Luxemburgs ungehörte Generation

Luxemburgs ungehörte Generation
(Fredrik von Erichsen)

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Der Generationenkonflikt des "Brexit"-Referendums findet sich nicht nur auf der Insel: Auch Luxemburgs Jugend muss in der Politik doppelt so laut schreien wie die älteren Semester.

Die europäische Jugend sorgt sich. Viele junge Briten waren sauer, als die Resultate des Brexit-Referendums verkündet wurden. Die ältere Generation hat für den Brexit gestimmt, die jüngere hat sich eher für den Verbleib in der EU ausgesprochen. In den sozialen Netzwerken war schnell die Rede von einer Jugend, deren Zukunft von den „Alten“ verspielt wurde. „Ihr habt gewählt und wir müssen jetzt mit dem Resultat leben“, schreibt ein Twitter-Nutzer.

Sven Giegold, einer der Sprecher der Grünen im Europaparlament, rief die EU dazu auf, nicht zu streng zu den jungen Briten zu sein. Die EU solle diese immer noch mit „offenen Armen“ empfangen und stattdessen lieber strenger zu den Finanzmärkten sein. Für die Jüngeren sollten die Türen offen bleiben, wenn sie „in der EU studieren oder arbeiten möchten“.

Dass das Problem nicht nur Großbritannien betrifft, liegt auf der Hand. Überall wo gewählt wird, kommt die Generationenfrage auf. Die Initiative „JO.16“, die sich im luxemburgischen Referendum letztes Jahr für das Wahlrecht ab 16 Jahren eingesetzt hatte, beschwert sich am Montag in einer Mitteilung über ähnliche Verhältnisse in Luxemburg. „In den westlichen Ländern ist im Schnitt jeder dritte Wahlberechtigte mindestens 60 Jahre alt“, schreiben die beiden Vertreter der Plattform Alexander Frisch und Patrick Weymerskirch.

Die verzweifelte Lösungssuche

Sie nennen eines der markantesten Beispiele: Das Wehrpflicht-Referendum in Österreich. Hier hatten die Jungen für eine Abschaffung der Wehrpflicht gestimmt, die Älteren waren aber dagegen. Die Wehrpflicht wurde schließlich beibehalten. „Ist es denn nicht legitim, dass die künftigen Generationen, welche die Konsequenzen aktueller, politischer Maßnahmen schultern werden müssen, nach einem Weg suchen, ihre Meinung zur Geltung zu bringen?“, wird in der Mitteilung gefragt.

Das Tageblatt hat sich bei Patrick Weymerskirch, der bereits Präsident des Jugendparlaments in Luxemburg war und Vorstandsmitglied bei den „Jonk Sozialisten“ ist, über Lösungen erkundigt. Seiner Meinung nach sind wir noch lange nicht bei der Lösungssuche angelangt, obwohl seine Initiative sich weiterhin, trotz der Resultate beim luxemburgischen Referendum von 2015, für ein Wahlrecht ab 16 einsetzt. „Das Wichtigste ist jetzt, dass ein Bewusstsein für diese Problematik entsteht“, erklärt er uns.

Das Problem des Wertekonflikts

Das Problem betrifft seiner Meinung nach allerdings nicht nur Referenden, sondern die Politik im Allgemeinen. Diese wird auch in Luxemburg noch immer von der älteren Generation gestaltet. „Hier gibt es einen Wertekonflikt“, so Weymerskirch. „Das ist normal und wäre auch eigentlich kein Problem. Nur werden die Werte der jüngeren Generation komplett von den Werten der älteren Generation überschattet. Das geht so weit, dass die Werte der Jüngeren überhaupt keine Rolle mehr spielen. Die Älteren setzen sich immer wieder durch“.

„Es wäre gut, wenn dies auch den Politikern bewusst wäre. In unserem Wahlsystem spielt der Bekanntheitsgrad eine sehr wichtige Rolle. Es ist nun mal so, dass ein Politiker, der schon einmal im Parlament saß, bekannter ist und somit viel größere Chancen hat, wiedergewählt zu werden. Ihnen muss irgendwann bewusst werden, dass es möglicherweise an der Zeit ist, den Platz für jüngere Politiker frei zu machen“, erklärt Weymerskirch. Er schlägt auch gleich eine Lösung für die kommenden Gemeindewahlen vor: „Jede Partei hat ja einen Spitzenkandidaten. Interessant wäre es, wenn dann auch jede Partei einen zweiten, jungen Spitzenkandidaten aufsetzen würde“.

