„Unsere Stimme zählt“

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In zwei Tagen stehen in den Niederlanden die Parlamentswahlen an. Wir haben den Menschen in der Hauptstadt Amsterdam auf den Zahn gefühlt.

In Amsterdam pulsiert das Leben. Tag und Nacht. Besonders aber am Wochenende hat man den Eindruck, dass die Stadt niemals schläft. Manche Lokale haben rund um die Uhr geöffnet. Dafür hat Amsterdam eigens einen Nachtbürgermeister. Dieser hat die Aufgabe, über das Partyvolk zu wachen. Er vermittelt zwischen den Interessen von Clubbetreibern, Nachteulen einerseits und Politik, Verwaltung andererseits. Bei Konflikten zwischen den Anwohnern und den Feiernden, stellt er den Dialog her und sucht nach Lösungen.

Schnell merkt man, dass die Amsterdamer sehr stolz auf ihre Stadt sind. Sie genießen es sichtlich, hier zu leben. Besonders am Grachtengürtel, der sich wie ein Spinnennetz durch die gesamte Innenstadt erstreckt, sitzen Einwohner und Touristen tagsüber auf Bänken, vor den Cafés, und genießen die erste Frühlingssonne.

Nur wenige Wahlplakate

Das Land steht kurz vor den Wahlen. Aber davon kriegt man in der niederländischen Hauptstadt nicht viel mit. Wahlplakate? Nur einige wenige, und dazu etwas versteckt an größeren Plätzen, wie zum Beispiel am Rembrandtplein. Aber es sind keine Pappplakate, die die schönen Altbauten verdecken oder die Handläufe an den Grachten verunstalten würden. Nein, es sind digitale Werbeflächen, meist an Tramhaltestellen, die nach einigen Sekunden wieder wechseln und verschwinden.

Reden tun die Amsterdamer eigentlich auch nicht über die Wahlen. Außer man spricht sie direkt darauf an. Spätestens im zweiten Satz fällt dann das Wort „Wilders“. Jeder zweite, den ich frage, ist ein sogenannter „Immigrant“. In Amsterdam leben rund 180 verschiedene Nationen, der Ausländeranteil liegt bei rund 50 Prozent.

Sergej, den ich abends in einer Kneipe treffe, ist Ende 30 und Wahlniederländer. Er lebte vierzehn Jahre in Moskau stammt aus einem kleinen Dorf unweit von Novosibirsk in Sibirien. Sergej schüttelt den Kopf. „Wir sehen ja, was Trump in den USA anstellt. Und Putin in Russland. Ich hatte in Moskau einen guten Job und bin vor knapp zwei Jahren ausgewandert. Ich habe es nicht mehr ausgehalten“, sagt er. „Und nun bin ich hier.“ Auf die Frage, was er tun würde, wenn Wilders tatsächlich an die Macht käme, meint er: „Ich glaube nicht, dass Wilders alles so schnell umsetzen kann, wie es Trump tut. Das wird mindestens fünf bis zehn Jahre dauern. Und bis dahin kann viel passieren.“

„Schlecht integriert“

Etwas später treffe ich Rachid. Der 45-Jährige stammt aus Marokko. Was er denn darüber denkt, dass Wilders seine Landsleute als „Abschaum“ bezeichnet, weil sie die Straßen unsicher machen würden, frage ich ihn. Diese Aussage hatte der Rechtspopulist Geert Wilders Mitte Februar bei einem Rundgang durch seine Parteihochburg Spijkenisse gemacht. Rachid lacht und trinkt einen Schluck von seinem Bier. In diesen Tagen denke er gerne an seine Kindheit in den 70er Jahren zurück. Seine Eltern kamen Ende der 60er Jahre nach Amsterdam. „Ich war damals das einzige marokkanische Kind in meiner Klasse. Es war eine schöne Zeit. Aber dann hat sich einiges gewandelt. Es kamen immer mehr Marokkaner nach Amsterdam und ich war nicht mehr der kleine nette Junge von nebenan.“ Heute könne er aber verstehen, dass die Niederländer nicht noch mehr Einwanderung haben wollen. „Viele Marokkaner sind schlecht integriert, und das macht ein Zusammenleben schwierig. Dass Wilders einen Sündenbock brauche, und Wahlkampf auf Kosten der Marokkaner betreibe, das mache ihm Angst.

In den Niederlanden leben knapp 400.000 Einwohner marokkanischer Herkunft. Der Rechtspopulist Geert Wilders hat dem Islam den Kampf angesagt. Er will die Religion verbieten und Moscheen schließen. Im Dezember 2016 war er wegen Diskriminierung und Beleidigung von Marokkanern schuldig gesprochen worden. Doch eine Strafe verhängte das Gericht nicht. „Wollt ihr mehr oder weniger Marokkaner?“ hatte der Abgeordnete seinen Anhängern im März 2014 in Den Haag zugerufen. „Weniger, weniger“ schrien diese zurück. 16 Mal. „Dann werden wir das regeln“, antwortete Wilders, und ein feines Lächeln umspielte seinen Mund.

