Rio tanzt gegen die Zika-Angst an

Rio tanzt gegen die Zika-Angst an
(AFP)

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Wirtschaftskrise? Zika? Spielt beim Karneval in Rio de Janeiro kaum eine Rolle. Über 600 Umzüge, auch speziell für Schwangere, Millionen, die feiern. Und Menschen, die mit deren Müll gute Geschäfte machen.

Jetzt gibt es auch noch einen Ratschlag für Schwangere, auf Küsse im Karneval zu verzichten. Er empfehle, „nicht zu küssen“, sagt der Direktor des brasilianischen Forschungsinstituts Fiocruz, Paulo Gadelha. Nach Meinung von Fiocruz kann das mysteriöse Zika-Virus womöglich auch per Speichelflüssigkeit übertragen werden.

Es ist nur ein Verdacht, dass das vor allem von Moskitos übertragene Virus Schädelfehlbildungen bei Babys auslösen kann, wenn Schwangere sich zuvor mit Zika infiziert haben. Virologen halten es übrigens für unwahrscheinlich, dass Zika per Spucke, also durch Küssen übertragen werden kann. Spekulationen und Ratschläge überschlagen sich, schreckt die Menschen in Rio aber keineswegs vom Feiern ab. Im Gegenteil.

Als Zika-Mücke verkleidet

Hunderttausende verstopfen die Straßen. Einige haben sich sogar als Zika-Mücke verkleidet. Da ist zum Beispiel die Variante Badehose mit Hosenträgern, hinten am Rücken sind schwarze Flügel montiert. „Wer sich wegen Zika Sorgen macht, muss halt zu Hause bleiben“, meint Leandro Freitas, der in Botafogo feiert. Er habe sich nicht extra mit Moskitoschutzspray eingesprüht. „Mein Blut wollen sie nicht, da ist zu viel Bier drin.“

In Copacabana schlängelt sich der erste Zug zu dröhnenden Samba-Rhythmen schon um neun die Strandpromenade herunter, direkt dahinter fahren vier Müllwagen, die die Bierdosen wegkehren. Die Männer der Stadtreinigung in ihren orangenen Anzügen, die die Bürgersteige mit Besen säubern, sind bei 30 Grad nicht zu beneiden.

Badehose mit Geld und Telefon

Die meisten Feiernden sind im Strandlook unterwegs, in der Badehose das Telefon und Geld verstaut – aber es gibt auch Kostüme wie eine Ananas, eine Melone, sowie die Klassiker Kapitän und König.

Viel nackte, schwitzende Haut, viel Angriffsfläche für die Gelbfiebermücke Aedes aegypti, die Zika überträgt – und der Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff den Krieg erklärt hat – nach Karneval sollen 220.000 Soldaten im Mückenkampf mobilisiert werden.

Leichtes Fieber oder Hautrötungen

500.000 bis zu 1,5 Millionen Menschen, so die Schätzungen, könnten sich mit Zika infiziert haben in Brasilien – die meisten merken es gar nicht, denn die Symptome wie leichtes Fieber oder Hautrötungen treten nicht in jedem Fall auf. Aber es gibt da diese – bisher nicht bewiesene – mögliche Verbindung zu Schädelfdehlbildungen bei Babys.

Die Stadt versuchte zur Beruhigung von Bürgern und Touristen vor dem Karnevalsstart Handlungsfähigkeit zu beweisen: Männer in gelben Schutzanzügen versprühten im Sambódromo Insektizide, um die Moskitos zu vertreiben. Hier, beim Höhepunkt des Karnevals, ermitteln die Sambaschulen vor über 70.000 Zuschauern mit spektakulären Paraden bis Montag die beste Sambaschule Rios. Neben Zika liegt aber vor allem die tiefe wirtschaftliche Krise wie ein Schatten über dem Karneval. Dutzende Umzüge im ganzen Land mussten mangels Geld abgesagt, beim Stoff einiger Kostüme gespart werden. Mangueira, eine der besten Sambaschulen Rios, schickt nur 4000 statt 5000 Tänzer auf die Straße.

Auch Schwangere unterwegs

Aber die eine Million Touristen spüren von der Krise wenig. Knapp 700 Millionen Euro Umsatz erwartet die Stadt. Den Reiz machen gerade auch die kleinen Umzüge aus. Der Karneval des Bloco Cordão Umbilical im Stadtteil Humaitá richtet sich besonders auch an Schwangere – die 28 Jahre alte Gabriela Ortis, im achten Monat schwanger, ist mit ihrer kleinen Tochter dabei. „An Karneval nicht rauszugehen, das wäre grausam“, sagte sie nach Angaben der Agentur Agência Brasil.

An der Plaza Salvador feiern die jungen Leute – viele haben Trommeln und Trompeten dabei, der Rest tanzt – eine wogende, glückselige Masse – bis die Polizei aus Lärmgründen die Party beendet. Skurril wirkt der Hundekarneval an der Copacabana mit rund 150 Vierbeinern, die mit schrillen Kostümen und Sonnenbrillen drapiert, mit Herrchen und Frauchen feiern. Viele müssten wegen der Hunde während des Karnevals zu Hause bleiben, meint der Organisator Marco Antonio Marino, der im Dalmatinerkostüm gekommen ist. „Darum haben wir uns gedacht, wir verbinden das einfach: Ein Karneval für die Menschen und ihre Hunde.“

Für Leute wie Jose Claudio Leandro (54) ist der Karneval ein großes Geschenk. Er sammelt die unzähligen leeren Bierdosen ein, die von den fliegenden Händlern an jeder Ecke verkauft werden, drei Dosen für knapp 2,50 Euro. Pro Kilo bekommt er von einer Recyclingfirma 3 Reais (ca. 70 Cent), pro Tag sammelt er bis zu 30 Kilo. Der Karneval komme gerade in diesem Jahr zum richtigen Zeitpunkt. „Da gibt’s ein paar Tage keine Krise und Zika, die Leute wollen den Kopf frei bekommen.“

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