Lothringen bleibt eine Stahl- und Metallregion

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Präsident François Hollande besucht am Donnerstag Lothringen. Die ausgesuchten Orte sind Symbole für eine Region, die weiterhin dem Stahl und der Verarbeitung von Metall verbunden bleibt.

Zwei Jahre lang haben die Gewerkschaften in Florange darum gekämpft, dass die Hochöfen von Hayange/Florange nicht ausgeblasen würden. Sie haben verloren. Die Hochöfen stehen als stille, rostende Kulisse im Tal der Fensch, in dem zwar kein Eisenerz mehr gekocht wird, aber immer noch Stahl verarbeitet wird. Die Hochöfen sind aus, geblieben sind die Walzstraßen, die den Mehrwert in der Stahlherstellung schaffen. Geblieben ist damit auch die Wertschöpfung. Verschwinden werden nach und nach 629 direkt und indirekt damit verbundene Arbeitsplätze. Das Schreckensszenario, dass in Florange und in Hayange 3.000 Arbeitsplätze verschwinden würden, war von den Gewerkschaften zwar an die Wand gemalt worden, aber jeder, auch sie selbst, wusste, dass dies nicht der Fall sein würde.

Staatspräsident François Hollande kehrt nach Lothringen zurück, um einerseits das Versprechen einzulösen, das er als Wahlkämpfer gegeben hatte, andererseits sich mit den Gewerkschaften auseinanderzusetzen, die von ihm enttäuscht sind, weil sie erwartet hatten, dass er die Hochöfen retten würde. Zusätzlich wird Hollande diesen Eindruck bekommen, dass ArcelorMittal in Lothringen Spitzentechnologie bietet und modernste Stähle herstellt. So unter anderem den neuen Autostahl „Usibor“, der in dem nicht weit entfernten größten Forschungslabor von ArcelorMittal in Maizière les Metz entwickelt worden ist.

Industrielle Wüste?

Der Besuch ist wichtig für Lothringen und auch für den Staatspräsidenten. Während des zweijährigen Kampfes um die Hochöfen war in Frankreich der Eindruck entstanden, dass Lothringen eine industrielle Wüste sei, in der es von Industriebrachen und sterbenden Fabriken nur so wimmele. Die lothringischen Politiker, die sich an die Seite der kämpfenden Stahlwerker gestellt hatten, erkennen heute, dass die Auseinandersetzung um die Hochöfen einen katastrophalen Eindruck von Lothringen hinterlassen hat und versuchen gegenzusteuern.

Der Präsident des Regionalrates in Metz, Jean-Pierre Masseret, wünscht, dass Lothringen sich von dem Image der sterbenden Stahlregion trennt. Patrick Weiten, Präsident des Generalrates in Metz des Départements Moselle, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Konzernen wie Arbed, Krupp, Thyssen, Stinnes, die Gelsenkirchener Bergwerks AG, zu einer Stahl- und Eisenregion umgeformt worden war, schlägt heute vor, die Hochöfen nicht länger stehen zu lassen und sie abzureißen. Und auch der Bürgermeister von Florange, Philippe Tarillon, kann sich vorstellen, dass man die Hochöfen nicht, wie mit der französischen Regierung vereinbart, sechs Jahre dort stehen lässt, dass man sie vorher abreißt.

Hochtechnologie

Der Stimmungswandel im Tal der Fensch und in Lothringen ist deutlich. Auch die französischen Medien haben umgeschaltet. Galt ArcelorMittal im vergangenen Jahr noch als der unerwünschte Industriekonzern, wird jetzt in Filmberichten im französischen Fernsehen und in der gedruckten Presse die Hochtechnologie in den Vordergrund gestellt. Es wird erstmals auch deutlich, dass der Arbeitsplatz-Abbau im Vergleich zu den 3.000 Beschäftigten in Florange vergleichsweise gering ist. Bei der Ankündigung der Schließung der Hochöfen für – ursprünglich geplant – 2010 hatte Arcelor-Chef Guy Dollé im Jahre 2002 bereits darauf verwiesen, dass die Altersstruktur günstig sei. „Von den 629 Betroffenen sind 200 in die normale Altersrente gegangen“, sagt der Chef der ArcelorMittal Anlagen, Henri-Pierre Orsoni. „Wir haben innerhalb des Konzerns für weiter 120 Personen neue Arbeitsplätze gefunden. Für 280 Personen suchen wir noch. Es wird niemand entlassen, alle werden neue Arbeitsplätze erhalten.“

