„Meine Pflicht als Bürger“

„Meine Pflicht als Bürger“
(Claude Karger)

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Dem Hauptangeklagten im Luxleaks-Prozess, Antoine Deltour, schien es wichtig die Öffentlichkeit über enorme Steuervorteile von international operierenden Konzernen zu informieren.

Wichtiger auf jeden Fall, als die bei PwC entwendeten Dokumente vertraulich zu behandeln. Er habe es ungerecht gefunden, dass bei einer offiziellen Betriebssteuer von 29 Prozent in Luxemburg, die großen multinationalen Konzerne ihre Besteuerung im Land über den Weg der Advanced taxe rulings – ATA, auf drei oder noch weniger Prozent hätten drücken können.

Dies sei zum einem illegale Konkurrenz gegenüber den mittleren Unternehmen gewesen und habe zudem auch negative Auswirkungen auf die Haushalte der anderen Länder gehabt. Es sei daher seine Pflicht als Bürger gewesen, diese Praktiken bekannt zu machen, so Deltour gestern vor Gericht.

Keine präzisen Vorstellungen

Die Kopien von rund 400 solcher Steuervorbescheide hat er gemacht, als er eigentlich dabei war, Dokumente über bestimmte Ausbildungen und Weiterbildungskurse bei PricewaterhouseCoopers – PwC zu kopieren. Das war am 13. Oktober 2010, am Tag bevor er die Firma verließ. Dort war er seit 2008 Auditor und soeben zum Senior Auditor befördert worden. Er wollte dennoch weg, weil er nicht nach mehr Geld strebte, sondern den Sinn des Lebens auch an der Beteiligung an sozialen Aktivitäten z.B. sah.

Bei PwC war es durchaus üblich, dass Mitarbeiter Dokumente zum Thema Bildung kopierten. Dass er das erst am Tag vor dem Verlassen der Firma tat, habe daran gelegen, dass er trotz seiner Kündigungsfrist von einem Monat bis zum letzten Tag durchgearbeitet habe. In 29 Minuten kopierte er rund 45.000 Seiten.

Bei der Durchforstung der Dateien nach weiteren Bildungsangeboten sei er auch auf das Dossiers mit den Rulings gestoßen. Weil er ungefähr wusste, was es mit diesen Steuerbescheiden auf sich hatte, habe er sich dazu entschieden diese mit zu kopieren. Ohne präzise Vorstellungen, was er damit machen sollte.

Kein Geld im Spiel

Später, als er zu Hause langsam die Brisanz der Inhalte erkannte, wandte er sich an Experten in Steuerfragen, weil er sich selber in diesem Bereich weniger auskannte. Hier war das Interesse an den Rulings jedoch nicht gross.

Nachdem er dann auf einem Blog der Zeitschrift Libération einen anderen Beitrag kommentiert hatte und dabei auf die Rulings eingegangen war, sei er vom Journalisten Edourd Perrin kontaktiert worden. Wäre dies nicht erfolgt, hätte er wohl keine weiteren Versuche unternommen, die Praxis der Rulings bekannt zu machen.

Perrin beschäftigte sich zu dem Zeitpunkt seit einiger Zeit mit der Steuerflucht und Steuertricks von Konzernen. Irgendwann las er den Kommentar von Deltour Der Kontakt kam zustande, die beiden trafen sich. Perrin habe ihm über seinen beabsichtigten Film zum Thema Steuervermeidung erzählt, er dem Journalisten über die Rulings.

Er habe dem Journalisten dann auch Kopien der Rulings gegeben, so Deltour. Über Geld sei zu keinem Zeitpunkt geredet worden. Es sei ihm bewusst gewesen, dass er das Berufsgeheimnis verletzte und gegen die Gepflogenheiten handelte. Allerdings habe er es als notwendig erachtet, die Öffentlichkeit über dieses ernsthafte Thema zu informieren.

Systemisches Ausmaß

Von Richter Marcel Thill befragt, warum er Perrin oder jemanden anderen, z.B. einen Abgeordneten über die Ruling Praxis nicht einfach so informiert habe, ohne die Dokumente herauszugeben, meinte Deltour, dass Perrin erstens Beweise brauchte für seinen Film und er selber auch das systemische Ausmaß der Rulings dokumentieren wollte. Auch die anderen Steuerberatungsfirmen hätten mit Rulings gearbeitet.

Als die Dokumente später von Internationalen Konsortium Investigativer Journalisten alle veröffentlich worden seien, sei er überwältigt gewesen, nicht nur weil er sich bestätigt sah, sondern auch durch den europaweiten Impakt, den die Veröffentlichung auslöste.