Spitzelstaat-Atmosphäre bei Verhandlungen

Spitzelstaat-Atmosphäre bei Verhandlungen
(AFP)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Die Verhandlungen der verfeindeten Syrer in Genf sind geprägt von tiefem gegenseitigem Hass. Wenn man das bedenkt, dann kommen die Gespräche bisher eigentlich ganz gut voran.

Für Pressefotografen sind diese syrischen Friedensgespräche eine frustrierende Erfahrung. Denn die Delegationen von Regierung und Opposition treffen im Genfer UN-Gebäude zwar jeden Tag aufeinander. Sie achten jedoch peinlichst darauf, nicht gemeinsam gesehen zu werden. Jeder benutzt einen anderen Eingang. Die Tür vor dem Verhandlungssaal bleibt zu. Ein „Familienfoto“ soll es unter keinen Umständen geben, damit die jeweilige Anhängerschaft nicht „Verrat“ schreit.

„Wir haben nicht viel erreicht“, lautet die erste Bilanz, die der UN-Vermittler Lakhdar Brahimi bei den Genfer Friedensgesprächen zieht. Und auch der Sprecher der Oppositionsdelegation, Luai Safi, betont: „Die Gespräche über humanitäre Fragen sind nur Vorbereitungen. Die eigentlichen Verhandlungen beginnen erst, wenn wir über die Bildung einer Übergangsregierung sprechen.“ Trotzdem haben die Fortschritte der ersten Verhandlungstage schon ausgereicht, um einige Anhänger von Präsident Baschar al-Assad in Panik zu versetzen.

Viele Ohren

„Es sieht tatsächlich so aus, als würde die internationale Gemeinschaft darauf bestehen, die Genf-1-Vereinbarung umzusetzen“, sagt ein Mitarbeiter der syrischen Regierungsmedien im Frühstücksraum eines Genfer Hotel zu seinem Kollegen. Er klingt besorgt. „Die (Oppositionellen) können doch nur davon träumen, dass sie die Macht übernehmen werden“, versucht ihn sein Gegenüber zu beruhigen.

Dass die beiden Männer an diesem öffentlichen Ort so offen miteinander sprechen, ist ungewöhnlich. Denn nicht nur im Verhandlungssaal selbst, sondern auch auf den Fluren des Genfer UN-Gebäudes und in den umliegenden Hotels, wo Journalisten und Diplomaten aus „interessierten Staaten“ abgestiegen sind, herrscht seit Beginn der Verhandlungen eine Atmosphäre des Misstrauens, fast wie in Syrien. Jeder belauscht jeden. Kaum bildet sich irgendwo eine Menschentraube, tauchen plötzlich wie aus dem Nichts syrische Männer in schwarzen Mänteln und Lederjacken auf.

„Wir sind mit Assad“

Als Informationsminister Omran al-Soabi nach der dritten direkten Gesprächsrunde den Saal verlässt, schleudert ihm ein Journalist des Oppositionssenders Radio al-Kull eine Frage entgegen: „Werden Sie sich an einer Übergangsregierung beteiligen oder werden Sie weiter das Land zerstören und Assad blind folgen?“ Der Minister bleibt keine Antwort schuldig: „Wir werden das Land weiter aufbauen, wir sind mit Assad“, ätzt er zurück.

Dass Brahimi so negativ klingt, kann Taktik sein. Vielleicht will er einfach den Druck auf die Verhandlungsparteien aufrechterhalten, damit es voran geht. „Ich finde, es läuft doch bisher ganz gut“, sagt einer der vielen Diplomaten, die nach Genf gekommen sind, um die Gespräche zu begleiten. „Ich hatte befürchtet, dass zu Beginn erst einmal lang und breit darüber diskutiert werden würde, wer in der jeweils anderen Delegation angeblich nicht akzeptabel sei“, fügt er hinzu.

„Nicht viel Hoffnung“

Eine Schlüsselrolle kommt in Genf den Diplomaten aus Russland und den USA zu. Die Amerikaner sind mit einem größeren Team angereist. Sie haben die Aufgabe übernommen, die Opposition bei der Stange zu halten. Die Russen sorgen dafür, dass die Regierungsdelegation nicht abreist.

„Die Menschen zu Hause in Aleppo haben nicht viel Hoffnung, dass hier eine Friedenslösung gefunden wird“, sagt ein Aktivist, der erst vor wenigen Tagen aus Nord-Syrien nach Genf gekommen ist. „Aber die schweigende Mehrheit ist auf jeden Fall für diese Gespräche, denn sie wollen vor allem, dass der Krieg endlich aufhört.“ Wenn die Verhandlungen enden, will er in seine verwüstete Heimat zurückreisen – auch wenn es keine Einigung gibt.