gekippt“, sagt Frau Diaw: „Ich war nicht verheiratet und nicht angemeldet. Ich wusste nicht, wie ich der Gesellschaft und meinen Eltern meine Situation erklären sollte.“ Sie versteckte sich, wollte nichts mehr unternehmen. Sie hatte noch etwas Geld zurückgelegt, mit dem sie ihre Arztrechnungen und Krankenhausuntersuchungen bezahlte, denn als Illegale war sie ja nicht krankenversichert. Eine „Assistante sociale“ und ein Anwalt rieten ihr, eine freiwillige Krankenversicherung abzuschließen, die zumindest einen Teil der Geburtskosten übernommen hat.

Der Vater des Kindes hat Frau Diaw verlassen, als er von der Schwangerschaft hörte. „Er wollte das Kind nicht“, sagt Frau Diaw: „Er hat mich fallen lassen.“

Seit der Geburt weitestgehend auf sich alleine gestellt

Der leibliche Vater hat aber seine finanzielle Verantwortung übernommen und in einem kleinen Dorf im Westen Luxemburgs eine Wohnung für Frau Diaw und ihr Kind gekauft. Auch für andere kleinere Anschaffungen gebe er ihr Geld. Doch seit der Geburt vor vier Jahren ist Frau Diaw mit ihrem kleinen Sohn weitestgehend auf sich alleine gestellt. Der Junge hat zwar die luxemburgische Nationalität, doch er hat kaum Bürgerrechte.

„Ich war überall. Beim ‚Service central d’assistance sociale‘, beim Außenministerium, beim Ombuds-Komitee für die Rechte des Kindes, alle haben mir gesagt, dass mein Kind keine Rechte hat. Ich kann das nicht verstehen. Ich kümmere mich um den Jungen, wasche ihn, ernähre ihn und sorge dafür, dass er saubere Kleidung trägt. Doch der Staat hält alle Türen für ihn geschlossen. Nur weil seine Mutter eine illegale Einwanderin ist“, empört sich Frau Diaw. Das Kind darf mittlerweile zwar die Schule besuchen, doch es verfügt nicht einmal über eine Kranken- und Sozialversicherung, weil Frau Diaw die Beiträge nicht bezahlen kann. Nur durch die Hilfe von Bekannten kann die alleinerziehende Mutter sich über Wasser halten und verhindern, dass sie und ihr Sohn verhungern.

Zwar hat der Staat ihr eine Aufenthaltsgenehmigung in Aussicht gestellt, unter der Bedingung, dass sie erst eine Arbeit findet. Doch so einfach ist das nicht. Frau Diaw will arbeiten, doch die Betriebe, die sie einstellen könnten, verlangen eine „Carte de séjour“, die Frau Diaw aber nicht vorweisen kann.

„Sie geben ihm keine Chance, etwas im Leben zu erreichen“

Unangemeldet will sie nicht mehr arbeiten, weil es illegal ist und ihre Situation sich dadurch nicht verbessern würde.
Darüber hinaus hat Frau Diaw auch nicht die Zeit, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen, weil sie in Luxemburg nur wenige Freunde und keine Familie hat. Sie muss sich fast rund um die Uhr um ihren Sohn kümmern, der kein Anrecht auf „chèques-services“ und andere Leistungen wie Kindergeld hat und damit auch nicht in einer „Maison relais“ oder einer „Crèche“ zugelassen ist.

„Ich kümmere mich ganz alleine um meinen Sohn. Weder der Staat noch sonst jemand hilft mir dabei. Es gibt viele Mütter hier im Land, die Unterstützung bekommen. Doch mein Sohn, der Europäer ist und die luxemburgische Nationalität besitzt, erhält keine Hilfe. Ich möchte meine Beiträge bezahlen, damit mein Sohn später einmal studieren kann. Wenn aus ihm dann etwas wird, werden die Luxemburger sagen, sie seien stolz auf ihren Landsmann. Doch wenn er versagt, werden sie sagen, es sei normal, weil er Afrikaner ist. Bislang hat niemand etwas unternommen, damit mein Sohn später nicht versagt. Sie geben ihm keine Chance, etwas im Leben zu erreichen“, bedauert die alleinerziehende Mutter.

Frau Diaw hat keinen Schulabschluss, doch sie ist noch jung und durchaus arbeitswillig. In ihrer Heimat Senegal hat sie eine Friseurlehre abgebrochen und zeitweise als Model gearbeitet. Sie hat Berufserfahrung als Haushaltshilfe und als Serviererin. Politisches Asyl hat sie noch nicht beantragt. Weil sie aus dem Senegal stammt, stünden ihre Chancen wohl auch nicht besonders gut.