„Politik war nicht auf dem Laufenden“

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(AFP)

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EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker stand am Dienstag vor dem Panama-Untersuchungsausschuss des Europaparlaments. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe wies er vehement zurück. Etwas anderes war auch nicht zu erwarten. Junckers Erklärungen allerdings sorgen für Stirnrunzeln.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat sich im Panama-Untersuchungsausschuss des Europaparlaments gegen den Vorwurf verteidigt, Mitverantwortung an massiver Steuerhinterziehung über sein Heimatland zu tragen. „Ich glaube nicht, dass es im politischen Bereich Verantwortlichkeiten zu suchen gibt“, sagte der langjährige Regierungschef von Luxemburg (1995-2013) am Dienstag in Brüssel.

In der Politik sei man über die Machenschaften der Handelnden nicht auf dem Laufenden gewesen. Der sogenannte Panama-Ausschuss des Europaparlaments beschäftigt sich mit den Recherchen eines internationalen Netzwerkes investigativer Journalisten.

Vor allem die Grünen machen Dampf

Dieses hatte im April 2016 über rund 200.000 Briefkastenfirmen berichtet, die von der panamaischen Kanzlei Mossack Fonseca gegründet worden waren. In diesen Briefkastenfirmen sollen Politiker, Prominente und Sportler ihr Vermögen geparkt haben.

Grünen-Europapolitiker wie Sven Giegold werfen Juncker vor, in seiner Zeit als Regierungschef in Luxemburg illegale Praktiken ermöglicht zu haben. Giegold hat errechnet, dass allein dem deutschen Fiskus Steuereinnahmen in Höhe von mehr als 260 Millionen Euro entgangen sein könnten.

Schatten der Vergangenheit

Es war nicht das erste Mal, dass sich Juncker gegen Vorwürfe wehren musste, er habe seine Heimat Luxemburg zu einem Paradies für Steuersünder gemacht. Unbestritten ist, dass der Stahlarbeiter-Sohn Juncker den Wandel Luxemburgs zum internationalen Banken- und Finanzstandort entscheidend mitgeprägt hat.

20 Jahre lang, von 1989 bis 2009, war er Finanzminister des Großherzogtums. Von 2004 bis 2013 stand er auch an der Spitze der Eurogruppe, in der sich die Finanzminister der Währungsunion treffen und die Weichen für die europäische Politik auch in Steuerfragen stellen.

Nachdem er den Posten 2013 ausgelaugt von den endlosen Notsitzungen der Schuldenkrise freiwillig abgegeben hatte, erlebte der „Mr. Euro“ getaufte Juncker in seiner Heimat einen ungewollten Karriereknick: Wohl zu seiner eigenen Überraschung stürzte der selbstbewusste Regierungschef über eine Geheimdienstaffäre, musste sich vorgezogenen Neuwahlen stellen – und verlor den Posten nach acht Jahren im Amt.

Erster Skandal nach nur wenigen Tagen im Amt

Juncker, der Jura studiert hat, aber sein ganzes Leben Politiker war, stand plötzlich ohne wichtigen Job da. Seine Chance auf Fortsetzung seiner Karriere sah Juncker, als das umstrittene Verfahren ins Leben gerufen wurde, bei der Europawahl 2014 europäische Spitzenkandidaten um die Nachfolge von EU-Kommissionschef José Manuel Barroso konkurrieren zu lassen.

Juncker ging als Vertreter der Christdemokraten ins Rennen und trug den Sieg gegen den Sozialdemokraten Martin Schulz davon. Zu seinem Amtsantritt als Kommissionschef versprach Juncker der EU einen „Neubeginn“ und eine neue Balance zwischen Haushaltsdisziplin und Wachstumspolitik in der EU. „Die Wirtschaft muss den Menschen dienen, nicht umgekehrt“, sagte der Konservative, der damit offenbar auch das linke Spektrum des Parlaments erreichen wollte.

Doch nur Tage nach seinem Amtsantritt im November 2014 berichteten Medien über hunderte Fälle, in denen multinationale Konzerne in Luxemburg auf Kosten anderer EU-Länder Steuerzahlungen vermieden. Nutznießer waren unter anderen der Internet-Händler Amazon und der Autobauer Fiat.

EU-feindliche und rechte Parteien

Juncker musste sich darauf im ersten Amtsmonat einem Misstrauensvotum im Parlament stellen, das von EU-feindlichen und rechten Parteien organisiert worden war. Es wurde mit großer Mehrheit zurückgewiesen.

Im September 2015 stand Juncker dann dem Luxleaks-Sonderausschuss im EU-Parlament Rede und Antwort. „Ich habe in Luxemburg kein System der Steuerhinterziehung, der Steuerhintertreibung oder der Steuervermeidung zu Lasten anderer europäischer Staaten erfunden“, beteuerte er in einem teils hitzigen Wortgefecht mit den Abgeordneten. „Sie überschätzen meine Talente.“ Er habe keinen Einfluss auf die Vereinbarungen der Luxemburger Steuerverwaltung mit Großkonzernen gehabt.

Junckers Kommission hat sich seitdem den Kampf gegen Steuervermeidung und -flucht auf die Fahnen geschrieben. Der Weg ist aber mühsam, auch weil nicht nur Luxemburg Großkonzerne durch Steuersparmodelle angelockt hat, sondern auch andere Mitgliedstaaten wie die Niederlande, Belgien oder Irland.

„Jedes Land das Steuerparadies seines Nachbarn“

„In Europa ist jedes Land das Steuerparadies seines Nachbarn“, sagte Juncker im September vergangenen Jahres in einem Interview. Seine persönlichen Schatten der Vergangenheit bekommt der Kommissionschef dadurch aber nicht los. Das hat sich am Dienstag einmal mehr deutlich gezeigt.