TTIP könnte „Totgeburt“ werden

TTIP könnte „Totgeburt“ werden
(Tageblatt/Alain Rischard)

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Am Wochenende erklärte der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Verhandlungen zum TTIP-Freihandelsabkommen mit den USA für "de facto gescheitert". Wir fragten den Luxemburger Wirtschaftsminister Etienne Schneider um seine Meinung zu diesem und anderen internationalen Themen, die Luxemburg berühren.

Nach einem negativen Expertenbericht aus seinem Ministerium Mitte August (Link) legte der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel am Wochenende in puncto TTIP nach und sagte in einem Interview: „Nach meiner Einschätzung sind die Verhandlungen mit den USA de facto gescheitert, auch wenn es keiner so richtig zugibt.“

Darauf angesprochen meinte Etienne Schneider vorsichtig ausgedrückt, TTIP könnte durchaus zu einer „Totgeburt“ werden. Auf jeden Fall würde es so aussehen, dass das Freihandelsabkommen nicht mehr, wie von den USA gewünscht, unter der Präsidentschaft Barack Obamas abgeschlossen werde. Darauf deute immer mehr hin, und dazu müsse man auch die politische Situation beachten: „In Deutschland und Frankreich beispielsweise stehen wichtige Wahlen bevor. Ich denke nicht, dass man da noch eine ‚Front‘ aufmacht und riskiert, noch weniger populär zu werden.“

„Welcher Wirtschaftsblock trifft die Entscheidungen?“

Seine Position sei aber stets gewesen, „zuerst zu diskutieren und zu verhandeln und dann abzuwägen, was dabei herauskommen kann. Nicht blind Ja sagen natürlich, es muss schon eine ‚plus-value‘ entstehen, eine ‚Win-win‘-Situation, und Standards dürfen nicht abgeschwächt werden. Wie ich schon mal sagte: ich sterbe nicht für TTIP“. Nach Meinung des LSAP-Politikers hat die EU-Kommission einen großen Fehler gemacht: im stillen Kämmerlein verhandeln. „Das kam nicht gut an, und das wurde zu spät erkannt. Jetzt ist der Wurm drin, und ich glaube, der ist schwer wieder rauszubekommen“, so Schneider. Was das Freihandelsabkommen CETA mit Kanada angeht, so sei das schwer zu vergleichen: „Kanada ist nur ein Bruchteil der USA. CETA ist ein guter Text, und jetzt müssen wir schauen, was das bringen kann. Es gibt hunderte solcher Abkommen, nur gab es noch nie so viele Diskussionen wie jetzt. TTIP ist halt extrem stark politisiert.“

Etienne Schneider warnt allerdings auch vor Entwicklungen, die nun passieren könnten: „Gibt es z.B. ein Freihandelsabkommen USA-Asien und dieses setzt internationale Standards, dann riskieren wir, uns irgendwann an diese anpassen zu müssen. Und dann haben wir in einer globalisierten Welt keine Chance mehr. Wenn wir die Gelegenheit haben sollten, mit den USA Normen zu setzen, sollte man die vielleicht nicht aus der Hand geben.“

Denn letztendlich gehe es um Folgendes: „Welcher Wirtschaftsblock trifft die Entscheidungen? Und da ist es besser, du gehörst dazu. In einer globalisierten Welt kommt dies auf uns zu, ob wir wollen oder nicht.“

„Brexit: Unternehmen werden abwandern“ …

Auch der „Brexit“ wird so oder so Auswirkungen auf Luxemburg haben. Etienne Schneider gibt zunächst seine Meinung zum Thema preis: „Der ‚Brexit‘ riskiert vor allem wegen dem Nachahmungsrisiko durch andere EU-Länder zu einem Desaster für die EU zu werden. Besser, Großbritannien wäre drin geblieben. Ich hoffe, dass Theresa May vielleicht doch noch einen Weg für den Verbleib findet. Das ist meine Meinung.“

Was die Praxis angeht, so war Schneider bekanntlich mit Finanzminister Pierre Gramegna drei Tage auf Stippvisite in London. Aus Gesprächen mit der Handelskammer und Unternehmensbossen habe sich für ihn „ganz klar herausgeschält, dass durchaus die Chance besteht, dass Unternehmen nach Luxemburg kommen: damit sie einen Fuß in der EU behalten. Beispiel Medien: Es gibt 50 TV-Sender in London, die brauchen einen ‚EU-Pass‘. Oder die Firmenzentralen von Fluggesellschaften. Nach dem ‚Brexit‘ kein europäischer ‚single sky‘ mehr. Bleiben sie in Großbritannien, müssen sie Abkommen mit 27 Ländern aushandeln. Sind die Gesellschaften in der EU, müssen sie nur eines aushandeln: mit Großbritannien.“

… „und Luxemburg ist gut positioniert“

Fast gezwungenermaßen würden viele Unternehmen von der britischen Insel abwandern. Und da sei Luxemburg gut positioniert. Die Wirtschaft in Großbritannien wisse ganz einfach nicht, was auf sie zukomme, was am Ende beim „Brexit“ herauskomme: „Und kein Investor wird jetzt zweieinhalb Jahre abwarten, um Klarheit zu bekommen. Der kruziale Punkt wird in den kommenden Monaten sein.“

Diese Ungewissheit sei nicht gut für Großbritannien, so Etienne Schneider abschließend. Luxemburg würde sich nun nicht wie ein „Aasgeier“ verhalten, sondern einfach seine Karte spielen: „Zeigen, wer wir sind, was wir anbieten können und was für ein Know-how wir haben.“