Der französische Staatspräsident wird sich in Florange umschauen können und feststellen, dass die knapp 6.000 Einwohner-Stadt von der Weiterverarbeitung des Stahls und der Metall-Industrie lebt. Der indische Stahlkonzern Tata walzt Eisenbahnschienen in Florange. ThyssenKrupp stellt Lenksäulen für die Automobilindustrie in Florange her und der deutsche Lehmförderkonzern hat gerade den 40. Geburtstag seiner Fabrik in Florange gefeiert. Der Besuch des französischen Staatspräsidenten möbelt das Ansehen der Region auf, weil ihm das präsentiert wird, was Lothringen eigentlich wirklich ist: In weiten Teilen eine florierende Industrieregion der Metallbearbeitung. Ganz abgesehen, dass die Industrie auch Steuern in die Kassen der Gemeinden spült. ArcelorMittal alleine zahlt 50 Millionen Grundsteuern und Umweltsteuern.

„Die Hochöfen aus den Köpfen der Lothringer reißen“

Industrie heißt auch der zweite Besuchspunkt in Lothringen. Im Département Meurthe et Moselle, auf dem Weg von Metz nach Nancy an der Autobahn A 31 liegt Pompey. Hier endete 1986 die Geschichte einer Stahlindustrie, die 1875 begonnen hatte. In den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gab die Stahlindustrie hier noch 5.000 Menschen Arbeit. Bei der Schließung des Stahlwerks 1986 stehen 2.000 Stahlwerker, die damals dort noch arbeiteten, auf der Straße. Jaques Chérèque, Vater des späteren Vorsitzenden der Gewerkschaft CFDT wird zum Sonderpräfekten für Lothringen ernannt. Chérèque wird später zum Minister für die Wiederherstellung industrieller Arbeitsplätze ernannt und ist der – bisher einzige – Vorgänger von Arnaud Montebourg, der in Lothringen allerdings eine Schlappe erlitt. Das Motto, mit dem Chérèque arbeitet, ist berühmt geworden und wird heute in Loithringen wieder zitiert: „Wir müssen die Hochöfen aus den Köpfen der Lothringer reißen“.

In den vergangenen 30 Jahren hat sich die Stadt Pompey in einen Stadtverband mit 13 Gemeinden und 42.000 Einwohnern gewandelt. Die Industriezone verfügt über 140 Hektar. Der Erfolg ist sichtbar: In Pompey liegt die Arbeitslosenquote unter dem lothringischen Durchschnitt. Pompey nutzt die logistischen Möglichkeiten: Der Moselhafen von Frouard liegt in der Nähe. Die Eisenbahn und die Autobahn sind da. Um Investoren zu überzeugen werden 48 Millionen Euro in die Gelände und in die Infrastruktur investiert.

Der Erfolg ist sichtbar: Pompey ist heute der einzige trimodale Logistik – Umschlagplatz in Lothringen. 140 Unternehmen, davon ein Drittel Industrie-Unternehmen, haben sich auf dem Gelände des ehemaligen Stahlwerks angesiedelt. Neben Delipapier, das Küchenpapier herstellt, hat sich ein pharmazeutisches Forschungslabor angesiedelt, oder Clarion, das von der Herstellung von Autoradios umgesattelt hat auf Wartung und Reparatur elektronischer Geräte.

Der französische Staatspräsident schaut sich bei seinem Besuch aber erneut Stahl an. Er besucht die Fabrik eines US-Unternehmens, das sich in Pompey angesiedelt hat. Crown Bevcan France stellt hier mit 180 Personen pro Jahr etwa eine Milliarde Dosen aus Weißblech her. Das Vormaterial erhält das Unternehmen aus Dünkirchen, aus dem Stahlwerk von ArcelorMittal. Und dabei fällt dann auf, dass der französische Staatspräsident sich bei seinem Besuch in Lothringen industriell immer im Bereich von ArcelorMittal oder Produkten von ArcelorMittal bewegt. Auch eine Art der Wiedergutmachung.

(Helmut Wyrwich / Tageblatt.lu)