„Luxemburg ist nicht anders als andere Nationen“

„Luxemburg ist nicht anders als andere Nationen“
(Tageblatt-Archiv)

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Landesplanung: "Das Pferd wurde oft von hinten aufgezäumt." - Wachstum: "Starkes wirtschaftliches Wachstum bedeutet nicht notwendigerweise ein starkes Bevölkerungswachstum." - Öffentlicher Transport: "Ist das Angebot da, wird es auch genutzt. Luxemburg ist nicht anders als andere Nationen."

Dies sind drei der Hauptaussagen von Nachhaltigkeitsminister François Bausch im Gespräch mit Tageblatt.lu.

Autonomes Fahren

Im Zusammenhang mit dem Rifkin-Prozess, der sog. „dritten industriellen Revolution“, wird natürlich viel über Mobilität, Open Data und Digitalisierung gesprochen.

Luxemburg soll eine Art „Laboratorium“ werden, mit innovativen (Pilot)-Projekten. François Bausch erwähnte im Gespräch mit Tageblatt.lu ein konkretes Beispiel, das auch schon öfter in der Aktualität stand: „Autonomes Fahren. Ich würde es gerne sehen, wenn es in Luxemburg so schnell wie möglich Strecken gibt, wo das getestet werden kann.“ clc

„Endlich: Im November wird öffentlich über die Zukunft Luxemburgs debattiert“ schrieben wir am 24. Juni an dieser Stelle über eine zweitägige Veranstaltung, die man als „Zukunftstisch“ bezeichnen kann (Link). Wir brachten bereits vergangene Woche einige Diskussionsthemen mit dem Minister von „déi Gréng“ zur Sprache.

Keine Angst vor 700.000 – 800.000

„Ech fille mech erausgefuerdert vun all deenen Demanden fir en Zukunftsdesch“, so François Bausch. U.a. werden diese Forderungen gestellt, wenn mal wieder von der europäischen Bevölkerungsstudie „Europop 2013“ die Rede ist, welche Luxemburg im Jahr 2060 mit rund 1,1 Millionen Einwohnern sieht. Die Schallmauer der Million würde demnach 2046 durchbrochen.

Der Minister hält nach wie vor in punkto Einwohnerzahl eher „700.000 bis 800.000 für realistischer. Und die machen mir auch keine Angst, wenn das gut geplant ist.“ Würde man die vier sektoriellen Leitpläne der Landesplanung (Wohnungsbau, Gewerbezonen, Transport, „paysages“) übereinander legen, „so sieht das ganz gut aus. Luxemburg wird dann nicht zersiedelt sein, und diese Einwohnerzahl auch verkraften.“ Die zentralen Fragen seien: Was wächst? Wie wächst es? Wie organisieren wir das? Das würde nun mit dem Landesplanungsgesetz und den Leitplänen geklärt werden.

Grenzgänger: Verhältnis kippt

Bausch liefert einige prinzipielle Überlegungen zu Beginn des Gesprächs. Seiner Meinung nach bedeutet Wachstum nicht immer notwendigerweise mehr Arbeitsplätze und/oder mehr Einwohner: „Zieht Luxemburg z.Bsp. viele Bereiche an, wo für einen hohen Mehrwert nicht so viele Arbeitsplätze benötigt werden, wäre das der Fall.“ Er verweist auch auf den Rifkin-Prozess. Werde Luxemburg zu einem regelrechten „Laboratorium“, mit innovativen Pilotprojekten, könnte man sich in so einem Szenario befinden. Hoher Mehrwert würde dann auch hohe Steuereinnahmen bringen.

Die Zeit der Schwerindustrie, gleichbedeutend mit vielen (unqualifizierten) Arbeitsplätzen, sei eh vorbei in Zentraleuropa. In diesem Bereich sieht Bausch „nur“ noch die Logistik und einige Handels-Standorte, die dabei seien zu entstehen: „Diese Entwicklung sieht man auch bereits bei den Grenzgängern. Das Potential ist quasi erschöpft, viele kommen bereits von sehr weit her. Auch diese Fragestellung wird sich also ändern.“ Das Verhältnis sei dabei zu „kippen“, so Bausch, die Bevölkerungszahl würde derzeit leicht schneller wachsen als die Grenzgängerzahl.