„Für Toleranz und gegen Hass“

Einen Echten Wilders-Anhänger in Amsterdam zu finden, ist eine wahrhafte Herausforderung. Zumindest einen zu finden, der es offen zugibt. Der Trend geht jedenfalls in eine andere Richtung. Am Samstag haben zahlreiche Organisationen zu einem Women’s March in Amsterdam aufgerufen. Das Motto: „Für Toleranz und gegen Hass“. Etwa 15.000 bis 20.000 Menschen ziehen mit orangenen Regenschirmen und bunten Plakaten vom Dam bis zum Museumplein. Bevor es los geht heizt die Feministen Marjan Sax der Menge ein: „Wir sind für die gleichen Rechte, nicht nur für Frauen, sondern für alle gefährdeten Gruppen in der Gesellschaft.“ Die Organisatoren hoffen in erster Linie, dass die Menschen am Mittwoch an die Wahlurne gehen.

Schreiend und tobend ziehen die Demonstranten los. „Unsere Stimme zählt. Wir sind für eine Niederlande; für eine vereinigte Niederlande,“ so die Rufe. Auch Trump-Bashing ist angesagt. Es sind keineswegs nur Frauen dabei, auch viele Männer haben sich dem Demonstrationszug angeschlossen. Ich schließe mich ebenfalls dem Tross an. „Wieso nimmst du am Women’s March teil“, frage ich eine junge Demonstrantin. „Ich gehöre zu keiner Organisation, sondern habe mich meinen Freundinnen angeschlossen, die mitmarschieren wollten, so die Niederländerin. „Es ist meine erste Demo und ich finde es toll. Es motiviert mich, ein Zeichen setzen zu können.“ Hinter mir erblicke ich ein älteres Ehepaar, das Hand in Hand mitläuft. „Wir sind schockiert über die aktuellen politischen Entwicklungen, hier in den Niederlanden und in der Welt. Wir können das nicht stumm über uns ergehen lassen, deshalb marschieren wir mit.“ Geert Wilders bezeichnen sie als eine abscheuliche Person, die ihnen Angst mache.

Politik ist gefordert

An einer großen Verkehrsachse, kurz vor dem Museumplein, stockt der Zug. Die Polizei bremst die Demonstranten ab – um ein komplettes Erliegen des Verkehrs zu vermeiden – und lässt Autos und Tram erst mal vorbeiziehen. Dort sehe ich vier dunkel gekleidete Männer mit Schal vor dem Gesicht im Laufschritt an den Demonstranten vorbeieilen. Vielleicht sind es Rechtsradikale. Ich versuche, den Männern zu folgen. Aber ich verliere ihre Spur. Ein etwa 30-jähriger Mann sitzt dort auf seinem Fahrrad und beobachtet die Demonstranten. „Das bringt doch alles nichts“, sagt er. „Ich habe nichts dagegen, dass die an einem sonnigen Samstagnachmittag demonstrieren, aber was erreichen sie dadurch?“ Man müsse die Probleme anders lösen. „Da ist die Politik gefragt, die langfristig die Dinge auf die Beine stellen kann. Und als einzige politische Partei sehe ich hier die Piraten, die mitmarschieren.“

Keine Wilders-Fans

Wilders Fans scheinen die Öffentlichkeit zu meiden. Dafür sind sie auf den sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter sehr aktiv. Geert Wilders hat zahlreiche Fan-Seiten auf Facebook. Eine davon heißt PVV.Promotie.Pagina und hat knapp 22.000 Likes. Dort ist es zu einem Streit gekommen, nachdem die linke Internet-Initiative OperatieLibero.nl seine Anhänger dazu aufgefordert hat, sich auf Wilders-Fans-Seiten und -Gruppen anzumelden um dort konstruktive Gespräche mit PVV-Anhängern und solchen, die der Rhetorik Wilders Glauben schenken, zu führen. Ziel ist es, PVV-Wähler dadurch umzustimmen. Libero bezeichnet sich selbst als internationale Bewegung, die sich zum Ziel gesetzt hat, gegen den Populismus vorzugehen. Doch die Administratoren von PVV.Promotie.Pagina haben das schnell spitz gekriegt und warnen auf ihrer Startseite davor, auf solche Gespräche einzugehen. In der Begründung heisst es, dass „solche Anti-Demokraten nicht argumentieren können.“

Die Niederlande befinden sich im Endspurt vor den Wahlen. Auch wenn man in der Hauptstadt Amsterdam davon nur wenig spürt.