Sozialisten in der Selbstfindung

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Zweieinhalb Jahre nach dem Gewinn der Präsidentenwahl und nach dem Gewinn der Mehrheit in der Nationalversammlung befinden sich Frankreichs Sozialisten in einer Existenzkrise.

„Ich mag Unternehmen. Unternehmen schaffen Arbeitsplätze. Es ist üblich, die Linke und Unternehmen in einen Gegensatz zu bringen,“ sagte der französische Ministerpräsident Manuel Valls in seiner Ansprache bei der Sommerakademie des französischen Arbeitgeberverbandes Medef. „Ich glaube hingegen, dass unser Land es nötig hat, von diesen Denk-Schemata weg zu kommen. Wir haben damit zu viel Zeit verloren. Unser Land geht durch diese Gegensätze vor die Hunde“, fügte er an und ließ sich bei stehender Ovation von Frankreichs Unternehmern zu weiteren Aussagen hinreißen: „Frankreich braucht Sie. Es ist absurd davon zu reden, dass wir den Unternehmen Geschenke machen“.

Was in der europäischen Sozialdemokratie zum Allgemeinwissen gehört, sorgte in Frankreich für einen Schluckauf auf dem linken Flügel der Sozialisten, bei den Grünen und auch bei den Kommunisten. Manuel Valls hatte im Pariser Süden vor Frankreichs Unternehmern einen Bruch in der Fraktion der Sozilisten und Linken in der Nationalversammlung geradezu herausgefordert. Er hatte darauf hingewiesen, dass nicht der traditionelle sozialistische Gedanke vom allmächtigen Staat der heutzutage wohl angemessene ist, sondern der Gedanke davon, dass es im Gemeinwesen die Wirtschaft ist, die wesentliche Probleme wie die Arbeitslosigkeit lösen kann, wenn man ihr den Freiraum gibt.

Der Sozial-Liberalismus der Sozialisten

Vom „Sozial- Liberalismus“ der Sozialisten ist seitdem die Rede. Davon, dass gut 100 Abgeordnete einen Brief zur Unterstützung der neuen Regierung „Valls II“ nicht unterschrieben. Diese Regierung nämlich war gerade im Wirtschaftsbereich ein Schock für die Linken. Hatte Staatspräsident doch seinen ehemaligen Wirtschaftsberater Emmanuel Macron zum neuen Wirtschaftsminister berufen. Macron gilt als der Wirtschaftsliberale, der aus dem Feindesland in die Politik einstieg, war er doch Gesellschafter des Bankhauses Rothschild, bevor in den Elysée-Palast wechselte. Allerdings hatte auch er nicht das volle Vertrauen des Staatspräsidenten. Als Jean Marc Ayrault sein Amt als Ministerpräsident aufgab, wäre Macron gerne Finanzminister in der ersten Regierung Valls geworden. Hollande lehnte ab. Macron verließ den Präsidentenpalast. Nun soll er als Wirtschaftsminister von Valls durchgesetzt worden sein.

Dem linken Flügel in der sozialistischen Partei mit der althergebrachten Gegnerschaft zur Wirtschaft fehlte bisher die Gallionsfigur. Seit dem Ausscheiden aus der Regierung könnte er sie außerparlamentarisch mit Arnaud Montebourg gefunden haben. Im Parlament werden die lothringische Ex-Kulturministerin Aurélie Fillippetti und der Ex-Erziehungsminister Benoît Hamon die Führungsfiguren werden.

Der neue „Feind“ der Linken ist nicht dabei

Das wird sich an diesem Wochenende in La Rochelle zeigen. In der Hafenstadt, die einst von Kardinal Richelieu für die französische Krone erobert wurde, feiern die Sozialisten traditionell ihre Sommerakademie. Diese Veranstaltungen sind für die Mitglieder gedacht. Die sollen die Stimmung des Parteivolkes an die Führungsriege bringen. In diesem Jahr wird wohl alles anders werden. Der neue „Feind“ der Linken, Emmanuel Macron, erscheint nicht. Auch die Bürgermeisterin von Lille, Martine Aubry, erscheint sicherheitshalber nicht. Die Erfinderin der 35 Stundenwoche gilt nicht gerade als Freundin von Staatspräsident Hollande und dessen neuer Wirtschaftspolitik. Jean-Marc Ayrault, der nach der Aufgabe des Amtes des Ministerpräsidenten wieder als Schwergewicht der Partei gilt, wird ebenfalls nicht in La Rochelle vertreten sein.

Dafür aber sind Aurélie Fillippetti da und der Ex-Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg. Beide sind Vertreter jener „anderen“ Politik, für die die Dreiprozent-Grenze beim Budget Defizit Humbug ist, die den Geldhahn aufdrehen wollen, die Kaufkraft erhöhen wollen, die Wirtschaft mit Konjunkturprogrammen ankurbeln wollen und den Franzosen erzählen, dass die böse deutsche Kanzlerin dies alles verhindert und dass man sich und Europa von den deutschen Vorstellungen befreien müsse.

Der Erste Sekretär der sozialistischen, Partei Jean-Christophe Cambadélis, hat für die Partei den Ton bereits vorgegeben. Die sozialistische Partei Frankreichs vertrete keinen sozial-liberalen Kurs, verkündete er. Valls, der am Sonntag auf der Sommerakademie redet, wird es nicht leicht haben, besetzen die Gegner doch das Terrain. Ihr Versammlungsraum ist verlegt worden. Er war bei dem Andrang der Mitglieder zu klein geworden.

„Dissolution“

Die Auseinandersetzung in der sozialistischen Partei um den Kurs kommt zur Unzeit. Die Sozialisten haben bei den Kommunalwahlen 155 Städte verloren, sie haben bei den Europawahlen Mandate verloren, sie drohen bei den anstehenden Senatswahlen die Mehrheit im Senat zu verlieren. In La Rochelle bestimmt aber jene Gruppe das Bild, die – bis zu 100 Abgeordnete stark – dem Staatspräsidenten und seiner Regierung nicht mehr folgen wollen. Seit ihre Opposition offen sichtbar ist, wird in Frankreich das Wort „Dissolution“ diskutiert. Der Regierung Valls II fehlt ohne die interne Oppositionsgruppe die Mehrheit im Parlament. Würde Valls eine Vertrauensabstimmung verlieren, müsste Staatspräsident Hollande das Parlament auflösen. Dann würde die Krise in der sozialistischen Partei Frankreichs zu einer Staatskrise werden. Denn die Opposition hat derzeit keine Lust in einer Koalition mit Hollande zu regieren.

Es geht um viel bei der Sommerakademie der Sozialisten in La Rochelle. Es geht darum, eine Einheit für die Fraktion im Parlament wiederzufinden und die Macht für die Sozialisten zu bewahren. Eine Herkules-Aufgabe für den Kämpfer Manuel Valls am Sonntag in der Hafenstadt La Rochelle.

(Helmut Wyrwich/Tageblatt.lu)