Arbeitsplätze: Dynamik wird ändern

Im letzten Jahr wuchs die Bevölkerung um mehr als 13.000 Menschen, wir sind nun bei 576.000. Würde dies so weitergehen, wären wir aber bereits in 10 Jahren – oder sogar noch schneller – bei 700.000; der Untergrenze von Bauschs „realistischer“ Schätzung. Hier benutzt der Minister noch einmal das Beispiel von Großbetrieben mit vielen Arbeitsplätzen: „Die Zeit der Firmen mit Massen-Arbeitsplätzen ist fast vorbei, ‚d’Saturatioun as gläich erreecht.‘ Die Dynamik was das Schaffen von neuen Arbeitsplätzen angeht, wird also schwächer werden.“

Was die „Art“ von neuen Arbeitsplätzen angeht, so geht François Bausch im Bereich der Jobs mit hohen Qualifikationen davon aus, dass diese Menschen eher „résidents“ sein werden als Grenzgänger. Diese müssen wohnen, wir sind bei der Landesplanung angekommen.

Die Mischungs machts

Die große Herausforderung der Landesplanung beschreibt er wie folgt: „Wohnen, Arbeiten und Freizeit müssen wieder mehr vermischt werden.“ Beispiel Kirchberg: „Da müssen noch viel mehr Wohnungen hin.“ Die Hauptstadt im Allgemeinen: „In Luxemburg kommen vier Arbeitsplätze auf einen Einwohner. Ich glaube in unserer Gegend hat nur noch Frankfurt einen ähnlich schlechten Wert.“ Und in Luxemburg möglicherweise Leudelingen: „Ein gutes Beispiel, wie man es nicht macht. Die Gewerbezone mit Tausenden Arbeitsplätzen ist ein landesplanerisches Desaster.“ Nicht weit entfernt: Cloche d’Or und Ban de Gasperich. „Das bestehende Viertel hat ganz klar ein Defizit an Wohnungen. Wenigstens sind im zukünftigen Ban de Gasperich nun auch mehr Wohnungen vorgesehen als ursprünglich geplant“, so der frühere Hauptstadt-Schöffe.

Der quasi „höchstpersönlich“, als er zuständiger Minister wurde, die gesamte Tramplanung vom „Horizont 2030“ vorzog auf eine komplette Fertigstellung von Findel bis Cloche d’Or im Jahr 2021: „Das war nicht vorgesehen, die Infrastrukturen waren nicht angepasst.“ Nun werde man natürlich noch „ein bis zwei schwere Jahre haben, da ab 2018 die Fertigstellungen erfolgen.“ Er nennt dies „das Pferd von hinten aufzäumen.“ Durchaus möglich, dass das Aufzäumen bedingt, „dass die Tram irgendwann bis Leudelingen weitergeführt wird. Das kann ich mir durchaus vorstellen.“

Kopenhagen: Fahrradanteil von 40%

Die Tram, der öffentliche Transport. Braucht es hierfür in Luxemburg nicht auch einen Mentalitätswandel, oder „reicht“ es, wenn das Angebot da ist? „Ich bin überzeugt: Wenn das Angebot da ist, wird es auch genutzt werden. Luxemburg ist nicht anders als andere Nationen“, erklärt der Minister bestimmt. „Nehmen Sie Kopenhagen als Beispiel. Ein Fahrradanteil von 40%! Es ist zwar flacher als in Luxemburg-Stadt, aber das Wetter ist deutlich ungünstiger … Aber das Angebot wurde geschaffen, und es wurde angenommen. Überhaupt erlebt das Fahrrad weltweit eine Renaissance, auch mit den E-Bikes.“

Auch die Schiene würde boomen, und Bausch verweist auf die steigenden Passagierzahlen der CFL: „Bieten wir heute ein neues Angebot an, ist es übermorgen gefüllt. Ich bin auch überzeugt, dass der ‚arrêt Pfaffenthal‘ angenommen werden wird. Der bringt aus dem Norden eine Zeitersparnis von 20 bis 25 Minuten, mehr als jede Nordstraße.“

Spannender November

Und es sei nicht nur die Schiene, sondern das gesamte multi-modale Konzept mit Auffangparkplätzen etc.: „Im 21. Jahrhundert löst man Verkehrsprobleme nicht mehr, in dem man nur auf ein einziges Fortbewegungsmittel setzt. Das muss in die Köpfe.“

Man darf also gespannt sein, wie sich verschiedene Ideen bereits bis November möglicherweise (weiter)-entwickeln werden, welche beim „Zukunftstisch“ neu dazukommen, und auch was bei den Überlegungen zum sog. Rifkin-Prozess (soll ebenfalls im November fertig sein) herauskommt.