Stacheldrahtzaun gegen das Elend

Stacheldrahtzaun gegen das Elend
(AFP/Stoyan Nenov )

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Bulgarien will Flüchtlinge aus Syrien abwehren und errichtet an der Grenze zur Türkei einen meterhohen Stacheldrahtzaun. Die Maßnahme ist umstritten.

Er ist nur drei Meter hoch und gerade mal dreißig Kilometer lang: Doch der neue Stacheldrahtzaun entlang der bulgarisch-türkischen Grenze erzählt viel über den Zustand der Europäischen Union und ihrer unruhigen Nachbarregionen. In diesen Tagen wurde der Grenzzaun am südöstlichen Außenposten der EU fertiggestellt. Er soll einen besonders unübersichtlichen Teil der mehr als 270 Kilometer langen Grenze zur Türkei abriegeln. Die Regierung in Sofia will so Flüchtlinge abwehren, von denen die meisten aus dem Bürgerkriegsland Syrien stammen. Den Entschluss, den Zaun zu errichten, fasste die Regierung im Herbst 2013.

Der Andrang von Migranten war im vergangenen Jahr auf mehr als 11.000 Menschen hochgeschnellt – der zehnfache Wert der Jahre vor dem syrischen Bürgerkrieg. Die Behörden waren überfordert. Bilder von elenden Notunterkünften für die Neuankömmlinge gingen um die Welt: in aller Eile umfunktionierte Schulgebäude mit unzureichenden Sanitäranlagen und ungeheizte Zelte mitten im Winter.

Flüchtlingsstrom nach Bulgarien

Das ärmste Land der EU brachte die vielen Flüchtlinge zu kaum zumutbaren Bedingungen unter. Sofia reagierte auf das Elend: Die Grenzkontrollen wurden verschärft. Während Ende des vergangenen Jahres durchschnittlich 2000 Menschen pro Monat illegal von der Türkei nach Bulgarien einreisten, liegt diese Zahl jetzt nur noch bei 300 bis 400, wie der Leiter der bulgarischen Flüchtlingsbehörde, Nikolai Tschirpanliew, der Nachrichtenagentur AFP sagt. „Wir sind an der Außengrenze der EU und müssen sie gegen illegale Immigranten schützen.“

Doch die Methoden sind umstritten. Mehrere Nichtregierungsorganisationen, aber auch das UN-Flüchtlingswerk UNHCR, haben das Vorgehen des Grenzschutzes wiederholt kritisiert. „Es bereitet uns Sorge, dass Schutzsuchende keinen Zugang zum bulgarischen Territorium erhalten“, sagt ein Sprecher des UNHCR in Bulgarien. Es gebe Beweise, dass Flüchtlinge aus Ländern wie Syrien, Afghanistan und dem Sudan am Grenzübertritt gehindert worden seien.

Durchgang zu Nordeuropa

Erst vor kurzem sagte Bulgariens Innenminister Zwetlin Jowtschew, der Grenzpolizei gelinge es, „täglich die Einreise von 150 bis 200 Personen zu verhindern“. Doch wer nicht einreisen kann, kann auch keinen Antrag auf Asyl stellen. Wer an der Grenze abgewiesen wird, hat keine Chance auf einen Flüchtlingsstatus, der ihm nach EU-Recht womöglich zusteht. Es sind die Länder an der EU-Außengrenze, die dann die Last der verbliebenen Flüchtlinge tragen. Dabei will kaum ein Flüchtling in Bulgarien oder Griechenland bleiben.

Die meisten wollten nach Deutschland, Belgien und in die skandinavischen Länder, sagt Marjana Sojanowa vom bulgarischen Roten Kreuz. Doch das EU-Recht schreibt vor, dass Asyl-Anträge in dem Land zu stellen sind, wo der jeweilige Flüchtling zuerst EU-Boden betreten hat. So obliegt es vor allem den Staaten im Süden und Osten der EU, die Flüchtlinge entweder an der Einreise zu hindern oder sie zu beherbergen und ihr Recht auf einen Aufenthaltsstatus zu prüfen.

Bulgarien hat die Lebensbedingungen in den Aufnahmelagern seit dem vergangenen Jahr deutlich verbessert und die Bearbeitung der Aufenthaltsanträge beschleunigt. Das bestätigt auch der Sprecher des UNHCR. Dennoch fragen Menschenrechtler, warum die Baukosten für den Stacheldrahtzaun in Höhe von rund neun Millionen Lewa (etwa 4,6 Millionen Euro) nicht stattdessen für die Integration der in Bulgarien bleibenden Flüchtlinge ausgegeben wurde.