„Mehr Zeit, mehr Geld“

Auch die CSJ, die Jugendfraktion der CSV, zeigte sich dem Tageblatt gegenüber enttäuscht darüber, dass „dem Wunsch der jüngeren Generationen, die sich eine Zukunft in Europa vorstellen nicht Rechnung getragen werden konnte“. Bei einem Referendum solle man aber den demokratischen Prozess respektieren und „ältere Menschen nicht für ihre Haltung zu Europa verurteilen“. Um die Entscheidung des Brexits „gesellschaftsübergreifend“ zu rechtfertigen, hätte man aber eine „Mindestzustimmung von 60 Prozent festlegen können“, erklärt die CSJ.

Die CSJ weist auch auf die Wichtigkeit hin, dass junge Menschen sich engagieren und sich bei älteren Generationen Gehör verschaffen. Doch wie sieht es damit eigentlich aus? Haben die Jungen genau so viele Chancen wie die Älteren sich in der Politik durchzusetzen? „JO.16“ hat seine Zweifel und bemängelt beispielsweise, dass ältere Menschen viel mehr Zeit und finanzielle Mittel haben, bei einem Referendum Wahlkampf zu führen.

Der kritische Geist

In Luxemburg wurde für eine bessere Beteiligung der jüngeren Generation in der Politik das Jugendparlament eingeführt. Dieses arbeitet genauso wie jedes andere Parlament an politischen und aktuellen Themen und unterbreitet seine Ideen und Sichtweisen dann der „Chamber“. Wie zahlreiche Mitteilungen ebenjenes Organ in der Vergangenheit zeigten, fühlte es sich allerdings öfters nicht sehr ernst genommen. „Es ist mittlerweile besser geworden“, erklärt Elisha Winckel, Präsident des Jugendparlaments, dem Tageblatt gegenüber. Ob sie allerdings wirklich ernst genommen werden, kann er noch nicht richtig einschätzen.

„Es wird über das, was wir sagen, geredet, wenn die Abgeordneten zu einem Treffen mit uns kommen. Einige sagen dann, dass diese oder jene Idee durchaus interessant ist“. Inwiefern diese Ideen dann bei den Abgeordneten ankommen, kann er allerdings schwer beurteilen. Für das Jugendparlament funktioniert eine größere Beteiligung allerdings nur durch bessere politische Bildung. „Es geht darum, dass die Jungen einen kritischen Geist entwickeln“, erklärt Winckel. Dies könne einerseits durch frühere und bessere Staatsbürgerkunde geschehen. Andererseits durch das Zentrum für politische Bildung, das demnächst in Luxemburg entstehen soll.

Es fehlt an „Weitsicht“

Zu der veralteten Politik hat auch der Präsident des Jugendparlaments etwas zu sagen. Einerseits sollten Jüngere in der Politik nicht stigmatisiert werden. „Die Menschen setzen jung mit unerfahren gleich. Das muss aber nicht unbedingt so sein“, betont er. Er nennt als Beispiele den österreichischen Außenminister Sebastian Kurz, 29 Jahre alt, oder den estnischen Premierminister Taavi Roivas, der sein Amt mit 34 Jahren antrat. „Weiterhin sollten die Politiker lernen auf die Jüngeren zu hören und sogar auf sie zuzugehen. Momentan fehlt eine gewisse Weitsicht. Es wird an die nächsten Wahlen gedacht und nicht an die nächste Generation“, so Winckel.

Auf ihrer letzten Plenarsitzung im letzten Jahr hatte das Jugendparlament schon die Problematik in Angriff genommen und in Arbeitsgruppen zusammen mit den Jugendparteien diskutiert, inwiefern die Beteiligung der jüngeren Generationen angekurbelt werden kann. „Das Interesse war groß. Bis auf die ADR sind alle gekommen“, erklärt Winckel. Damit hat die Jugend den ersten Schritt zu einer größeren Wahlbeteiligung und mehr Gewicht in der Politik gemacht: Es wird darüber geredet.

„Die Bevölkerung nicht in Kategorien einteilen“

Wir haben Premierminister Xavier Bettel auch um eine Stellungnahme zum Thema gebeten. Er unterstreicht, dass man eine Bevölkerung nicht in Kategorien einteilen sollte: „Gerade in schwierigeren Zeiten, ist es wichtig den Zusammenhalt einer Gesellschaft zu stärken. Den wahren Wert der Demokratie erkennt man besonders dann, wenn Krisen zu meistern sind. Es stimmt allerdings auch, dass man die Jugend noch stärker in Entscheidungsprozesse einbinden sollte und sie auch für politische Fragen sensibilisieren muss. Die Regierung tut genau dies und hat deshalb beispielsweise ein Zentrum für politische Bildung ins Leben gerufen“, so Bettel.

Über das Thema Jugend und Politik wird also geredet. Aber gerade vor dem Hintergrund des Brexit wird es die Aktualität künftig weiterbestimmen. Noch halten die „Alten“ das Szepter. Vorhang auf für die Jugend, die politische Zukunft gehört ihnen. Bis sie wieder die „Alten“ sind.