Rückt die AfD noch weiter nach rechts?

Rückt die AfD noch weiter nach rechts?
(Julian Stratenschulte)

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Für die AfD wird das nicht irgendein Parteitag sein. In Stuttgart will sie am Wochenende ihren Kurs neu justieren.

Schrill, schriller, AfD. In den Wochen vor ihrem Bundesparteitag haben Politiker der einstigen Euroskeptiker-Partei eine provokante Rakete nach der anderen gezündet: vom Schusswaffengebrauch gegen Flüchtlinge über die Behauptung, der Islam sei „an sich eine politische Ideologie“, bis hin zu Spekulationen über einen Austritt Deutschlands aus der Nato. Auf ihrem zweitägigen Parteitag, der an diesem Samstag in Stuttgart beginnt, muss die AfD jetzt aber Farbe bekennen, muss sagen, was wirklich gilt und was nur Effekthascherei war. Mehr als 2000 Mitglieder haben sich angemeldet.

Sie sollen ein Grundsatzprogramm verabschieden – oder zumindest Teile davon. „Das Programm ist so etwas wie die Krönung der Wahlerfolge durch einen geistigen Überbau“, formuliert Vorstandsvize Alexander Gauland. Vor den Toren der Stuttgarter Messe wollen Gegner der Alternative für Deutschland protestieren. Ihr Motto: „Brandstiftern einheizen – AfD-Bundesparteitag verhindern“. Allerdings: Der Protest von Gewerkschaftern und Antifa-Gruppen gehört bei AfD-Veranstaltungen inzwischen fast schon zum Ritual.

Wasserwerfer gegen Demonstranten

Die Polizei will Wasserwerfer auffahren, um zu verhindern, dass die Demonstranten den Zugang zum Messegelände blockieren. Außerdem waren bei früheren Anti-AfD-Kundgebungen auch schon einmal Farbbeutel und andere „Wurfmaterialien“ zum Einsatz gekommen. Seit ihrem letzten Mitgliederparteitag im Juli 2015 – Parteigründer Bernd Lucke wurde damals abgewählt und gründete mit Getreuen eine eigene Partei – ist die AfD weiter nach rechts gerückt. Vor allem bei den Themen Einwanderung, Asyl und Islam.

Parteichefin Frauke Petry sieht den Kern der Partei woanders. Sie sagt: „Euro, Europa, Familie, direkte Demokratie, das sind die allerwichtigsten Themen.“ Andere „hochemotionale Themen“ wie Energie, Integration, Einwanderung und Asyl stünden eher in der zweiten Reihe. Beim „Spaltungsparteitag“ in Essen hatte Petry mit Stimmen des rechtsnationalen Flügels Lucke geschlagen – doch hat sie die Zügel überhaupt noch in der Hand? Im Bundesvorstand ist sie zunehmend isoliert.

Agressives Auftreten

Es gibt Kritik an ihrem „gelegentlich etwas aggressiven Auftreten“. Auch fragen sich einige männliche Vorstandsmitglieder, ob die von Petry vorgebrachten Ideen von ihr selbst stammen oder von ihrem Lebensgefährten, dem AfD-Landeschef in Nordrhein-Westfalen, Marcus Pretzell. Für die Parteibasis ist die AfD-Chefin aber immer noch eine wichtige Identifikationsfigur. Deshalb und weil sich die Partei noch nicht von ihrem „Lucke-Trauma“ erholt hat, gibt es bislang keine ernsthaften Versuche, Petry zu stürzen. Die Vorstandskollegen bemühen sich aber, ihre Macht zu beschneiden.

Das gelingt ihnen besser, seit Jörg Meuthen im November offiziell von der Nummer Zwei zum gleichberechtigten Vorsitzenden „aufgewertet“ wurde. Meuthen, der seit Luckes Auszug den stark geschrumpften wirtschaftsliberalen Flügel repräsentiert, hat inzwischen auch Frieden mit dem rechtsnationalen Thüringer Landeschef Björn Höcke geschlossen. Noch verhält sich Meuthen zu Petry relativ loyal. Doch wer kann bei der AfD schon sagen, was morgen kommt. Schließlich stellt die Partei mit ihren Machtspielchen und Intrigen so manche Vorabendserie in den Schatten. Petry sieht das Thema Vorsitz in Stuttgart auf jeden Fall nicht auf der Tagesordnung.

„Partei der kleinen Leute“

Sie sagt: „Wir sind glücklich mit der Struktur, wie sie ist. Mehr als zwei Vorsitzende braucht es, glaube ich, auf keinen Fall.“ Dass die AfD in Stuttgart kein vollständiges Parteiprogramm verabschieden wird, liegt an den zum Teil sehr großen inhaltlichen Differenzen ihrer Mitglieder. Der Mindestlohn sei für viele „ein Reizthema“, räumt Petry ein. Hier stehen Mitglieder, die kategorisch „weniger Staat“ fordern, gegen diejenigen, die aus der AfD eine „Partei der kleinen Leute“ machen wollen.
Dass einige AfD-ler die Partei nach der Verabschiedung des Programms enttäuscht verlassen werden, ist möglich.

Ein großer Aderlass, so wie nach dem Streit mit dem Lucke-Flügel, ist aber eher unwahrscheinlich. Denn für die AfD-ler gibt es einen guten Grund zusammenzubleiben: Die Partei hat bei den letzten Landtagswahlen durchweg zweistellige Ergebnisse erzielt. Laut Umfragen stehen ihre Chancen, 2017 auch in den Bundestag einzuziehen, nicht schlecht. Vorausgesetzt, sie zerbricht nicht vorher an ihren inneren Widersprüchen.