Schlechter Start für Hongkongs neue Chefin

Schlechter Start für Hongkongs neue Chefin
(dpa/Vincent yu)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Viel Erfahrung hat Carrie Lam sicherlich. Aber ihr fehlt das Vertrauen der Hongkonger. Dabei warten schwierige Aufgaben auf die neue Regierungschefin. Was ist von ihr zu erwarten?

Der Schuss ging nach hinten los. Mit ihrer unverhohlenen Intervention für Carrie Lam hat die kommunistische Führung der neuen Hongkonger Regierungschefin „keinen Gefallen getan“, wie Anson Chan, ihre Vorgängerin als Verwaltungschefin, sagt. Indem Peking seine Wunschkandidatin an die Spitze gehoben habe, bringe es nicht nur die sieben Millionen Hongkonger gegen sich auf, sondern untergrabe auch ihre Position als künftige Regierungschefin.

So flogen ihrem Gegenkandidaten John Tsang die Herzen der Hongkonger nur so zu. Kein Zweifel: Hätte das Volk wählen dürfen, wäre der 65-Jährige jetzt Regierungschef. Dabei gehört er als früherer Finanzminister genauso wie die 59-jährige Lam zur Wirtschafts- und Machtelite. Aber dass Peking ihn nicht wollte, machte ihn plötzlich besonders attraktiv, so dass ihn sogar die prodemokratische Opposition unterstützte.

Ein Land, zwei Systeme

Damit hat die neue Regierungschefin „von Pekings Gnaden“ einen schlechteren Start als ihr Vorgänger Leung Chun-ying, der am Ende so unbeliebt war, dass er nicht mehr antreten wollte. „Ich glaube, dass es unter ihr noch schlimmer wird“, befürchtet Chan, die sowohl dem letzten Gouverneur als auch dem ersten Regierungschef nach der Rückgabe der früheren britischen Kronkolonie 1997 als Nummer zwei gedient hatte.

„Carrie Lam erscheint zunehmend autokratisch und unwillig, gegensätzlichen Rat zu hören“, sagt die 77-Jährige, die sich über 20 Jahre von einer Befürworterin des pragmatischen Grundsatzes „ein Land, zwei Systeme“ für den Wechsel unter die Souveränität Chinas zu einer scharfen Kritikerin seiner Führer gewandelt hat. „Sie tanzt nach der Pfeife Pekings.“

Im Peking-freundlichen Lager sind erwartungsgemäß eher lobende Worte über die Karrierebeamtin zu hören, die 36 Jahre Erfahrung im öffentlichen Dienst vorzuweisen hat. Aber auch hier sind kritische Untertöne nicht zu überhören. „Sie ist sehr schlau, arbeitet sehr hart, ist sehr erfahren in Hongkongs Regierung und im Umgang mit Peking“, sagt der frühere Parlamentspräsident Jasper Tsang.

Schwierige Verhältnis zu Peking

Trotz seiner politischen Nähe beschreibt Tsang die 59-Jährige aber nicht als gute Teamplayerin und auch nicht als gute Führungskraft: „Ihre Schwäche sind ihre Beziehungen mit der Mehrheit ihrer Kollegen. Wenige Beamte arbeiten gern mit ihr zusammen“, berichtet Tsang. Das ist auch anderswo zu hören. „Nicht wenige Regierungsbeamte werden jetzt die Hongkonger Regierung verlassen“, sagt der Politiker voraus.

Dabei warten auf die erste Frau an der Spitze der chinesischen Sonderverwaltungsregion schwere Aufgaben. Lam muss nicht nur die politische Spaltung und die Kluft zwischen Arm und Reich in Hongkong verringern, sondern auch das schwierige Verhältnis zu Peking pflegen, das «ein Land» mehr betont als «zwei Systeme».

Die meisten Hongkonger erwarten nur eine Fortsetzung der alten Politik ihres unpopulären Vorgängers. Und das ist nicht gut. „Die große Mehrheit macht die bisherige Regierung und die falsche und ungerechtfertigte Einmischung Pekings in Hongkongs Angelegenheiten für alle Probleme verantwortlich“, sagt Alan Leong, langjähriger Vorsitzender der Anwaltsvereinigung und führender prodemokratischer Oppositionspolitiker.

„Wahl anstatt einer Auswahl“

„Lams Sieg trotz ihres Mangels an Unterstützung zeigt die völlige Kontrolle, die die chinesische Kommunistische Partei über Hongkongs Wahlverfahren hat. Es ist eine ernste Einmischung in Hongkongs Autonomie“, sagt der Aktivist der „Regenschirm-Revolte“ von 2014 und heute jüngste Abgeordnete Nathan Law. „Ein Alptraum für die Hongkonger“, findet der 23-Jährige. „Wir fordern eine Wahl anstatt einer Auswahl.“

Den Eindruck der Kritiker, dass die Selektion durch das Peking-freundliche Wahlkomitee „ohnehin nur eine Farce“ sei, bestätigte die amtliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua, indem sie Lams Sieg noch während der laufenden Auszählung der Stimmzettel und damit eine dreiviertel Stunde vor der öffentlichen Bekanntgabe des Ergebnisses verkündete.